Buchtipp des Monats von Christiane Spiel

Der aktuelle Buchtipp des Monats kommt von der Bildungsforscherin Christiane Spiel, die im Interview u.a. über ihre Vision von einer idealen Schule spricht. Auch einen spannenden Lesetipp hat sie parat.

uni:view: Kürzlich ist Ihre Publikation "Schule – Lernen fürs Leben?!" erschienen, in der Sie einen kritischen Blick auf das österreichische Schulsystem werfen. Was ist das primäre Anliegen Ihres Buches?
Christiane Spiel: Schule ist ein Thema, zu dem die meisten Menschen etwas beizutragen haben, ein Thema, das kaum jemandem gleichgültig ist. Jede und jeder hat Erinnerungen – positive, weniger positive – die wieder präsent werden, wenn man über Schule spricht oder an sie denkt. Verständlicherweise wird die Schule auch auf Basis der eigenen Erfahrungen und der persönlichen Erlebnisse bewertet. Denn die vielen Forschungsergebnisse zu Schule und Bildung sind zumeist nicht bekannt. Sie "verstauben" in wissenschaftlichen Journalen, in Bibliotheken oder im Web, obwohl das Interesse, über Bildung und Schule mehr aus Sicht der Forschung zu erfahren, sehr groß ist. Was fehlt, ist eine Übersetzung der Forschungen in eine Sprache, die jede und jeder versteht, auch ohne Vorkenntnisse.

Da mich diese Diskrepanz – hier die hohe Bedeutung von Bildungsforschung und das hohe Interesse, dort die schwer konsumierbaren  Studienergebnisse – immer geärgert hat, habe ich schon vor Jahren eine grundlegende Entscheidung für die Ausrichtung meiner Arbeit als Wissenschafterin getroffen: dass ich als Professorin an einer öffentlichen Universität auch die Aufgabe habe, die Erkenntnisse der Wissenschaft an die Gesellschaft zu vermitteln. Ich habe primär versucht, in Kommunikation mit Politik und Praxis zu kommen, denn für die Umsetzung von Forschungsergebnissen braucht es diese beiden. Dabei habe ich gelernt, wie schwierig das ist. Denn die Politik hat ihre eigene Logik, die ganz anders ist als die Logik der Wissenschaft, und wieder anders als die Logik der Praktikerinnen und Praktiker.

Das Buch war die logische Fortsetzung dieser Bemühungen um den Transfer bildungswissenschaftlicher Forschungsbefunde. Es soll forschungsbasiertes Basiswissen über Schule und Bildung vermitteln, in das jede und jeder seine individuellen Schul- und Bildungserfahrungen einordnen kann.

uni:view: Kurz skizziert: Was läuft an Österreichs Schulen gut und was schlecht?
Christiane Spiel: In Debatten über Bildung und Schule in Österreich wird – egal ob diese privat oder öffentlich geführt werden – vorwiegend geschimpft und kritisiert. Es gab in den letzten Jahren jedoch auch positive neue Entwicklungen im Bildungsbereich. Dazu gehören die Aufwertung der Elementarbildung inklusive der Einführung eines verpflichtenden Kindergartenjahres, die Einführung von Bildungsstandards und teilzentraler Matura, womit eine stärkere Orientierung an den Lernergebnissen erfolgt, die Herausgabe Nationaler Bildungsberichte und damit die Rechenschaftslegung über das Bildungswesen, sowie das Gesetz über die neue PädagogInnenbildung, wonach alle PädagogInnen (leider mit Ausnahme des Elementarbereichs) auf Masterniveau ausgebildet werden.

Zweifellos haben wir im österreichischen Schulsystem jedoch auch viele durchaus gravierende Problemfelder. Die Freude am Lernen und das Selbstvertrauen, es zu schaffen, nehmen über die Schulzeit ab. Zu viele Kinder können nicht sinnverstehend lesen. Ihnen fehlt damit die notwendige Basis für erfolgreiches Lernen und Fort- und Weiterbildung im Erwachsenenalter. Ungleiche Ausgangsbedingungen hinsichtlich sozio-ökonomischem Status und Migrationshintergrund werden zu wenig abgemildert (weniger als in vielen anderen Ländern). Die Schulen haben zu wenig externe Unterstützung an SozialarbeiterInnen, SchulpsychologInnen etc. Es gibt im internationalen Vergleich sehr hohe Mobbingraten, jedoch nur wenig gemeinsames Vorgehen dagegen. Die Ausgaben für das Schulsystem sind in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern sehr hoch, bei gleichzeitig relativ geringen Erträgen; zusätzlich mangelt es an Transparenz über den Ressourceneinsatz.

uni:view: Ihre Vision für die "ideale Schule"?
Christiane Spiel: Die Schule der Zukunft, wie ich sie mir wünsche, sollte die Förderung von Bildungsmotivation, von Interesse am Neuen und die Vermittlung der Kompetenzen, diese Bildungsmotivation erfolgreich realisieren zu können, als zentrale Ziele sehen. Insbesondere wäre es Intention der Schule, bei Kindern und Jugendlichen Verantwortung für andere und die Gesellschaft zu fördern. Die Schule der Zukunft sollte ein Ort sein, an dem sich die SchülerInnen (und auch die LehrerInnen) wohlfühlen, der aber gleichzeitig auch ihr Lernen unterstützt – auch aus räumlicher Sicht.

Ein zentrales Merkmal dieser Schule wäre, dass sie sich als Lernort öffnet, d.h. sie nimmt das, was den SchülerInnen anderswo Freude am Lernen bereitet, in die Schule auf, um die Schule als Lernort attraktiver zu machen. Die Schule der Zukunft sollte bewusst an der Realisierung gleicher Bildungschancen für alle SchülerInnen arbeiten und jegliche Kompetenz als Ressource und Potenzial erachten und nicht nur sehr wenige ausgewählte, die exakt bestimmten Unterrichtsfächern zuordenbar sind.

Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten LeserInnen zur Verfügung.
  
1x "Schule - Lernen fürs Leben?!" von Christiane Spiel und Sonja Bettel, Galila-Verlag, 2015
1x "Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war" von Joachim Meyerhoff, Kiepenheuer & Witsch, 2013


uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen?
Christiane Spiel: "Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war" von Joachim Meyerhoff.

uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Christiane Spiel: In dem Buch werden in Ich-Form die Erlebnisse, Erfahrungen und Gedanken eines Jungen dargestellt, der in einer Psychiatrie aufwächst, deren Direktor sein Vater ist. Die Darstellung erfolgt in einzelnen, großartig erzählten Szenen, die nur sehr lose verbunden sind. Dennoch bleibt ein Gesamtbogen sichtbar. Die Szenen sind z.T. sehr skurril, aber dennoch gut nachvollziehbar, immer spannend. Für jemanden wie mich, der zu wenig Zeit hat, ein Buch in einem Schwung zu lesen, ist so ein Buch – lose verbundene Szenen – ideal, da man sehr leicht immer wieder einsteigen kann.

uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Christiane Spiel: Was nicht bleibt, ist eine klare Geschichte. Die hat dieses Buch auch nicht bzw. nur sehr eingeschränkt. Es bleibt jedoch die Erinnerung an die skurrilen/schrägen Szenen, die immer wieder aktiviert werden kann und wird. (td)