Buchtipp des Monats von Karl Sigmund

Mathematiker und Kenner des Wiener Kreises, Karl Sigmund, spricht über seine jüngste Publikation, seine Faszination über den Wiener Kreis und gibt einen persönlichen Buchtipp ab.

uni:view: Jüngst ist Ihre Publikation "Sie nannten sich Der Wiener Kreis" erschienen, auch die Ausstellung "Der Wiener Kreis", an der Sie maßgeblich mitgewirkt haben, läuft noch bis Ende Oktober im Hauptgebäude der Universität Wien. Können Sie kurz die Faszination des Wiener Kreises für Sie persönlich beschreiben?
Karl Sigmund: Über den Wiener Kreis wollte ich seit fünfzig Jahren schreiben. Mein Lebenslauf hat es fast unausweichlich gemacht. Schon als Schüler war ich vom Tractatus Ludwig Wittgensteins begeistert und konnte ihn seitenweis auswendig zitieren (verstehen weniger). Als Student hörte ich Vorlesungen von Bela Juhos, dem einzigen aus dem Wiener Kreis, der noch am Philosophischen Institut vortrug. Später, als Mathematikprofessor, arbeitete ich viele Jahre in einem Büro, das am selben Gang lag wie der Sitzungsraum des Schlick-Zirkels, und war Stammgast in dem Kaffeehaus, wo seine Nachsitzungen stattfanden.

Einige meiner Kollegen konnten mir noch von persönlichen Kontakten mit dem Wiener Kreis erzählen. Kein geringerer als Karl Popper schrieb seinen letzten Aufsatz für die von mir veröffentlichten  Werke von Hans Hahn, einem der Begründer des Kreises. Über Kurt Gödel brachte ich eine Bildbiographie heraus, mit Friedrich Stadler, dem größten Kenner des Kreises, bin ich seit Jahrzehnten befreundet, usw. Kurz, der Wiener Kreis hat mein Leben begleitet. Was mich faszinierte, war die witzige, schöne und traurige Geschichte, die sich über ein halbes Jahrhundert entfaltete: Von einem kleinen Grüppchen, das auszog, um exaktes Denken und wissenschaftliche Weltauffassung zu verbreiten und durch Fanatismus und Massenwahn weggefegt wurde.

uni:view: Über den Wiener Kreis sind bereits viele Bücher erschienen – welchen Fokus auf diese Gruppe von AusnahmewissenschafterInnen haben Sie gewählt und warum?
Karl Sigmund: Mir ging es um die Story, den dramatischen Bogen, der von Mach über Boltzmann, Wittgenstein, Gödel und Popper führt, mit dem Wiener Kreis mitten drin. Am liebsten hätte ich darüber einen Film gemacht – so etwas Ähnliches wie Woody Allens "Midnight in Paris", nur eben rund um Strudlhofstiege und Café Josefinum. Leider bin ich kein Woody Allen, da hab ich halt nur ein Buch geschrieben. Dichter bin ich übrigens auch keiner, aber diese Denkerinnen und Denker haben so viele Sager hinterlassen, dass daraus beinah eine Wechselrede wird.

uni:view: Inwieweit beeinflusst das Denken, die Thesen, etc. des Wiener Kreises die heutige Wissenschaft?
Karl Sigmund: Am wirksamsten waren sicher die Arbeiten zur Logik. Eine direkte Linie führt von der symbolischen Logik Carnaps und Gödels zur Informatik. Aber auch die Wirtschaftswissenschaften, die Sprachkritik, die analytische Philosophie, die Wissensvermittlung durch Visualisierung und nicht zuletzt die in weiten Kreisen beinahe selbstverständlich gewordenen wissenschaftliche Weltauffassung verdanken dem Wiener Kreis viel. 

Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten LeserInnen zur Verfügung:
"Sie nannten sich Der Wiener Kreis" (Printausgabe) von Karl Sigmund
"Sie nannten sich Der Wiener Kreis" (E-Book) von Karl Sigmund
"Plato and a platypus walk into a Bar" (deutsche Ausgabe, Print) von Thomas Cathcart und Daniel Klein

uni:view: Welche Bücher empfehlen Sie unseren LeserInnen?   
Karl Sigmund: Die zwei Bücher von Cathcart und Klein, die Philosophie an Hand von Witzen darstellen. "Plato and a platypus walk into a Bar" und "Heidegger and a Hippo Walk through these Pearly Gates". Übrigens hatte schon Wittgenstein mit der Idee gespielt, ein Buch zu schreiben, das nur aus Witzen besteht.

uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesen Büchern einfallen?
Karl Sigmund: Philosophie hat viel mit Witz zu tun. Sie ist weniger eine Lehre als eine Tätigkeit: das Einnehmen ungewöhnlicher Standpunkte, um die üblichen Denkmuster zu hinterfragen.    

uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen. Was bleibt?
Karl Sigmund: Das Bedürfnis, das Buch gleich wieder zu lesen. Ich merk mir Witze so schlecht!