In memoriam Manfred Kremser (1950-2013)

Das Institut für Kultur- und Sozialanthropologie trauert um Manfred Kremser, der am 3. März 2013 im 63. Lebensjahr verstorben ist. Die Verabschiedung findet am 22. März um 13 Uhr in der Feuerhalle Simmering statt.

Mit Bestürzung und Trauer erfahren wir, dass Manfred Kremser – unser Freund, Kollege und Lehrer – nicht mehr unter uns ist. Er ist vergangenes Wochenende, am 3. März 2013, im 63. Lebensjahr in seinem Heimatort Wiesen seinem Krebsleiden erlegen. Er hat seine lange schwere Krankheit auf bewundernswerte Weise – mit Mut, Zuversicht und Charakterstärke – getragen, und jene, die ihn in den vergangenen Monaten erlebt haben, haben noch zuletzt viel von ihm gelernt.

Manfred Kremser begann 1971, nach einem wohl prägenden einjährigen Aufenthalt in Südafrika, an der Universität Wien ein Studium der Völkerkunde und Psychologie. Bereits ein Jahr später war er wieder in Afrika, bei den Azande im damaligen Zaire, gemeinsam mit Armin Prinz, der aufbauend auf den Erfahrungen dieser Feldforschung die Ethnomedizin in Wien etablierte und zum lebenslangen engen Freund wurde. Kremser erwies sich rasch als leidenschaftlicher Feldforscher. Vor allem die 1970er und 1980er Jahre waren von langdauernden Feldaufenthalten geprägt. Die wichtigsten Stationen: Zaire, Indien, Mali, St. Lucia, Kuba, danach zunehmend der Cyberspace.

Die während dieser jahrelangen Feldforschungen gesammelten Ton-, Film- und Bilddokumente sind nicht nur im Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien zugänglich, sondern auch in audio-visuellen Archiven in Kinshasa (Demokratische Republik Kongo), Mumbai (Indien), Bamako (Mali), Castries (St. Lucia) und London. Dies zeigt, wie ernst es ihm mit seinem Credo, anthropologische Feldforschung solle partizipativ sein, von Anfang an war.

Auf der Grundlage seiner ersten Feldforschungen dissertierte er 1978 bei Walter Hirschberg zum Thema Hexerei ("Mangu") bei den Azande: Ein Beitrag zum Verständnis kulturspezifischer Krankheitskonzeptionen eines zentralafrikanischen Volkes. 1980 machte ihn Hirschbergs Nachfolger am damaligen Institut für Völkerkunde, Karl R. Wernhart, zu seinem ersten Assistenten.
Mit Wernhart arbeitete er an einer methodologisch fundierten Neuformulierung der von Hirschberg begründeten Wiener Ethnohistorie. Die zunehmende Hinwendung der Ethnohistorie zur ethnographischen Feldforschung darf in hohem Ausmaß ihm zugeschrieben werden. Auch an einem neuen Forschungsschwerpunkt Wernharts zur afrikanischen Diaspora in der Karibik hatte Manfred Kremser entscheidenden Anteil. Daraus ging vor allem das zehnjährige interdisziplinäre Kooperationsprojekt in St. Lucia (1982–92) gemeinsam mit dem Folk Reseach Centre und der National Research and Development Foundation in St. Lucia hervor. Die Ergebnisse dieser Forschungen erschienen in einer Serie von Buchpublikationen, deren Co-Autor und Herausgeber oder Mitherausgeber er war. Etwa zeitgleich wirkte er an den interdisziplinären Forschungen zu Generationenbeziehungen des Soziologen Leopold Rosenmayr mit, die in Mali (so wie das St. Lucia-Projekt) mit einheimischen Kooperationspartnern durchgeführt wurde.

Die 2001 vorgelegte Arbeit Shangó-Transformationen: Vom traditionellen Donnergott der Yoruba zum digitalen Blitzgewitter im Cyberspace brachte ihm die Habilitation für das Gesamtfach Ethnologie und die Position eines außerordentlichen Professors am Institut für Ethnologie, Kultur- und Sozialanthropologie ein. Sie belegt die Weiterentwicklung seiner Forschungsinteressen von der anfänglich traditionell ethnologisch konnotierten Orientierung auf religiöse, rituelle und und therapeutische Praktiken hin zu einer Bewusstseinsforschung, die regionale Verankerungen transzendierte und die Grenzen des Faches und der Erkenntnisfähigkeit insgesamt erweiterte, aber auch naturwissenschaftlich orientierte kognitive Ansätze integrierte.

Das Interesse für die Grenzgebiete der Wissenschaftlichkeit brachte ihn zur Österreichischen Gesellschaft für Parapsychologie und Grenzbereiche der Wissenschaften, deren Präsident er seit 1997 war. Andere Leitungsfunktionen, die er im Lauf der Jahre übernahm, zeugen von der Breite und Vielfalt seiner Arbeitsgebiete: Vizepräsident der Society for Caribbean Research (SOCARE) (1988–99), Obmann des Vereins für Interkulturelle Arbeit (1992–99), Vizepräsident der Gesellschaft für Theaterethnologie (1997–2002), Präsident der Österreichischen Ethnomedizinischen Gesellschaft (2005–09).

Am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie wurde unter Kremsers Leitung als Studienkommissionsvorsitzender 2002 die grundlegende Reform des Diplomstudiums abgeschlossen, die mit einer verbesserten Methodenausbildung und einer völlig neuen Orientierung auf fachnahe außerwissenschaftliche Berufsfelder den ständig steigenden Studierendenzahlen Rechnung trug. Überhaupt stand in den 1990er und 2000er Jahren Kremsers Lehrerpersönlichkeit im Vordergrund. Seine Vorlesungen und Seminare zogen viele Studierende fast "magisch" an, faszinierten durch Performance, vermittelten ungewöhnliche Einsichten, ließen Raum für intellektuelle Auseinandersetzung wie für spielerische Leichtigkeit. Auch in der Betreuung von Abschlussarbeiten gewährte er weite Freiräume. Dies ermöglichte Themen, die manche von uns KollegInnen gelegentlich irritierend fanden. Er hat aber auch wissenschaftlichen Nachwuchs generiert, der, ohne zwangsdiszipliniert worden zu sein, sich in hochkompetitiven Bereichen von Forschung und Lehre bewährt.

Manfreds zahlreiche Publikationen kreisen um Themenfelder wie Ethnomedizin, Heilung, Schamanismus, Religion, Ritual, Ethnographie und Methodologie der Ethnohistorie, veränderte Bewusstseinszustände, Neue Medien und Cyberkultur, und ganz allgemein das, was er als ethnologische Bewusstseinsforschung zusammenfasste. In diesem weiten und neuen Feld wurde er für viele zur fast übergroßen Leitfigur. Er war aber auch ein Pionier der Cyberanthropologie und hat auch da, wie anderswo, seine SchülerInnen.

Seine Leistungen für das Institut und das Fach sind vielfältig und vielschichtig, nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht. Wir schätzten an ihm nicht nur die Kompetenzen, sondern vor allem die Qualitäten. Sie werden durch den Verlust noch deutlicher sichtbar: Besonnenheit, Heiterkeit, Herzlichkeit, Selbstironie, das Ausgleichen und Überwinden von Gräben, das lustvolle Forschen und Lehren, das war es zu allererst, was Manfred Kremser uns ermittelte. So werden wir uns an ihn erinnern; so werden wir ihn vermissen.

Wolfgang Kraus (unter Verwendung von Beiträgen von Philipp Budka, Marie-France Chevron, Thomas Fillitz, Elke Mader, Gertraud Seiser und Werner Zips) für die Fakultät für Sozialwissenschaften und das Institut für Kultur- und Sozialanthropologie


Die Verabschiedung findet am Freitag, 22. März 2013, von 13 bis 15 Uhr in der Feuerhalle Simmering (Simmeringer Hauptstraße 337, 1110 Wien) statt.