6 Fragen an Dekan Rudolf Richter

Rudolf Richter, seit Oktober 2004 Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Wien, über die wichtigsten Veränderungen an seiner Fakultät der letzten Jahre, seine "Lieblingsaufgaben", Karl Popper als sein wissenschaftliches Vorbild sowie seine Vorliebe für autobiographische Bücher.

1) Sie sind seit Oktober 2004 Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften. Welche besonderen Meilensteine und prägende Veränderungen haben Sie in Ihrer Amtszeit erlebt?
Es gab viele. Wichtig war die Fokussierung auf Forschungsschwerpunkte und damit der Beginn einer Integration der verschiedenen Institute und sozialwissenschaftlichen Fachbereiche der Fakultät und WissenschafterInnen, die einander vorher kaum gekannt haben und wenig untereinander vernetzt waren. Wesentlich war zudem die Entwicklung eines Strategieplans für die Fakultät, der die Grundlage für die Planungen bildet. Ein wichtiger Meilenstein im Bereich der Administration war die Restrukturierung des Dekanats und die Bestellung einer Fakultätsmanagerin, die professionelle Prozessabläufe vorantreibt und die Fakultätsleitung bei der operativen Umsetzung der vielen komplexen Aufgaben professionell unterstützt. Hervorzuheben sind außerdem die vielen neuberufenen ProfessorInnen in den verschiedenen Fächern, die hervorragende ForscherInnen aus dem In- und Ausland an unsere Fakultät gebracht haben und die sowohl für die Lehre als auch für die Forschung neue Impulse liefern.

Die prägendste Veränderung anhand eines Beispiels: 2004 gab es an der Fakultät zwei Projektassistentinnen – jetzt über 60. Der Drittmittelbereich ist stark gestiegen. Es gibt viel mehr Chancen für den Nachwuchs als früher, viel mehr Prädoc- und Postdoc-Stellen. Das wurde vor allem durch internationale Neuberufungen gefördert.

2) Was ist Ihre "Lieblingsaufgabe" als Dekan?
Personalstrukturplanung gehört zu den herausforderndsten, schwierigsten, aber auch lohnendsten Aufgaben. Man kann damit viel bewegen und gleichzeitig immer wieder die Ziele vermitteln, an denen sich die Universität orientiert. Die Gestaltungsmöglichkeiten, die sich dabei bieten, gilt es verantwortungsvoll und strategisch zu nutzen. Jahresgespräche führe ich gerne. Ich habe dadurch, vor allem zu Beginn, viel über die Fakultät gelernt. Ich sehe Jahresgespräche als wichtiges Instrument, um WissenschafterInnen Feedback und Anerkennung über ihre Leistungen zu geben und um sich gemeinsam über gesamtuniversitäre und fakultäre Zielvorgaben zu verständigen.

3) Wo sehen Sie die Universität Wien in zehn Jahren, und was ist auf dem Weg dorthin wichtig?
Ich sehe die Universität Wien in zehn Jahren als moderne, international orientierte Forschungs- und Lehruniversität. Eines der wichtigsten Dinge für die Zukunft sind interdisziplinäre, transdisziplinäre Kooperationen. Moderne sozialwissenschaftliche Forschung braucht Disziplinen. Sie ist aber im Wesentlichen problemorientiert und in der Forschungspraxis ist interdisziplinäres Verständnis gefragt. Deswegen sollte die Universität diese Interdisziplinarität auch in Studiengängen verstärken und auch wesentlich flexiblere Studienangebote schaffen.

4) Ihr wissenschaftliches Vorbild?
Schwer zu sagen. Obwohl schon nicht mehr so heftig diskutiert, schätze ich in vielen Schriften Karl Popper sehr. Einerseits die klare kritisch rationalistische Position in "Logik der Forschung", andererseits aber auch die Skepsis gegenüber totalitären Ideologien. Man sollte immer wieder sein "Elend des Historizismus" oder noch besser: "Die offene Gesellschaft und ihr Feinde" lesen. Ja, und es faszinieren mich Konstruktivisten wie Heinz von Förster.


BIOGRAPHISCHES:

Univ.-Prof. Dr. Rudolf Richter, geb. 1952 in Wien, ist seit Oktober 2004 Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften. Ab 1970 Studium der Soziologie, Psychologie, Pädagogik und Philosophie. 1975 Promotion zum Dr. phil. in Soziologie, Universität Wien. Danach Arbeiten vor allem zur Stadtsoziologie, Regional- und Wohnungssoziologie, politischer und sozialer Partizipation. 1977 Forschungsaufenthalt in Sri Lanka. 1983 Forschungsaufenthalte in der BRD und den USA. 1985 Habilitation, Universität Wien, Verleihung der venia docendi für das Fach Soziologie. Danach Studien zur Sozialstrukturanalyse, insbesondere der Lebensstilforschung. Seit 1985 Universitätsdozent, Oberassistent bzw. Assistenzprofessor, Universität Wien. 1987 Gastprofessur, University of Minnesota in Minneapolis, USA. Ab 1991 ao. Professur für Soziologie, Universität Wien. Ab den 90er Jahren Arbeiten im Bereich der Familiensoziologie, insbesondere der Kindheits- und Jugendforschung. Theoretische und methodische Beschäftigung mit interpretativer Soziologie. 1996 Gastprofessur an der Arizona State University, School for Justice in Tempe Arizona, USA. 1976-1984 Mitglied der Studienkommission für den Studienversuch Soziologie. 1991-1995 Institutsvorstand des Instituts für Soziologie der Grund- und Integrativwissenschaftlichen Fakultät, Universität Wien. 1995-1999 stv. Institutsvorstand. 1999 Mitglied im Senat der Universität Wien als überfakultärer Vertreter. Seit 2000 Professor für Soziologie, Universität Wien. 2000-2003 Vizestudiendekan der Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften. 2001-2004 Vorsitzender des Evaluationsausschusses des Senats.
Zum CV von Rudolf Richter (PDF)


5) Ihr Lieblingsplatz an der Universität Wien?
Der Arkadenhof. Immer, wenn ich einen Termin im Hauptgebäude habe oder dort unterrichte, komme ich gerne ein paar Minuten früher und wandle durch den Arkadenhof.

6) Welches Buch liegt zurzeit auf Ihrem Nachtkästchen?
Die Biographie von Steve Jobs habe ich gerade gelesen. Man kann einiges an kreativen Unternehmergeist daraus lernen. Ich finde es faszinierend, Lebensläufe aus scheinbar gänzlich anderen beruflichen Sphären, die mir persönlich fremd sind, zu lesen. Das ist abwechselnd und bereichernd. Jetzt liegt die Autobiographie von Gerhard Roth, "Das Alphabet der Zeit", zum Lesen bereit. Aufgewachsen in Österreich, Probleme des Erwachsenwerdens, das ist eine literarische Beschreibung dessen, was ich in der Jugendsoziologie finde. Und wenn ich Kurzgeschichten lesen will, dann habe ich mir wieder Jorge Louis Borges' Fiktionen aufs Nachtkästchen gelegt. Die Ernsthaftigkeit unwahrscheinlicher Ordnungen, das Aufzeigen, wie andere Ordnungen, die es nicht gibt, aber die es geben könnte und die es vielleicht doch irgendwo gibt, das Leben gestalten, fasziniert mich immer von Neuem. Zwischendurch lese ich aber auch Krimis und Thriller aller Art, mit Vorliebe momentan solche, in denen PathologInnen eine Hauptrolle spielen – ganz im Trend, fürchte ich.


 BLICK INS FOTOALBUM:

"Soziologie wird oft mit Fragebögen assoziiert. Ein Großteil unseres Verhaltens ergibt sich aus visuellen Eindrücken. Mit denen habe ich mich immer gerne beschäftigt und deswegen als Hobby 'Gesellschaft fotografiert'", erzählt Dekan Rudolf Richter beim Blick auf das Foto aus seiner Studienzeit (aufgenommen um 1974): "Nie habe ich mich allerdings an die Empfehlung eines befreundeten Fotografen gehalten: 'Wenn Du Fotograf bist, haben es die Leute ganz gerne, wenn sie fotografiert werden. Die Präsenz des Fotoapparats genügt. Manchmal habe ich (der Fotograf – nicht ich!) gar keinen Film in der Kamera gehabt und die Leute interviewt.' Übrigens ist Gesellschaft nicht nur in den Leuten, sondern auch in der Landschaft, der Architektur usw. Das Hobby ist eingeschlafen, langsam beginne ich wieder damit." (Foto: privat)




Dieses Bild stammt aus dem Jahr 1977, wo ich eine befristete Assistentenstelle am Institut innehatte. Mein Stolz war der Texasrechner, der damals mehr gekostet hat als heute ein Computer und immerhin – soweit ich mich erinnere – Mittelwertberechnungen durchführen konnte. Der Schreibtisch entspricht ganz dem Klischee eines empirischen Soziologen der 70er Jahre. Heute ist mein Schreibtisch übrigens in der Regel aufgeräumt – ganz unüblich – und natürlich steht auch kein Aschenbecher darauf. (Foto: privat)





VORSCHAU:
6 Fragen an die DekanInnen und ZentrumsleiterInnen der Universität Wien: von 20. August bis 12. September 2012 täglich in uni:view.