Gipfeltreffen in Wien: Die Suche nach dem unbekannten Teilchen

Seit Mittwoch, 22. Juli, steht Wien im Zeichen von Pentaquarks, Neutrinos, Higgs-Boson & Co. Mehr als 700 internationale PhysikerInnen diskutieren im Rahmen einer der weltweit bedeutendsten Teilchenphysik-Konferenzen an der Universität Wien die neuesten Ergebnisse ihres Forschungsbereichs.

Neue Entdeckungen am CERN und die Suche nach unbekannten Teilchen beschäftigen zur Zeit die ForscherInnen  auf einer der bedeutendsten Teilchenphysik-Konferenzen der Welt, der European Physical Society Conference on High Energy Physics (EPS-HEP). Im Zentrum der Konferenz, die von der Universität Wien, der European Physical Society, dem Institut für Hochenergiephysik bzw. dem Stefan-Meyer-Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) sowie der Technischen Universität (TU) Wien veranstaltet wird, stehen die mit Spannung erwarteten Resultate der kürzlich wieder angelaufenen Experimente am Large Hadron Collider (LHC) des CERN.

PhysikerInnen mit Pioniergeist

Im Rahmen einer Pressekonferenz am 27. Juli 2015 präsentierte CERN-Generaldirektor Rolf Heuer Neuigkeiten zu den erst vor wenigen Tagen entdeckten Pentaquarks. Insgesamt fällt die Zwischenbilanz über die neu gestarteten Versuchsreihen am CERN überaus positiv aus: "Mit den LHC-Experimenten haben wir schon weit mehr Daten gesammelt als im Jahr 2010, in dem der LHC seinen Betrieb erstmals bei hohen Energien aufgenommen hat. Wir spüren gerade einen fantastischen Pioniergeist bei den PhysikerInnen, die derzeit völlig neuartige Daten bei bisher unerforschten Energien auswerten", betonte Heuer vor VertreterInnen der internationalen Presse.

Österreichs Beitrag und Gewinn

Österreich ist bereits seit 1959 Teil der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) und  österreichische Forschungseinrichtungen leisten seit vielen Jahren wichtige Beiträge in der Kern- und Teilchenphysik. Ein Schwerpunkt der österreichischen Beteiligung am CERN ist die Mitarbeit bei internationalen Großexperimenten. So ist das Institut für Hochenergiephysik der ÖAW Gründungsmitglied des CMS-Experiments am CERN, einem der beiden großen Detektoren, in denen 2012 der Nachweis des Higgs-Bosons gelang. Auch das Institut für Theoretische Physik der Universität Wien, das Stefan-Meyer-Institut für subatomare Physik der ÖAW, das Atominstitut der TU Wien sowie fünf weitere österreichische Forschungseinrichtungen arbeiten auf dem Gebiet der experimentellen und theoretischen Kern- und Teilchenphysik.

Von der Grundlagenforschung österreichischer Forschungseinrichtungen hat nicht nur die Wissenschaft etwas. Die österreichische Wirtschaft profitiert vom Know‐how der neu entwickelten Technologien und von finanziellen Rückflüssen. Die österreichischen Kern‐ und Teilchenphysik‐Institute bieten ein exzellentes Ausbildungsprogramm und die NachwuchswissenschafterInnen sind von Beginn an in internationale Forschungsprojekte involviert. (Foto: CERN)


Update des CERN zum neugestarteten LHC

Ein Höhepunkt der Pressekonferenz war das Update des CERN zum neugestarteten LHC. Der schnellste und stärkste Teilchenbeschleuniger der Welt, auch als "Weltmaschine" bekannt, läuft seit seinem Neustart mit fast dem Doppelten der bisherigen Kollisionsenergie. Waren es vor der Wartungspause Energien von rund acht Tera-Elektronenvolt, so sind jetzt bereits bis zu 13 Tera-Elektronenvolt möglich.  Übersetzt entspricht diese Energie dem Milliardenfachen der Temperatur im Inneren der Sonne. Der Vorteil dieser hohen Energien: Je heftiger die Zusammenstöße der Protonen sind, desto exotischere, bislang unbekannte Partikel könnten auftauchen.

Selbst die Daten aus der ersten Betriebsphase des LHC sind noch voller Überraschungen, wie sich erst kürzlich wieder zeigte. Lange, nämlich bereits seit den 1960er Jahren, hatte man darüber spekuliert, jetzt wurde es erstmals sichtbar: das "Pentaquark", ein Konglomerat aus fünf Quarks und ein weiterer Meilenstein in der Teilchenphysik. "Mit den hohen Energien, die seit 2015 am LHC möglich sind, betreten wir physikalisches Neuland", betonte Rolf Heuer bei der Pressekonferenz, "denn diese Energien sind nie zuvor erreicht worden", so der Generaldirektor des CERN weiter.

27 km ist der Ringtunnel des LHC im CERN lang. In ihm werden zwei Strahlen, bestehend aus Paketen von jeweils 100 Mrd. Protonen, in gegenläufiger Richtung fast auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und alle 50 Nanosekunden frontal zur Kollision gebracht. Die Zahl der Pakete wird schrittweise erhöht und die Zeit zwischen den Kollisionen soll halbiert werden. Ziel ist, die Anzahl der Pakete im Beschleuniger auf 2000 pro Strahl zu steigern und damit unbekannte Teilchen zu finden. (Foto: CERN)


Prestigeträchtigste Preise der gegenwärtigen Physik

Bei der noch bis Mittwoch laufenden Teilchenphysik-Konferenz wurde erstmals in Wien auch einer der prestigeträchtigsten Preise der gegenwärtigen Physik vergeben: Der "High Energy and Particle Physics"-Preis der European Physical Society. Dessen Bedeutung unterstreicht auch die Tatsache, dass viele seiner bisherigen TrägerInnen später mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurden. Die PreisträgerInnen des EPS-Preises 2015 sind die theoretischen Physiker James D. Bjorken (Stanford), Guido Altarelli (Rom), Yuri L. Dokshitzer (Paris und St. Petersburg), Lev Lipatov (St. Petersburg) und Giorgio Parisi (Rom).

Einer der EPS-Preise, der "Giuseppe und Vanna Cocconi-Preis" für herausragende Leistungen im Bereich der Astrophysik, wurde in diesem Jahr an Francis Halzen verliehen. Halzen leitet eines der derzeit meistbeachteten Experimente der Astrophysik, das sich mit der Erforschung einer ganz besonderen Art von Teilchen befasst: das IceCube-Projekt sucht mit einem gigantischen Teleskop in der Antarktis nach Neutrinos im Weltall.

Teilchenphysik der Zukunft

Das Universum steht im Zentrum des Interesses der KonferenzteilnehmerInnen. Neben der Suche nach dunkler Materie und der Entstehung des Universums durch den Urknall versprechen auch die am LHC erreichten höheren Kollisionsenergien sowie die inzwischen atemberaubende Präzision der Ergebnisse aus der kosmologischen Forschung immer genauere Informationen über die Zusammensetzung und den Aufbau des Universums. (Erste Kollisionen bei hoher Energie im ATLAS-Experiment am LHC des CERN)

Die faszinierenden Rätsel an der Wurzel unserer Existenz waren auch Thema bei der gemeinsamen Strategiesitzung der European Physical Society und dem europäischen Komitee für zukünftige Beschleuniger, die im Rahmen der Konferenz stattfand. So hält die Frage, ob es eine Verbindung zwischen der Physik des Allerkleinsten und des Allergrößten gibt, gleichermaßen Teilchenphysik wie Kosmologie – der Wissenschaft vom Ursprung, der Entwicklung und der grundlegenden Struktur des Universums – in Atem.

Zu erwarten ist, dass zukünftig die Teilchenphysik und die Kosmologie noch enger verknüpft werden können – und damit Ergebnisse für zahlreiche weitere Gipfeltreffen der Physik liefern.Den Abschluss einer der weltweit größten Konferenzen der Teilchenphysik bildet am 29. Juli der Vortrag der designierten CERN-Generaldirektorin Fabiola Gianotti. Sie gibt einen Ausblick auf die Zukunft der Teilchenphysik und die nächste Generation von Beschleunigern. (APA/red)

 Zur Liste