Lehren einer gemeinsamen europäischen Geschichte

Aktuelle Fragen des Geschichtsunterrichts in Europa stehen im Zentrum einer Tagung des Europarats und der Universität Wien, die am Mittwoch, 9., und Donnerstag, 10. April, im Hauptgebäude stattfindet. ExpertInnen aus allen Mitgliedsstaaten diskutieren gemeinsame Aspekte und Zugänge zur Geschichte.

Im Dezember 2014 jährt sich der sechzigste Jahrestag der Unterzeichnung der Europäischen Kulturkonvention. Die damals 14 Signatarstaaten des Europarates mit Sitz in Strasbourg bekräftigten darin den Willen zur Stärkung der gegenseitigen Zusammenarbeit im Bereich der Kultur, der Bildung und des Sports in der Absicht, die nationalistischen Feindbilder abzubauen und das gemeinsame europäische Erbe zu erschließen. Insbesondere im Bereich der Geschichte, der Sprachen und der Zivilisation sollte die wechselseitige Zusammenarbeit gefördert werden. Was den Geschichtsunterricht in Schulen betrifft, wurden insbesondere die Curriculumsentwicklung und die LehrerInnenbildung zu Schwerpunktthemen von regionalen oder gesamteuropäischen Projekten.

Kulturelle Zusammenarbeit

Heute ist der Europarat mit 50 Mitgliedsstaaten die größte intergouvernementale Organisation Europas. Eines seiner Ziele, weit über die Grenzen der Europäischen Union hinaus, ist die Propagierung der Menschenrechtsbildung, der Demokratieerziehung und der interkulturellen Verständigung. Er trägt seit nunmehr 60 Jahren durch zahlreiche Projekte maßgeblich zur kulturellen Zusammenarbeit in Europa bei.

E-Book-Präsentation

Die Tagung an der Universität Wien bildet den Abschluss einen Vierjahresprojekts zum Thema "Shared histories for a Europe without dividing lines", das von der Abteilung "History education" im Europarat koordiniert wurde. Zu vier Fragestellungen "Industrialisierung", "Bildung", "Menschenrechte in der Kunst" sowie "Europa und die Welt" wurden umfangreiche Themendossiers mit teils neuem Quellenmaterial erarbeitet und nach geschichtsdidaktischen Fragestellungen aufbereitet. Die Ergebnisse werden am Symposium erstmals in einem E-Book präsentiert, das – zunächst in englischer Sprache – für alle interessierten GeschichtsdidaktikerInnen weltweit zugänglich sein wird.

Gesamteuropäische Studie

Das Fachdidaktikzentrum Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung der Universität Wien koordinierte parallel dazu die gesamteuropäische Studie "The Education and Training of History and of Civic Education Teachers in Europe – A Comparative Study". Unter der Leitung von Alois Ecker, Geschichtsdidaktiker an der Universität Wien, untersuchte ein Team für 33 Staaten des Europäischen Hochschulraums detailreich die Curricula für die Ausbildung der LehrerInnen in den zentralen historisch-politischen Fächern (Geschichte, Sozialkunde, Staatsbürgerkunde, Politische Bildung).

Spannende Ergebnisse

Am Symposium werden nun die Ergebnisse der CHE-Studie präsentiert. "Das Schulfach Geschichte dient zwar im europäischen Vergleich noch immer vorrangig dem Aufbau nationaler Identität, europäische und globalgeschichtliche Perspektiven finden allerdings mehr und mehr Eingang in die Schulcurricula", resümiert Alois Ecker: "Beachtenswert fanden wir, dass die Orientierungsfunktion für Politik und Gesellschaft, die den GeschichtslehrerInnen in der öffentlichen Erwartung zugeschrieben wird, in ihrer Grundausbildung höchst selten eine Rolle spielt".

Zentrale Kompetenzen wie der Umgang mit kultureller und sprachlicher Vielfalt, die Erschließung multikultureller Zugänge zur Geschichte, die Erarbeitung interkultureller historischer Vergleiche oder der kritische Umgang mit Rassismus und Xenophobie werden sehr selten als explizite Ziele der Ausbildungscurricula beschrieben. Selbst die Erarbeitung geläufiger sozialwissenschaftlicher Kategorien wie Gender und Diversität oder die Kenntnis der Menschenrechte wird in vielen Ausbildungsgängen kaum oder gar nicht eingefordert.

"Erfreulich ist dagegen, dass das positivistische Selbstverständnis vom Fach Geschichte (Zahlen, Daten, Fakten) in den Ausbildungsgängen zurückgeht und bereits zahlreiche Studiengänge in Europa die Stärkung eines kritischen Geschichtsbewusstseins oder die fachgerechte Analyse historischer Narrative ins Zentrum der GeschichtslehrerInnen-Ausbildung rücken", so Geschichtsdidaktiker Alois Ecker.

Start eines neuen Projekts zur Geschichtsdidaktik

Die Konferenz ist zugleich der Start für das neue Vierjahresprojekt des Europarats zur Geschichtsdidaktik, bei dem es um Fragen der qualitativen Ausbildung der zukünftigen GeschichtslehrerInnen in Europa geht: Kompetenzaufbau für Demokratieerziehung, der Umgang mit Diversität sowie die Stärkung der Partizipation in der multikulturellen demokratischen Gesellschaft sind zentrale Ziele dieses neuen Programms. (af)

Symposium des Europarats in Zusammenarbeit mit der Universität Wien
im Rahmen der österreichischen Präsidentschaft der Ständigen Ministerkonferenz

Mittwoch, 9. und 10. April 2014, ab 10 Uhr
Großer Festsaal der Universität Wien
Universitätsring 1, 1010 Wien

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