Wer lehrt, hat auch einmal studiert (Teil 11)

Ein auffälliger Hut, enge Freundschaften und die Bitte nach Engagement: In uni:view spricht Zeithistorikerin Johanna Gehmacher über ihr Studium und gibt Tipps für heutige Studierende im Kontext durchstrukturierter Studienpläne und oft überfüllter Lehrveranstaltungen.

uni:view: Erinnern Sie sich zurück: Was haben Sie damals an Ihrem ersten Tag auf der Universität (Studium Geschichte) erlebt?
Johanna Gehmacher:
An den ersten Tag erinnere ich mich nicht wirklich – sicherlich war es ein bürokratischer Akt, sich irgendwo anstellen, um Anmeldungen, Bestätigungen, Einzahlungen zu tätigen; das war ein wiederkehrender, meist lästiger und zeitraubender, oft aber auch kommunikativer Vorgang im vordigitalen Zeitalter.

An eine frühe Vorlesung – vielleicht ja tatsächlich die erste, die ich besuchte – kann ich mich auch erinnern, denn wir wurden am Schluss des Vortrags aufgefordert, uns mit KollegInnen zu Arbeitsgruppen zusammenzutun. Das war eine ziemliche Herausforderung, da ich ja niemanden kannte, aber auch ein wichtiger Anfang für Freundschaftsnetze, die für mich das ganze Studium über eine wichtige Struktur der gegenseitigen Unterstützung, des Voneinander-Lernens waren. Ich kam mit einer Gruppe von Frauen zusammen, mit denen ich lange in Verbindung blieb – ich glaube, sie haben mich angesprochen, weil ich einen Hut auf hatte, der auffällig war. Aber vielleicht war's auch umgekehrt.

Johanna Gehmacher arbeitete während ihres Studiums als gelernte Buchhändlerin in der feministischen Buchhandlung Frauenzimmer. Das Bild entstand 1985 bei einem Fotoshooting für das Cover des halbjährigen Katalogs. "Für den mussten alle Projektmitarbeiterinnen mal als Model herhalten", lacht die Zeithistorikerin. (Foto: Privat)


uni:view: Welches Motto hat Sie während Ihres Studiums begleitet?
Gehmacher:
Da ich schon vor meinem Studium und auch währenddessen als Buchhändlerin berufstätig war, habe ich Studieren immer als einen Luxus und als Wissensprojekt empfunden, kaum hingegen als Berufsausbildung. Mir ging es immer darum, den Fragen nachzugehen, die mich am meisten beschäftigten – das waren politische Fragen, Fragen nach der Geschichte der Gewalt in Gesellschaften, nach der Asymmetrie der Geschlechterverhältnisse, auch Fragen nach den Widersprüchen von Erkenntnisprozessen.

uni:view: Was vermissen Sie am meisten aus Ihrer Studienzeit?
Gehmacher:
Wenn es darum geht, was ich heute vermisse, so ist das: Zeit, die damals unerschöpflich schien und es möglich machte, sich immer wieder auf Neues einzulassen. Und: ich vermisse manche Menschen, von denen ich gelernt habe und immer noch gerne lernen würde – zu früh verstorbene Lehrende, aber auch studentische KollegInnen, mit denen es oft außerordentlich spannend war zu diskutieren und gemeinsam nachzudenken.

uni:view: Welche Tipps geben Sie Ihren Studierenden mit auf den Weg?
Gehmacher:
Die Bedingungen an der Universität haben sich sehr verändert seit meiner Studienzeit, insofern muss ich wohl eher an meine aktuelle Erfahrung in der Betreuung von Studierenden anknüpfen als an die Erinnerungen an mein eigenes Studium. Ich denke, der Studienbetrieb der neoliberal geprägten Universität ist von vielen Nützlichkeitserwägungen und Ökonomisierungen sowohl von Seiten der Institution als auch von Seiten der Studierenden geprägt.

Studierende haben heute angesichts sich verengender Arbeitsmärkte, engmaschig durchstrukturierter Studienpläne und oft überfüllter Lehrveranstaltungen viel weniger Freiheiten, als wir damals hatten. Sie stehen vor schwierigen Alternativen, nicht zuletzt dieser: Wenn sie die ökonomischen und sozialen Realitäten ausblenden, dann haben sie an der Universität vielleicht eine aufregende Zeit intellektueller Erfahrungen, sind aber, umso länger sie so verweilen, desto eher von Prekarisierung am Arbeitsmarkt bedroht. Wenn sie hingegen früh nach Optimierung streben und vor allem Zeugnisse in kurzer Zeit und mit möglichst geringem Aufwand zu sammeln versuchen, dann nehmen sie sich damit zumeist die Möglichkeit, auf Um- und Abwege des Denkens zu geraten, auf denen sie von einer Erkenntnis überrascht werden können. Doch um dieses Erlebnis, das fast immer aus der Versenkungen in einen Gegenstand entsteht, aus der Bereitschaft, den Verzweigungen und Verstrickungen, den Widerständen und Verführungen einer Frage nachzugehen, geht es doch, wie ich glaube, ganz wesentlich in der Wissenschaft.

Vielleicht wäre vor diesem Hintergrund der Ratschlag am ehesten, die Ambivalenz der Universität als Ausbildungs- und Erkenntnisraum in all ihrer Widersprüchlichkeit zu reflektieren und dadurch ein Stück Souveränität zu gewinnen. Darüber hinaus aber würde ich gerne Studierende motivieren, über die Grenzen ihres Faches und auch der Universität hinauszublicken: der größere Teil des Lernens findet in der Welt statt – unsere Wissenschaften geben uns nur die Instrumente dazu in die Hand. Begreifen und Verstehen hat ganz viel mit Einlassung auf das, was in der Gesellschaft geschieht, mit dem Suchen nach einem Standpunkt zu tun – mit Engagement also. (red)

Johanna Gehmacher studierte von 1981 bis 1987 an der Universität Wien Geschichte, 1993 promovierte sie und war ab 1998 Assistentin am Institut für Zeitgeschichte. 2001 Habilitation zur Universitätsdozentin für neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte, seit 2001 ist sie ao. Univ.-Professorin am Institut für Zeitgeschichte. Sie leitet gemeinsam mit Gabriella Hauch den Schwerpunkt Frauen- und Geschlechtergeschichte der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät.