Bibelwissenschaft zwischen Judentum, Christentum und Islam

Vom 6. bis 10. Juli waren 1.100 WissenschafterInnen aus 47 Nationen an der Universität Wien: Im Rahmen des International Meeting der Society of Biblical Literature tauschten sie sich über ihre Forschungen zur jüdischen und christlichen Bibel, zum Koran und zu den Kulturen der biblischen Umwelt aus.

Die Rezeptionsgeschichten der Bibel in Judentum und Christentum von ihren Anfängen bis heute: Das war das zentrale Thema des Wiener International Meeting, an dem neben der Society of Biblical Literature (SBL) auch die European Association of Biblical Studies und die Arbeitsgemeinschaft jüdische Studien in Österreich teilnahmen.

Zentraler Speicherplatz religiöser und kultureller Gedächtnisse

Rezeptionsgeschichten bilden einen wichtigen Begegnungspunkt im jüdisch-christlichen Gespräch, beinhalten aber auch die dringend notwendige Aufarbeitung einer Jahrtausende alten Konfliktgeschichte, die uns heute noch betrifft und sich über den jüdisch-christlichen Horizont hinaus politisch und gesellschaftlich auswirkt. In der jüdisch-christlichen Welt ist die Bibel der zentrale Speicherplatz religiöser und kultureller Gedächtnisse. Jüdische und christliche Kulturen bestimmten und bestimmen ihre Identität in einem interpretativen Dialog mit der Bibel.

In den Veranstaltungen und Seminaren der Tagung zum Themenschwerpunkt Rezeptionsgeschichte der Bibel wurden einerseits die gemeinsame biblische Basis von Judentum und Christentum und andererseits deren Unterschiede und hermeneutische Konflikte in der Bibelauslegung hervorgehoben. Das Wiener International Meeting hob auf diese Weise die friedliche religiöse Koeexistenz der drei monotheistischen Weltreligionen in ihr Zentrum.


Armin Lange vom Institut für Judaistik und Leiter der Tagung stellte während der Eröffnung den, für einen Kongress zu biblischen Studien, einmaligen Zeitbezug am Beispiel der Wirkungsgeschichte von Jer 33,14-26 in den Fokus der Veranstaltung.



Gelebte religiöse Koexistenz

Generaldirektor Reimund Fastenbauer, Bischof Franz Scharl und Bischof Michael Bünker – als Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde und der katholischen und evangelischen Kirchen in Österreich – würdigten das Engagement der drei wissenschaftlichen Gesellschaften und setzten mit Ihrer gemeinsamen Förderung der Tagung ein Zeichen für gelebte religiöse Koexistenz und gegenseitigen Respekt füreinander.


Reimund Fastenbauer, Generalsekretär des Bundesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Österreich und Generalsekretär für jüdische Angelegenheiten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, meinte in seinem Grußwort an den Kongress zuversichtlich: "Am Ende der Tage werden wir wissen, ob der Messias ein schon vertrauter Freund oder ein uns noch unbekannter Retter sein wird."



Weltrang in der Bibelwissenschaft

Dem besonderen Akzent des International Meeting auf der Auslegungsgeschichte der Bibel und ihrem Zeitbezug widmeten sich auch zahlreiche, von WissenschafterInnen der Universität Wien organisierte, Seminare. Sie beschäftigten sich u.a. mit der antisemitischen Auslegungsgeschichte der Bibel, der Bibel im Ersten Weltkrieg oder der Bibel im Film.

Auffallend war der breite interdisziplinäre Charakter der Tagung: An ihrer Organisation und Durchführung waren vier Fakultäten der Universität Wien (Evangelisch-Theologische Fakultät, Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät, Katholisch-Theologische Fakultät und Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät) und ihre Institute beteiligt, wobei die "Federführung" beim Institut für Judaistik lag. Die Universität Wien demonstrierte mit dieser Tagung ihren Weltrang in der Bibelwissenschaft, der Judaistik und ihren Nachbardisziplinen. (red)