Rektor Engl: "Wir befinden uns in einer spannenden Phase"

Die Universitäten erwarten für die Jahre 2019 bis 2021 deutlich mehr Geld – und Rektor Heinz W. Engl hat einiges damit vor. Wie seine Pläne im Detail aussehen, wo er die Stärken der Universität Wien sieht und warum Kooperationen wichtig sind, erklärt er im Interview.

uni:view: Herr Rektor, Sie treten 2019 eine weitere dritte Amtsperiode an. Was ist Ihre Motivation?
Heinz W. Engl: Die Universität befindet sich gerade in einer sehr spannenden Phase – vor allem was die bevorstehenden Entwicklungen in Forschung und Lehre betrifft. Aufgrund der Nationalratsbeschlüsse vom letzten Juni kommt es zu einer deutlichen Budgeterhöhung. Darauf haben wir uns als Universität detailliert vorbereitet. Mit der Ausschreibung von bis zu 70 zusätzlichen Professuren wollen wir in neue Gebiete vordringen und bestehende Fächer stärken. Um die Pläne innerhalb der nächsten drei Jahre umsetzen zu können, bedarf es jedoch großer Anstrengungen aller Beteiligten – u.a. um den nötigen zusätzlichen Raum zu schaffen. Daher ist es nun wichtig, am Ball zu bleiben.

uni:view: Sie gehen von einer Zusatzfinanzierung aus. Was ist Ihr "Plan B", falls die zugesagten Gelder ausbleiben? Sind Studiengebühren für Sie eine Option?
Engl: Ich glaube nicht, dass der neu gewählte Nationalrat, der sich ebenfalls zum Vorrang von Bildung und Forschung bekennt, die bereits beschlossene Finanzierung wieder rückgängig macht. Natürlich stehen noch Verhandlungen an – etwa was die Verteilung der Gelder betrifft. Vergleichen wir uns mit Universitäten in Deutschland oder der Schweiz, die über deutlich mehr Budget verfügen, ist die Zusatzfinanzierung absolut notwendig und kann nur als erster wichtiger Schritt gesehen werden.

Diese Zusatzfinanzierung darf aber nicht über Studiengebühren kommen. Zwar stehen sie im Regierungsprogramm, doch sind sie nicht die oberste Priorität des Ministers. Heinz Faßmann hat kürzlich betont, dass zunächst die "Universitätsfinanzierung Neu" komme und man dann weitersehe. Die beiden Dinge haben – aus meiner Sicht hoffentlich – nichts miteinander zu tun.

uni:view: Ein Punkt, der vor allem universitätsintern immer wieder für Kritik sorgt, sind die Karriereperspektiven für JungwissenschafterInnen. Was ist aus Ihrer Sicht wichtig für eine erfolgreiche wissenschaftliche Karriere? 
Engl: Notwendig ist ein echtes "Tenure Track System", wie wir es vor knapp zwei Jahren einführen konnten. Damit können WissenschafterInnen bereits in jungen Jahren auf eine Professur berufen werden – zunächst als Assistant Professor. Die Perspektiven auf ein unbefristetes Dienstverhältnis sowie die Qualitätsstandards sind klar abgesteckt. Ist die Karrierestufe "Assoziierte Professur" erreicht, konkurrieren die WissenschafterInnen – wie auch in Amerika üblich – um ordentliche Professuren. Im Rahmen dieses Verfahrens wurden im letzten Jahr 20 Personen "Full Professor". Das hat die Attraktivität der Laufbahnstellen am internationalen akademischen Arbeitsmarkt deutlich erhöht, da es sich jetzt um echte "Tenure Track Stellen" handelt, was auch für die Konkurrenzfähigkeit der Universität wichtig ist. Natürlich hat dadurch nicht jeder und jede eine gesicherte Karriereperspektive – aber es gibt klar abschätzbare Chancen für alle.

Genauso wichtig ist der internationale Austausch. Im Entwicklungsplan wird betont, dass die Karriere an der Universität Wien typischerweise international orientiert ist. Vom Bachelor bis zum Full Professor an ein und derselben Uni – solche Karrieren gibt es im heutigen Wissenschaftssystem kaum noch. 

uni:view: Im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Karrieren wird auch oft die sogenannte Kettenvertragsregelung diskutiert …
Engl: Sie ist ein Baustein in diesem System, der meines Erachtens zu unflexibel ist. Ein befristetes Dienstverhältnis ist aktuell nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen verlängerbar, die Jahresgrenze liegt strikt bei sechs Jahren – und nur unter bestimmten Bedingungen bei zehn. Mit jeder Gesetzesnovelle haben wir – d.h. die Universitäten – versucht, ein bisschen mehr Flexibilität zu erzielen. Auch wenn es gewisse Fortschritte gegeben hat, ist das System aber noch zu starr. 

uni:view: Obwohl der Anteil von Frauen bei Professuren in den letzten Jahren ansteigt, gibt es immer noch einen deutlichen Unterschied in den Karriereverläufen. Wie wurde die Erhöhung des Frauenanteils erreicht und welche Maßnahmen möchten Sie noch setzen? 
Engl: Die Erhöhung des Frauenanteils ist natürlich auch ein internationaler Trend: Wenn wir Professuren ausschreiben, hängt die Erfolgschance von Frauen, berufen zu werden, auch davon ab, wie viele qualifizierte Frauen sich auf eine ausgeschriebene Stelle bewerben. Und da hat sich in den letzten Jahren viel getan – in den Naturwissenschaften hat es etwas länger gedauert als in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Heute haben wir auch in der Mathematik, Chemie und Physik mehrere Professorinnen – vor zehn Jahren gab es in diesen Fächern praktisch keine.

Es gibt an der Universität Wien ein Karriereförderungsmodell für Frauen, die Berta-Karlik-Professur, das allerdings in einer zu späten Karrierestufe ansetzt. Vor allem in der späten Postdoc-Phase stehen Frauen oft vor der Herausforderung, Familienplanung und berufliche Entwicklung unter einen Hut zu bringen. Hier wollen wir mit der Förderung ansetzen und dafür das Berta-Karlik-Modell neu konzipieren. Das ist zwar eine relativ kleine Maßnahme, aber ein weiterer Beitrag. Ich denke, dass sich die "gläserne Decke" insgesamt nach oben verschoben hat. 

uni:view: Welche Forschungsfelder wollen Sie in Zukunft besonders stärken?
Engl: Wir wollen natürlich die Forschung insgesamt stärken, und das hat auch Auswirkungen auf die Lehre. Im Detail überlegen wir uns, in welchen Bereichen die Universität Wien Chancen hat, ihre bedeutende internationale Position zu halten oder gar auszubauen. Durch die starke Konkurrenz insbesondere aus Ostasien und der US-Westküste ist das nicht einfach. Wir gehen nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern sehr fokussiert vor. Der fachlichen Breite der Uni Wien entsprechend ist dabei Interdisziplinarität (immer basierend auf disziplinärer Stärke) eine besondere Chance. Im Rahmen von Forschungsplattformen oder anderen Fördermechanismen bereiten wir das über Jahre hinweg vor. Ein Beispiel von vielen ist etwa die Forschungsplattform "Cognitive Science", die von der Psychologie über die Lebenswissenschaften bis in die Geisteswissenschaften reicht. Mit einem solch breiten Profil können andere Universitäten nicht konkurrieren.

Und hier liegt ein Anknüpfungspunkt zu den Neurowissenschaften; dieses Gebiet wird international enorm ausgebaut – ausgehend von der Kognitionsforschung machen wir das in Teilgebieten, in denen wir eine Spitzenstellung erreichen können. Hier sind internationale und nationale Kooperationen besonders wichtig, vor allem mit der MedUni Wien und der Veterinärmedizinischen Universität. Wir stimmen uns ab und bauen gemeinsame Strukturen auf, etwa ein Mikrobiomzentrum. Auch wenn wir von der MedUni Wien seit 15 Jahren als Universität getrennt sind, gibt es in der Forschung Brücken, die wir weiter stärken wollen.

uni:view: Welches Ziel verfolgen Sie im Bereich Studium und Lehre? Sind die sogenannten Massive Open Online Courses (Moocs) noch ein mögliches Thema?
Engl: Vor ein paar Jahren waren die Moocs der große Hype – insbesondere in den USA. Wir setzen aber nicht darauf, ganze Studienprogramme online anzubieten. Das Charakteristikum einer Universität ist der persönliche Kontakt zwischen Forschenden, Lehrenden und Studierenden – Digitalisierung wird die Lehre allerdings unterstützen.

Christa Schnabl (Anm. d. Red.: Vizerektorin für Studium und Lehre) setzt auf das Modell des Flipped Classroom: Es gibt keinen klassischen Frontalunterricht mehr – die Studierenden bereiten sich vor und nutzen die Präsenzzeiten um Fragen abzuklären. Das ist für beide Seiten herausfordernd und nur mit einem angemessenen quantitativen Betreuungsverhältnis möglich. Wobei wir wieder bei der nötigen Zusatzfinanzierung wären. 

uni:view: Forschen und Lehren sind Kernaufgaben von Universitäten. Seit einiger Zeit ist zusätzlich vom Wissensaustausch, bezeichnet auch als "Third Mission", die Rede. Wie weit ist die Universität Wien in dieser "Mission"?
Engl: Nicht so weit, wie ich es gerne hätte. Bevor ich an die Universität Wien kam, hatte ich eine Professur für Industrial Mathematics – d.h. als Mathematiker habe ich sehr viel mit der Industrie kooperiert. Es war mir immer ein Anliegen, Wissenschaft und Praxis miteinander zu vernetzen. Das bedeutet aber nicht, dass Universitäten Services für die Industrie oder die Gesellschaft – sozusagen als verlängerte Werkbank – leisten sollen, sondern es geht um die gemeinsame Forschung und Kooperation.

Darum ist hier das Wort "Wissensaustausch" wichtig. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Kontakt zur Praxis ganz neue Grundlagenforschungsfragen in die Uni hineinbringt. Die Universität Wien ist natürlich stärker als eine technische Uni auf reine Grundlagenforschung ausgerichtet. Und natürlich gibt es bereits Kooperationen mit der Praxis – aber das ist durchaus noch ausbaufähig.

uni:view: Sie sprechen hier nur von den Naturwissenschaften?
Engl: Nein, der Wissensaustausch ist nicht nur für die Naturwissenschaften, sondern auch für die Geistes- und Sozialwissenschaften ein wesentliches Thema. Hier geht es verstärkt um das Bereitstellen wissenschaftlicher Grundlagen – letzten Endes auch für die Politik. Die Naturwissenschaften und die Geisteswissenschaften greifen an der Universität Wien eng ineinander – und das muss auch nach außen kommuniziert werden. Wir haben uns diesem generellen Thema durch ein Projekt unter Leitung der Professorinnen Barbara Schober, Christiane Spiel und Veronika Somoza genähert, in dem zunächst erhoben wurde, welche vielfältigen Aktivitäten es in diesem Bereich an unserer großen Universität bereits gibt.

uni:view: Eine stärkere Wahrnehmung – sei es von innen als auch von außen – erreicht die Universität Wien unter anderem mit der Semesterfrage … 
Engl: Ja, damit haben wir wichtige Erfolge in diese Richtung erzielt: Die Semesterfrage erregt Aufmerksamkeit und macht der Öffentlichkeit klar, dass die Universität Wien etwas zu aktuellen Debatten beitragen kann; und zwar nicht nur in einem Fach, sondern aus verschiedenen Fachrichtungen und Perspektiven heraus. Die Universität Wien zeigt damit, dass sie Themen aufgreift, die für die Gesellschaft von Interesse sind.

"Die letzte Podiumsdiskussion zur Semesterfrage hat 1200 Personen angezogen. Diese Veranstaltung ist aber nur die Kulmination: Ein Semester lang haben WissenschafterInnen der Universität Wien die Möglichkeit, im Rahmen verschiedenster Kommunikations-Formate ihre Antwort zur Semesterfrage aus dem jeweiligen fachlichen Blickwinkel darzustellen", so Rektor Engl – im Bild bei der Podiumsdiskussion im Audimax am 15. Jänner zum Thema Zukunft der Demokratie. (Foto: Universität Wien/ derknopfdruecker.com)

uni:view: Zum Thema Europäisierung und Internationalisierung: Wie präsentiert sich die Universität Wien heute und wie wichtig sind internationale Kooperationen?
Engl: Gerade erst war der Präsident der Fudan University in Shanghai bei mir zu Gast. In China gibt es vor allem in Fachbereichen, die auch technologisch wichtig sind, eine ungeheure Entwicklung aufgrund enormer Investitionen, z.B. in der Hirnforschung. In einem unserer traditionellen Stärkefelder, der Quantenphysik – der führende chinesische Quantenphysiker Jian Wei-Pan hat an der Universität Wien bei Anton Zeilinger promoviert –, müssen wir viel mehr investieren, um nicht den Anschluss zu verlieren. Die wissenschaftliche Konkurrenz hat sich vom Silicon Valley nach Ostasien verlagert.

Um selbst konkurrenzfähig zu bleiben, helfen uns Kooperationen mit Spitzenunis wie der Fudan University. Und hier spielen Rankings eine wichtige Rolle. Zwar bewerte ich globale Rankings einer Gesamtuni nicht besonders hoch bei der Frage ihrer Wissenschaftlichkeit, doch haben sie einen beachtlichen Einfluss auf die Frage, wer mit uns kooperieren will.

uni:view: Wobei die Universität Wien in letzter Zeit bei Rankings in der Gesamtwertung schlechter abschneidet …
Engl: Das liegt an den ungünstigen quantitativen Betreuungsverhältnissen. Schaut man sich aber die relevanteren Fachrankings an, sind wir immer noch sehr gut. So sind z.B. die Geisteswissenschaften und die Mathematik der Universität Wien unter den Top 40 weltweit gereiht. 

uni:view: Apropos Kooperationen: Die Universität Wien ist seit letztem Jahr auch Mitglied in "The Guild". Wie unterscheidet sich diese Organisation von anderen europäischen Netzwerken?
Engl: Das ist Forschungsstrategie auf europäischer Ebene. Es gibt mehrere universitäre Organisationen in Europa, u.a. auch die European University Association, die von meinem Vorgänger Rektor Winckler mit ins Leben gerufen wurde. Der Elite-Club der Universitäten, die League of European Research Universities (LERU), vereint wenige Top-Universitäten wie Oxford und Cambridge. The Guild (European Research-Intensive Universities) sieht sich ähnlich wie LERU nicht als Breiten-Institution, sondern vereint jene Universitäten, die in der nächsten Liga hinter Oxford und Cambridge spielen – derzeit 19 Mitglieder. Die Aufnahme erfolgt wie bei LERU nach bestimmten Qualitätskriterien.

uni:view: Welches Ziel verfolgt "The Guild"?
Engl: Gemeinsam die Entwicklungen in der Europäischen Union im Forschungs- und Bildungsbereich mitzugestalten sowie die Unterschiede zwischen den Universitäten, vor allem zwischen den alten und neuen EU-Ländern ohne Vernachlässigung einer strikten Qualitätsorientierung auszugleichen. The Guild will auch die budgetäre Ausstattung von Forschung und Lehre beeinflussen. Die EU verfügt über riesige Förderprogramme, die durch den Brexit unter finanziellen Druck geraten. Noch vor zehn Jahren war die EU im Bereich der Forschungsförderung nur "Mission Oriented", d.h. die Programme waren stark industriegesteuert. Erst seit einigen Jahren wird verstärkt in die Grundlagenforschung investiert – u.a. im Rahmen der ERC Grants. In The Guild geht es darum, die Grundlagenforschung in der EU zu verteidigen – und zwar nicht nur abstrakt, sondern finanziell. Dazu braucht man starkes Lobbying in der Brüsseler Politik.

uni:view: Wenn Sie auf Ihre bisherige Zeit an der Universität Wien zurückblicken: Was waren für Sie persönlich die wichtigsten Meilensteine?
Engl: Als ich 2007 von der Universität Linz als Vizerektor für Forschung an die Universität Wien kam und 2011 Rektor wurde, war das etwas Besonderes. Immerhin war es rund 500 Jahre her, dass zuletzt ein Rektor von außen an die Universität Wien kam. Als Vizerektor habe ich Forschung an der Universität Wien kennengelernt und auch beeinflusst – das war eine wichtige Lehrzeit für mich.

Rückblickend hat die Universität Wien in den letzten Jahren eine dynamische Entwicklung durchlaufen. Das schreibe ich natürlich nicht nur mir zu, sondern vielen KollegInnen an der Universität sowie den politischen Rahmenbedingungen. Zwar waren es zunächst nur kleine Schritte, aber über einen längeren Zeitraum betrachtet, hat sich einiges verbessert – nicht zuletzt durch die Autonomie der Universitäten. Früher war jede einzelne Berufung eine Entscheidung des Ministers – heute entscheiden wir selbst, welche Schwerpunkte wir setzen. 

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (ps)