Buchtipp des Monats von Yvonne Franz und Christiane Hintermann

Öffentliche Orte in urbanen Räumen und deren vielfältige Bedeutung und Nutzung stehen im Mittelpunkt der Publikation "Understanding Public Spaces" der Geographinnen Yvonne Franz und Christiane Hintermann. Einen Buchtipp für unsere LeserInnen haben sie auch parat.

uni:view: In Ihrer englischsprachigen Publikation "Understanding Public Spaces: Unravelling Complexities" beschäftigen Sie sich mit urbanen öffentlichen Plätzen und deren Komplexität. Was macht öffentliche Orte derart komplex?
Yvonne Franz und Christiane Hintermann: In öffentlichen Räumen lassen sich zahlreiche AkteurInnen und Prozesse ablesen, die zur Komplexität beitragen. Auf der einen Seite gibt es die Institutionen, die öffentliche Räume "zur Verfügung" stellen, darunter zählen beispielsweise die Stadtverwaltung oder auch Wohnbauträger. Auf der anderen Seite gibt es unterschiedliche AkteurInnen, die öffentliche Räume nutzen und sich diese in ihrer Alltagspraxis oder auch aus strategischem Interesse aneignen. Zu diesen AkteurInnen zählen wir beispielsweise BewohnerInnen oder BesucherInnen, aber auch DemonstrantInnen.

Sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite produziert öffentlichen Raum mit unterschiedlichen Praktiken und Politiken. Und schließlich ist die Trennung zwischen öffentlichen und privaten Räumen in Städten nicht trennscharf. Wir kennen auch so genannte semi-öffentliche Räume, wie beispielsweise Innenhöfe von Gemeindebauten oder auch Kaffeehäuser und Bibliotheken. Diese Räume sind formell gesehen nicht öffentlich, übernehmen aber öffentliche Funktionen als Orte der Begegnung.

uni:view: Wie charakteristisch sind öffentliche Plätze für eine jeweilige Stadt, sprich unterscheidet sich ein öffentlicher Ort in Wien von einem in London?
Franz und Hintermann: Öffentliche Räume unterscheiden sich sehr stark, abhängig vom jeweiligen lokalen Kontext. Selbst in ein- und derselben Stadt zeigen sich diese Unterschiede, man denke in Wien beispielsweise an die re-naturalisierte Wienzeile im Vergleich zum Rathausvorplatz. Im städtischen Vergleich zeigen sich Unterschiede des öffentlichen Raumes vor allem in der Aneignungspraxis. Während in Wien öffentliche Räume sehr stark funktional gestaltet und reguliert sind, sind andere Städte sehr viel experimenteller und überlassen es der Stadtbevölkerung, selbst ihren öffentlichen Raum zu gestalten. Schöne Beispiele sind hier Esta Es Una Plaza in Madrid oder die Prinzessinnengärten in Berlin, wo eine jahrzehntelang brachliegende Fläche in einen gemeinschaftlichen Nutzgarten verwandelt wurden.

Veranstaltungstipp: Die nächste Buchpräsentation in der Reihe "Cities in Transition" findet am Freitag, 1. Dezember 2017 um 9.30 Uhr im Hörsaal C0409 des Instituts für Geographie (NIG, Universitätsstraße 7, 4. Stock) statt. Diesmal wird "Tourism and Gentrification in Contemporary Metropolises" von Maria Gravari-Barbas und Sandra Guinand (SNF-Stipendiatin, Institut für Geographie und Regionalforschung, Universität Wien) präsentiert. Als Diskutanten sind Bas van Heur (Vrije Universiteit Brussels) sowie Justin Kadi (TU Wien) eingeladen.

uni:view: Welche Menschen – Sie nennen diese in Ihrer Publikation "Actors" – nutzen welche Orte wie?
Franz und Hintermann: Die Aneignungspraktiken sind sehr unterschiedlich. Manche geschehen unbewusst in täglichen Alltagspraktiken wie beispielsweise ein Buch auf einer Parkwiese zu lesen. Andere Praktiken geschehen sehr bewusst, wie beispielsweise die Aneignung von Straßenraum während einer Critical Mass Fahrradtour.

uni:view: Was sind Ihre persönlichen öffentlichen Lieblingsorte in Wien und/oder einer anderen europäischen Stadt?
Franz: In Wien gibt es viele öffentliche Lieblingsorte, durch die ich gerne einfach durchgehe, genieße und Leute beobachte, wie beispielsweise im Volksgarten, am Donaukanal oder Kutschkermarkt. Das tolle an meinem Job als Stadtgeographin ist, dass ich sehr viele Städte besuchen kann und hier sind meine Lieblingsorte der Place du Sablon in Brüssel, der Brooklyn Bridge Park in New York City oder die NDSM Werft in Amsterdam.

Hintermann: Mir geht es ähnlich. Wien bietet so viele öffentliche Orte zum Flanieren, Sitzen und Beobachten. Ich mag nach wie vor den Brunnenmarkt und die Springbrunnen im Rathauspark, wenn gerade mal zufällig keine Veranstaltung stattfindet, und die vielen kleinen Seitengassen im 7. und 8. Bezirk, wo ich immer wieder auf neue und innovative Geschäftsideen stoße. Zuletzt habe ich Lissabon für mich entdeckt und hier unter anderem den Jardim Botto Machado

Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten LeserInnen zur Verfügung:

1 x "Unravelling Complexities" von Yvonne Franz und Christiane Hintermann (Hrsg.)
1 x "Eine Reise in das Innere von Wien" von Gerhard Roth  
1 x "Lebenskünstler" von Rolando Villazón

uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen?
Franz: "Lebenskünstler" von Rolando Villazón
Hintermann: "Eine Reise in das Innere von Wien" von Gerhard Roth

uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Franz: Das Leben (in der Stadt) ist ein Spiel und es tut gut, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen.
Hintermann: Wer Wien wirklich kennen lernen möchte, muss diesen Essayband von Gerhard Roth gelesen haben.

uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Franz: Ein wehmütiges, aber auch lachendes Herz.
Hintermann: Die Freude darüber, wie spannend Geschichte erzählt werden kann. (td)

Yvonne Franz und Christiane Hintermann sind beide Institut für Geographie und Regionalforschung der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie tätig.