"Künstliche Intelligenz ist besser als natürliche Dummheit"

Die digitale Zukunft überrollt uns nicht – wir können sie sozusagen selbst "programmieren", so das Fazit der Podiumsdiskussion zur Semesterfrage am 16. Jänner, die über 500 Interessierte an die Universität Wien lockte. Dieser Appell richtete sich besonders an die vielen jungen Menschen im Publikum.

Großer Andrang im Großen Festsaal: Heute diskutieren WissenschafterInnen der Universität Wien die aktuelle Semesterfrage: Wie leben wir in der digitalen Zukunft?
 
Das Interesse an der Veranstaltung ist so groß, dass die Diskussion in den Kleinen Festsaal sowie den Hörsaal 2 der Universität Wien übertragen wird. Hier ist man zwar nicht "live" dabei, aber: "Die Stimmung ist ausgelassen, wie im Kino", berichtet eine Besucherin.

Nach einer Begrüßung durch Rektor Heinz W. Engl wird eine Video-Rückschau auf die Semesterfrage ausgestrahlt: Auszüge aus den Interviews mit WissenschafterInnen der Universität Wien, die aus verschiedenen Bereichen einen Blick in die digitale Zukunft wagen – mal optimistisch, mal besorgt.

Rektor Heinz W. Engl

Vor zehn Jahren noch undenkbar, heute schon Realität: 2016 schlägt ein Computerprogramm einen Großmeister im chinesischen Strategie-Spiel Go. "Künstliche Intelligenz im Alltag: Besser als der Mensch?" Diese Frage zieht sich als roter Faden durch den Impulsvortrag von Wolfgang Wahlster, Leiter des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), der auf dem Gebiet innovativer Softwaretechnologien führenden Forschungseinrichtung Deutschlands, und Professor an der Universität des Saarlandes.

Impulsredner Wolfgang Wahlster

Google Home kauft via Sprachbefehl Operntickets und reserviert das Taxi gleich mit, Schiffe und Züge fahren autonom, Politsendungen werden in Echtzeit analysiert und mit Zusatzinfos ergänzt – keine unwahrscheinlichen Zukunftsvisionen, sondern bereits praktizierte Realität. Doch: "Der Takt kommt immer noch vom Menschen", so Informatiker Wahlster.

Aktuelle Supercomputer haben bis zu 93.000 Teraflops Rechenleistung, das menschliche Gehirn nur 10.000. "Für den Menschen schwere Probleme können Computer leicht lösen, anders herum bereiten für uns leichte Probleme der Maschine große Schwierigkeiten, beispielsweise ein Kind zu trösten oder eine SIM-Karte zu wechseln", erläutert Wahlster.

Woran liegt das? Im Maschinen-Mensch-Vergleich schneidet der Computer zwar im Bereich der kognitiven Intelligenz weitaus besser ab, im Hinblick auf sensomotorische, emotionale und soziale Intelligenz liegt aber der Mensch noch immer vorne. "Bei unseren Fußballrobotern haben wir das große Problem, dass sie nicht sozial spielen – der Doppelpass bereitet ihnen noch immer Schwierigkeiten", schmunzelt Wahlster. Ist die Künstliche Intelligenz also besser als der Mensch? "Noch lange nicht", schließt Wahlster seinen Vortrag: "Aber auf jeden Fall besser als natürliche Dummheit."     

V.l.n.r.: Wolfgang Wahlster, Michaela Pfadenhauer, Rainer Schüller (Bild unten), Claus Lamm, Martina Mara, Daniel Albertini

Im Anschluss an den Impulsvortrag diskutieren mit Wolfgang Wahlster und dem Moderator Rainer Schüller: Soziologin Michaela Pfadenhauer, Neurowissenschafter und Psychologe Claus Lamm von der Universität Wien, Roboterpsychologin und Alumna Martina Mara vom Ars Electronica Futurelab sowie der Co-Founder und CTO des Start-ups "Anyline" Daniel Albertini.

Moderator Rainer Schüller ist stv. Chefredakteur von "Der Standard", dem Kooperationspartner der Universität Wien im Projekt "Semesterfrage" – im Laufe des Wintersemesters 2016/17 sind neben Interviews und Videos in der Rubrik Semesterfrage im uni:view Magazin und am Blog der Universität Wien Kommentare und Q&A-Artikel von vier ExpertInnen aus verschiedenen Disziplinen der Universität Wien auf "derStandard.at" erschienen. Um in Zeiten von Hasspostings und Co. aktiv zu sachlichen Debatten und dem Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft anzuregen, so Schüller.

Roboterpsychologin Martina Mara

Womit beschäftigt sich eine Roboterpsychologin? Es gehe natürlich nicht darum, die Gefühle von Robotern zu analysieren, wie die Uni Wien Alumna auf die Frage des Moderators schmunzelt, sondern u.a. um Fragen der Akzeptanz von künstlicher Intelligenz, des Vertrauens in Technologie, der Zusammenarbeit von Mensch und Roboter. "Da wo der Roboter ein Werkzeug des Menschen bleibt, ist die Akzeptanz höher." Wichtig sei es, die Ängste der Menschen ernst zu nehmen – diese Skepsis sei übrigens in Japan nicht unbedingt kleiner als in Europa, wie oft angenommen werde.

Das Roboter-Phone im Bild oben heißt Robohon – eine Mischung aus humanoidem Roboter und Smartphone (in Japan um 198.000 Yen, umgerechnet 1.600 Euro zu haben). Martina Mara hat es von ihrer letzten Forschungsreise nach Japan zur Podiumsdiskussion mitgebracht – über ihre Erfahrungen in Japan berichtet sie aktuell im Beitrag "Die Roboter sind da! Ein Reisebericht aus Tokio" am Uni Wien Blog. Je menschenähnlicher ein Roboter sei, desto geringer die Akzeptanz bzw. größer das unter Fachleuten als "Uncanny Valley" (Tal des Unheimlichen") bezeichnete "Grusel-Gefühl".

Soziologin Michaela Pfadenhauer

Soziologin Michaela Pfadenhauer beschäftigt sich in ihrer Forschung mit der Frage, wie sich die Gesellschaft durch die Interaktion mit Robotern verändert (zum Interview mit Michaela Pfadenhauer: "Wer hat Angst vor humanoiden Robotern?"). Man dürfe sich die digitale Zukunft nicht eindimensional vorstellen: "Sie wird vielfältig sein". Menschen werden sich individuelle Räume schaffen, unterschiedliche Lebensstile pflegen, in denen Technologie mal mehr, mal weniger wichtig ist – zumindest im privaten Bereich, in der Arbeitswelt sind die Wahlmöglichkeiten eingeschränkter. "Auf jeden Fall wird die digitale Zukunft eine bewegte", so Pfadenhauer.

Neurowissenschafter Claus Lamm (oben), Start-up Co-Founder Daniel Albertini (unten)

Ist nun der Mensch oder die Maschine klüger? Was soziale und emotionale Intelligenz betrifft, so immer noch der Mensch, stimmt Claus Lamm dem Impulsredner Wahlster zu und betont: Im Zentrum aller Entwicklungen in Richtung künstliche Intelligenz müsse der Mensch bzw. die Frage des maximalen Nutzens für den Menschen stehen. Dass es in 50 Jahren kein Lenkrad mehr geben wird, wie er in seinem Videobeitrag zum Futurelab 2015 prognostizierte, glaubt der Neurowissenschafter mittlerweile nicht mehr: Es wird auch im automatisierten Auto ein Lenkrad geben, wenngleich nur als "psychologisches Element", um den menschlichen FahrerInnen das Gefühl von Kontrollverlust zu nehmen (zum Interview mit Claus Lamm: "Die digitale Zukunft ist bereits Gegenwart"). Das kann Fachkollegin Martina Mara aus der Praxis bestätigen: "Das Lenkrad wird bleiben, zumindest in einer langen Übergangszeit, auch wenn es technisch nicht mehr nötig sein wird."

"Maschinen sind die besseren Autofahrer", so Daniel Albertini, der die Start-up Szene kennt und hier im Bereich Automatisierung die spannendsten Entwicklungen beobachtet – die größte Gefahr im Straßenverkehr der Zukunft werden die Menschen, nicht die Roboter sein. Im Arbeitsalltag bringen Albertini und seine ArbeitskollegInnen Smartphones das Lesen bei – zum Beispiel von Stromzählern oder Führerscheinen. "Das Lesenlernen funktioniert beim Smartphone nicht viel anders als bei Kindern, nur wesentlich schneller", beantwortet er die Frage des Moderators Rainer Schüller. Das von ihm mitgegründete Unternehmen "Anyline" ist sehr erfolgreich und hat schon mehrere Preise und Förderungen sowie Investments in Millionenhöhe erhalten.


Ergebnis der Umfrage "Wo werden wir die Digitalisierung am deutlichsten spüren?" auf "derStandard.at"

Im Vorfeld der Podiumsdiskussion hatte der Semesterfrage-Kooperationspartner "Der Standard" online seinen UserInnen die Frage gestellt: Welche Branche werden digitale Technologien und künstliche Intelligenz künftig am stärksten verändern?. 43,5 Prozent der Umfrage-TeilnehmerInnen haben auf "Transport und Verkehr" getippt – und liegen damit laut Wolfgang Wahlster falsch: "Die größte Veränderung wird es im beruflichen Leben geben", ist er sich sicher, und auch, dass Angst vor Arbeitsplatzverlust unnötig sei: "Jene Länder, die stärker digitalisieren, werden auch die wirtschaftlich fortschrittlichsten sein" und "Ohne Menschen läuft gar nichts!"



In der Endrunde betonen alle PodiumsteilnehmerInnen die Bedeutung von Richtlinien und Gesetzen für den Einsatz von Robotern – beispielsweise eine Art Roboter-TÜV. Wahlster hebt die "produktive Skepsis" in Europa hervor, die es ermögliche, wichtige ethische Fragen von Anfang an in der Produktentwicklung  mitzudenken. Martina Mara lobt den vor kurzem veröffentlichten EU-Resolutionsentwurf "mit Empfehlungen an die Kommission zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik". Lamm fügt hinzu, dass aber nicht nur rechtliche Rahmenbedingungen und Haftungsfragen nötig seien, sondern die Bevölkerung eingebunden werden oder sich selbst einbringen müsse – im Gegensatz beispielsweise zum Thema Gentechnologie gäbe es im Bereich Digitalisierung wenige Gegenbewegungen. Wolfgang Wahlster schließt mit den Worten: "Die digitale Zukunft können wir selbst bestimmen – bzw. umprogrammieren – und sollten sie uns nicht von Konzernen diktieren lassen." Die digitale Zukunft bringt Chancen und Risiken – aller technische Fortschritt muss am Menschen orientiert sein, so der Konsens am Podium.



Bevor es nebenan in den Senatssaal zum Weiterdiskutieren und Begutachten der Roboter-Mitbringsel von Martina Mara geht, bekommen die zahlreichen Gäste der Podiumsdiskussion bereits einen kleinen Vorgeschmack auf das nächste Semester: "Gesundheit aus dem Labor – was ist möglich?" lautet die Semesterfrage im Sommersemester 2017.

Hier können Sie die gesamte Podiumsdiskussion online nachschauen:

Alle Antworten und Zukunftsprognosen von ExpertInnen der Universität Wien zur Semesterfrage 2016/17 "Wie leben wir in der digitalen Zukunft?" finden Sie hier. (Fotos: derknopfdruecker.com/Text: uni:view Redaktion)