Star-Soziologin Saskia Sassen an der Universität Wien

Im Rahmen der fünften "Marie Jahoda Summer School of Sociology" hält die US-Amerikanische Soziologin Saskia Sassen am Dienstag, 7. Juli, einen öffentlichen Vortrag zu den emanzipatorischen Potenzialen von Digitalisierung und neuen Kommunikationstechnologien für weniger privilegierte Menschen.

"Those with power can, and those without power cannot go global" fasste die Möglichkeiten, globale Bedeutung zu erlangen, traditionellerweise zusammen. Dieser Zusammenhang wandelt sich aber mit zunehmender Digitalisierung und Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien. Saskia Sassen von der Columbia University in New York geht der Frage nach, ob neue Techniken dazu beitragen, ein soziales Back-up-System für benachteiligte Personen in der Nachbarschaft, der Familie oder der Arbeitswelt aufzubauen.

Sozio-technische Formationen

Daten für die USA zeigen, dass die meisten Personen mit niedrigen Einkommen entweder digitale Techniken (z.B. Apps) nutzen oder bereit wären, darin zu investieren. Digitalisierung zeitigte bisher aber vor allem Veränderungen in der Arbeit- und Lebenswelt von höheren Einkommensschichten. Das erklärt sich dadurch, dass digitale Netzwerke, gekennzeichnet durch dezentralen Zugriff, Bestandteile von komplexen Ökonomien sind, die auch nicht-technische Aspekte enthalten. Diese soziotechnischen Formationen führen, trotz ähnlicher Technik, zu gänzlich unterschiedlichen Outcomes, etwa bei Finanzmärkten (gebündelte Macht) oder der Vernetzung von AktivistInnen (grenzüberschreitende Öffentlichkeit).

Die fünfte Marie Jahoda Summer School of Sociology Vienna widmet sich unter dem Titel "The Global Digital Workplace – New Ways of Working, New Forms of Labour" der Digitalisierung von Arbeit. Zwischen 6. Juli und 10. Juli 2015 haben 20 PhD-Studierende aus vier Kontinenten die Möglichkeit, ihre Dissertationen mit hochrangigen WissenschaftlerInnen zu diskutieren und weiterzuentwickeln sowie ihre internationale Vernetzung voranzutreiben.

Eine bessere Welt durch Apps

Auch wenn die meisten Apps nicht für untere soziale Schichten designt werden, gibt es bereits gute Bespiele, wie neue Technologien emanzipatorische Potenziale entfalten können. Die Nachbarschaft soll dabei zu einem Ort werden, der bei Problemen aller Art Unterstützung bietet. Digitale Technologien können dabei helfen, niedrigeren Einkommensschichten zu einem höheren Ansehen zu verhelfen. Während Personen aus den Oberschichten als Leistungsträger gelten, erfahren untere Schichten relativ wenig soziale Anerkennung. Durch die Erfüllung von Aufgaben öffentlichen Interesses würde sich diese Wahrnehmung vielleicht ändern.

Ein Beispiel für die neuen technologischen Möglichkeiten ist Panoply, eine Anwendung, die via Crowd-Sourcing Hilfestellung für Personen mit Angstzuständen oder Depressionen bietet. Panoply vermittelt Crowd-WorkerInnen bzw. Freiwillige an psychisch Erkrankte. Ein anderes Beispiel ist Telemedizin. In Ländern ohne allgemeine Krankenversorgung kann sie dazu beitragen, ärmeren Bevölkerungsschichten Zugang zu medizinischer Behandlung zu ermöglichen.

Neue Solidarität unter DigitalarbeiterInnen

Steigende Ungleichheit, aber auch Zunahme von schlechten, ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen kennzeichnen die derzeitige Entwicklung im Bereich der digitalen Arbeit. Um die gegenseitige Konkurrenz zu verhindern, sollte die Nachbarschaft durch Vernetzung zu einem kollektiven Organ der Interessensvertretung der Crowd-WorkerInnen werden; ähnlich, wie es die Fabrik für die IndustriearbeiterInnen ist.

Vortrag der britischen Arbeitssoziologin Ursula Huws: Labour in the Global Digital Economy – The Cybertariat comes of Age

Am Donnerstag, 9 . Juli 2015, 18 Uhr, hält auch die renommierte Arbeitssoziologin und brillante Zeitdiagnostikerin Ursula Huws im Rahmen der fünften "Marie Jahoda Summer School of Sociology" einen Vortrag – zur Arbeit in der globalisierten und digitalisieren Ökonomie. Unter dem Einfluss von Globalisierung, technologischem Wandel und den Reaktionen auf die Finanzkrise tritt eine neue Form der Arbeitsteilung  zu Tage, argumentiert Ursula Huws. In ihrem Vortrag zeichnet sie eine historische Perspektive der Restrukturierung von Arbeit. Laut Huws wandelte sich das Modell der "normalen" Arbeit seit dem zweiten Weltkrieg drei Mal und tritt nun in eine vierte Phase ein: Arbeit durch online-Plattformen, oft jenseits nationaler Regulierungen und von Beschäftigungsschutz.

Public Keynote-Lecture Ursula Huws: Labour in the Global Digital Economy – The Cybertariat comes of Age
Donnerstag, 9. Juli, 18 Uhr
AK-Bildungszentrum Wien, Theresianumgasse 16-18, 1040 Wien, SR 11 A + 11 B

Weitere Informationen
Der Vortrag ist kostenfrei.
Um Anmeldung wird bis 3. Juli gebeten: sabine.jovic@akwien.at

Kurzbiografie von Saskia Sassen

Saskia Sassen ist Robert S. Lynd Professorin für Soziologie und Vorsitzende des "Committee on Global Thought" an der Columbia Universität (New York, USA). Ihre wissenschaftlichen Forschungsfelder umfassen Staaten, Städte und Migration in der globalen Ökonomie mit dem Focus auf Ungleichheiten, Gendering und Digitalisierung. Sie ist Autorin von acht Büchern und (Ko-)Herausgeberin von drei Büchern, die in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurden. Sie hält zahlreiche Auszeichnungen und Ehrentitel, darunter der "Prinz von Asturien Preis" für Sozialwissenschaften. Zu ihren bekanntesten Büchern zählen "The Mobiltiy of Labor and Capital", "The Global City" und "Territory, Rights: From Medieval to Global Assamblages". Ihr neues Buch "Explulsion: Brutality and Complexity in the Global Economy" handelt vom Ausschluss von diversen Möglichkeiten als radikalste Form der Ungleichheit.

Public Keynote Lecture Saskia Sassen: Digital Formations of the Powerful and the Powerless – From Financial Markets to Open-Sourced Neighborhoods
Dienstag, 7. Juli, 19 Uhr
Kleiner Festsaal der Universität Wien
Universitätsring 1, 1010 Wien

Weitere Informationen
Der Vortrag ist kostenfrei.
Um Anmeldung wird bis 3. Juli gebeten: sabine.jovic@akwien.at

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