Jean-Robert Tyran: "Wir wollen global Präsenz zeigen"

Die "Mobility Fellowships – Chicago, Jerusalem, Kyoto" ermöglichen ForscherInnen, drei Wochen bis drei Monate an diesen Spitzenuniversitäten zu arbeiten und zu forschen. Vizerektor Jean-Robert Tyran spricht im Interview über das Programm als "Türöffner zur Welt".

Die Universität Wien hat mittlerweile zwei Strategische Partnerschaften abgeschlossen, eine mit der University of Chicago und eine mit der Hebrew University of Jerusalem. Mit dem Abschluss einer Forschungspartnerschaft mit der Universität Kyoto wurde eine weitere Vorstufe zu einer solchen Partnerschaft erreicht. Worin liegt Ihrer Meinung nach das Potenzial solcher Kooperationen?
Jean-Robert Tyran: Wir haben sehr viele Partnerschaften, zur Zeit mit etwa 80 Universitäten. Es ist wichtig, mit vielen Unis vernetzt zu sein, aber die Erfahrung zeigt, dass man auch Geld einsetzen muss, wenn man wirklich vertiefte Beziehungen haben und diese auf eine dauerhafte Basis bringen will. Das ist nur mit ausgewählten Universitäten möglich. Für die Strategischen Partnerschaften wählen wir nach einem Kriterienset auf der Basis bereits bestehender wissenschaftlicher Kontakte und wissenschaftlicher Exzellenz (Fachrankings) aus. Wir wollen damit bestehende Forschungskooperationen vertiefen und dabei zu kritischer Größe in der Kooperation kommen. Die Strategischen Partnerschaften sind für die Vernetzung mit Non-EU Universitäten gedacht: Wir wollen global Präsenz zeigen und uns mit den Besten der Welt vernetzen.

Sie sagen, man muss Geld in die Hand nehmen, um die Partnerschaften zu vertiefen. Das tut die Uni Wien jetzt: Zum ersten Mal schreibt sie ein Mobility Fellowship Programm im Rahmen der Strategischen Partnerschaften aus. Was beinhaltet dieses Programm und was ist das Ziel dieser Fördermaßnahme? 
Tyran: Wir bieten ForscherInnen aller Stufen – Praedocs, Postdocs, aber auch langjährigen WissenschafterInnen – die Möglichkeit, zwischen drei Wochen und drei Monate an solche Spitzenuniversitäten zu gehen, damit sie im Austausch mit den dortigen WissenschafterInnen gemeinsam eine Forschungsarbeit durchführen können. Wir finanzieren diese Aufenthalte mit 550 Euro pro Woche – für erhöhte Lebenskosten wie z.B. eine Unterkunft im Ausland –, und zwar zusätzlich zu den laufenden Bezügen.

Das Mobility Fellowship Programm ermöglicht also wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen den ForscherInnen der Universität Wien und ihren Strategischen Partneruniversitäten?
Tyran: Genau. Die Wissenschaft ist stetig kollaborativer geworden. Wenn Sie die Arbeiten anschauen, die vor 100 Jahren in meinem Fach (Anm. d Redaktion: Volkswirtschaftslehre) publiziert wurden, war praktisch alles "single authored". Einer hat sich in sein Kämmerchen gesetzt und dann Jahre später ein Buch veröffentlicht. Heutzutage publizieren die Forscher und Forscherinnen in meinem Fach praktisch alle in Zeitschriften und in Gruppen – der Publikationsprozess hat sich beschleunigt. Das hat mit der Spezialisierung in der Wissenschaft zu tun. Weil das Wissen ausdifferenziert wird, müssen sich WissenschafterInnen zunehmend spezialisieren, um auf einem bestimmten Gebiet Fachfrau bzw. Fachmann zu sein. Und sie arbeiten mit KollegInnen zusammen, die wiederum andere spezialisierte Fähigkeiten haben. Ein anderer Grund für Kollaboration sind die Kosten der Forschungsgeräte und der Zugang zu Forschungsinfrastrukturen. Wenn ForscherInnen für ihre Laborarbeit teure Infrastruktur benötigen, dann können sie ein Paper meist schon aus Kostengründen nicht allein schreiben. 

Heute ist es allgemein einfacher geworden, international zusammenzuarbeiten. Weil die Kommunikationskosten viel niedriger sind, kann man Videokonferenzen machen, anrufen, via E-Mail kommunizieren oder schnell irgendwohin fliegen. Dadurch können sich spezielle Forschungspartnerschaften entwickeln, die in Österreich so nicht möglich sind. Das trifft nicht nur auf mein Fach zu. Allein mit österreichischen PartnerInnen kann die Tiefsee nicht sinnvoll untersucht werden. Die leistungsstärksten Teleskope der Welt stehen auch nicht in Österreich. Außerdem ist es wohl in allen Bereichen der Wissenschaft erbaulich und interessant, mit anderen zusammenzuarbeiten.

Ist es dank dieser Kommunikationsmöglichkeiten noch notwendig, einen tatsächlichen physischen Kontakt herzustellen?
Tyran: Der Faktor Mensch bleibt sehr wichtig. Wenn man schon ein Projekt hat und genau weiß, worüber man sprechen will, kann viel über E-Mail und Skype abgewickelt werden. Aber gerade für die kreative Phase, für das Entdecken neuer Dinge, ist das gemeinsame Kaffee trinken oder spazieren gehen oft wichtig. Es gibt eine schöne Biographie von Amos Tversky und Daniel Kahneman (Anm. der Red.: Michael Lewis: "Aus der Welt"), in der beschrieben wird, wie stundenlange Spaziergänge in Stanford die Grundlage für ihre bahnbrechende verhaltensökonomische Forschung war. Indirekt haben diese Spaziergänge ein Forschungsprogramm hervorgebracht, das über 20 Jahre wichtige Einsichten generiert und Kahneman einen Nobelpreis eingebracht hat (Tversky ist leider früh verstorben).

Das Mobility Fellowship Programm soll also auch die Möglichkeit eröffnen, vor Ort Leute kennenzulernen und Kontakte zu knüpfen ...
Tyran: Ja, das Programm ist für junge ForscherInnen eine gute Möglichkeit, eine Forschungsgruppe oder ein Labor zu besuchen und an diesem Ort neue Leute kennenzulernen. Man kann durch die physische Präsenz und aufgrund informeller Kontakte vor Ort Beziehungen aufbauen, die man sonst nicht aufbauen hätte können. Diese drei Monate sollen nicht nur eine Episode sein, sondern der Start einer nachhaltigen Forschungsbeziehung, in der man später über Skype oder andere Tools in Kontakt bleibt, um gemeinsam Arbeiten zu schreiben. Das Programm soll – vor allem für unsere jüngeren – ForscherInnen ein Tor zur Welt sein. Um den Kontakt später aufrecht zu erhalten, finanzieren wir Joint Seminars mit den Strategischen Partneruniversitäten. Dabei werden Seminare von Angehörigen unserer Universität mit WissenschafterInnen der Partneruniversitäten gefördert, um gemeinsame Forschungsprojekte (weiter) zu entwickeln und Drittmittelanträge vorzubereiten.

Noch ein Ausblick im Bereich der Strategischen Partnerschaften: Wo soll die Universität Wien in drei Jahren stehen? 
Tyran: Auf unserem Fahrplan für den Ausbau stehen drei Universitäten: Wir möchten eine Universität in Australien gewinnen und natürlich wollen wir Kooperationen mit Asien weiter ausbauen. China ist mein nächstes Ziel. Dort herrscht eine beeindruckende Dynamik. Das Land steht an der Schwelle, die nächste Weltmacht – in Wirtschaft und Forschung – zu werden. Wir sind daher mit absoluten Spitzen-Universitäten in China im Gespräch. Und wir wollen – Stichwort Brexit – auch eine Top-Universität in Großbritannien ansprechen, da die englischen Universitäten aktuell ein Interesse haben, mit Partnern auf dem Kontinent zusammenzuarbeiten. 

Das Interview führte Michaela Fiska von der DLE Internationale BeziehungenAnsprechperson zum Thema Strategische Partnerschaften im International Office ist Franz Michalke (franz.michalke(a)univie.ac.at).