Buchtipp des Monats von Otmar Weiß

Der Sportwissenschafter Otmar Weiß von der Universität Wien spricht im Interview über die Faszination Sport und seine Bedeutung als kulturelles und soziales Phänomen. In seinem Romantipp "wird ein Stück Leben dargeboten, nicht eine Betrachtung über das Leben".

uni:view: Kürzlich ist Ihre Publikation "Sport: Schneller, Höher, Stärker", die Sie gemeinsam mit Sportwissenschafter Henning Eichberg verfasst haben, erschienen. Welche An- und Einsichten erwarten die LeserInnen über das Phänomen Sport?
Otmar Weiß: Milliarden Menschen sind –  frei nach Friedrich Schiller – nur da ganz Mensch, wo sie Sport treiben. Zeit, Geld, Energie und Emotionen, die in zunehmendem Maße im Sport investiert werden, lassen darauf schließen, dass der Sport heute mehr ist als eine frivole, belanglose Aktivität. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg ist aus einem nebensächlichen Bereich ein wirtschaftlicher und politischer Faktor geworden, der umfassender Wert- und Sinnvermittler ist und mit dem Milliardenumsätze getätigt werden. Phantasien und Wunschvorstellungen knüpfen sich an den modernen Sport, der zu den massenwirksamsten Erscheinungen in unserer Gesellschaft gehört. Indem er im 20. Jahrhundert eine der zentralen, wenn nicht die zentrale Quelle für Identifikation und soziale Gratifikation geworden ist, vollzog sich sein Aufstieg von einer marginalen zu einer religiösen oder quasireligiösen Bedeutung. Wir versuchen, die Faszination des Sports zu analysieren und zu begründen.

uni:view: In Ihrer Publikation beleuchten Sie die Komplexität von Sport und Spiel aus gesellschaftlicher Perspektive. Sind die Titelschlagworte nicht gerade heute – Stichworte: Finanzkrise, Konsumwahn, Ressourcenverschwendung, Klimawandel – nicht eher als negativ zu verstehen? Wie sehen Sie das?
Otmar Weiß: Im Vergleich etwa zu Politik und Wirtschaft ist Sport einer der wenigen Bereiche, in denen die Leistung des Menschen deutlich sichtbar und erlebbar ist. Politiker oder Manager verwenden den Großteil ihrer Zeit für "facework" bzw. Imagepflege. Ihre Aktionsleistungen sind oft ganz anderer Natur, wie z.B. Finanz- und Wirtschaftskrisen oder Umweltkatastrophen zeigen. Im digitalen Zeitalter kommt es zu einem Zerfall von Aktions- und Präsentationsleistung. Inszenierung wird immer wichtiger. Sport ist anders. Was den Sport auszeichnet, ist die allgemein einsichtige Einheit von Aktion und Präsentation, eine Einheit, die es sonst fast nirgends mehr gibt. Leistung wird auf quantifizierbare Dimensionen reduziert: Nur Tore, Sekunden oder Zentimeter zählen. Diese Komplexitätsreduktion auf eindeutige Zeichen bringt Aktion und Präsentation zum Verschmelzen und bestätigt die Identität des Sportlers. Erfolg als Anerkennung stellt sich unmittelbar ein, weil er im Sport nur durch die regelgeleitete Leistung erzielt wird, während Leistung in anderen Bereichen, sei es im Industriebetrieb oder bei der wissenschaftlichen Arbeit, für viele Menschen undurchsichtig bleibt und oft nur von Experten gewürdigt werden kann.

uni:view: Für wie wichtig erachten Sie Sport in der Gesellschaft – sowohl Leistungssport als auch Hobbysport?
Otmar Weiß: Gerade durch die Veränderung der Gesellschaft und die sich verschiebenden Zusammenhänge wird der Sport zu einem immer wichtiger und einflussreicher werdenden kulturellen und sozialen Phänomen. Wie kaum ein anderes Phänomen fügt er sich erfolgreich in den Algorithmus von Freizeit, Konsum und Massenkommunikation und verhilft seinerseits diesen Subsystemen zur Verwirklichung ihrer Ziele. Sowohl der Spitzen- als auch der Breitensport übernehmen Funktionen, die früher der Religion, Familie, Tradition usw. vorbehalten waren: Integrationsfunktion, pädagogische Funktion, Gesundheitsfunktion, ökonomische Funktion, Unterhaltungsfunktion etc.

uni:view: Sie sind selbst sportlich aktiv. Wie wichtig ist Ihnen persönlich Sport?
Otmar Weiß: Sport hat in meinem Leben immer eine wichtige Rolle gespielt. Ich habe Sport studiert und sehe meinen Beruf am Institut für Sportwissenschaft als Berufung. Ich spiele leidenschaftlich gerne Tennis und fahre sehr gerne Ski. Im Sommer gehe ich oft schwimmen. Das gibt mir Kraft und Energie für den Alltag und für den Beruf.

Gewinnspiel

Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten LeserInnen zur Verfügung.
 
1x "Sport: Schneller, Höher, Stärker" von Otmar Weiß und Henning Eichberg
1x "Wem die Stunde schlägt" von Ernest Hemingway  


uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen?  
Otmar Weiß: Wem die Stunde schlägt – Ernest Hemingway.

uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?  
Otmar Weiß: Hemingways Schreibstil hat mich durch seine Einfachheit frappiert. Er erzählt, was geschehen ist, ohne schmückende Vergleiche oder gedankliche Reflexionen. Ich spürte die Kraft der Wahrheit, der Echtheit, die aus diesen einfachen Schilderungen spricht. Dabei geht es um den freiwilligen Einsatz, im spanischen Bürgerkrieg eine Brücke zu sprengen und damit um die Hingabe des Lebens im Dienste einer Sache. Und es geht um das größte Opfer der Liebe, nämlich zu trachten, den anderen zu retten. In dem Roman wird ein Stück Leben dargeboten, nicht eine Betrachtung über das Leben.

uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Otmar Weiß: Eine wunderbare Liebe, für die nur wenige Tage bleibt und dennoch werden die Gefühle des Romanhelden Robert Jordan in einer Intensität beschrieben, als sei Maria in dieser kurzen Zeit schon sein ganzes Leben.