Unterwegs im Südkaukasus (6)

Auch die spannendste Exkursion geht einmal zu Ende: Die Geographie-Studierenden der Universität Wien reisen von Georgien nach Armenien, besuchen das Höhlenkloster Vardzia, die durch ein Erdbeben zerstörte Stadt Gjumri und die armenische Hauptstadt Jerewan.

Der 11. Tag unserer Reise begann mit einem Touristen-Hotspot, dem Höhlenkloster Vardzia aus dem 12. Jahrhundert. Das in den Berg gehauene Kloster umfasste rund 2.000 Räume, die durch Tunnel miteinander verbunden waren. Teilweise lebten bis zu 800 Mönche hier. Bei feindlichen Angriffen bot es zusätzlichen 50.000 Menschen aus der Umgebung Zuflucht. Das nur über Leitern und Geheimgänge zugängliche Kloster verfügte über Lüftungskanäle und Wasserleitungen sowie eine Kirche, eine Bibliothek, Bäckereien und Ställe.


Das in den Berg gehauene Kloster Vardiza stammt aus dem 12. Jahrhundert.



Nach der Eroberung durch die Osmanen im Jahre 1522 wurde das Kloster für die folgenden 300 Jahre nur noch durch Hirten genutzt – bis es im 19. Jh. größtenteils durch ein Erdbeben zerstört wurde. Heute sind durch Ausgrabungen und Restaurierungen rund 500 Räume sowie die Kirche wieder zugänglich.

Eine schwierige Grenzwanderung


Am Nachmittag stand uns ein Grenzübertritt bevor. Auf der armenischen Seite sorgte unser vorhergehender Besuch in Aserbaidschan für Unmut und wir wurden mit Fragen konfrontiert: "Wo wart ihr genau? Was habt ihr da gemacht?" Das Misstrauen gegenüber Aserbaidschan ist auf den seit 1991 andauernden Konflikt um die Region Berg-Karabach zurückzuführen. Ein Gebiet, das völkerrechtlich gesehen zu Aserbaidschan gehört, aufgrund des Rechts auf Selbstbestimmung der Völker jedoch von den Armeniern beansprucht wird – zwei miteinander konkurrierende Prinzipien des Völkerrechts.


Der "frozen conflict" zwischen Aserbaidschan und Armenien erschwert die Grenzüberquerung.



Nach zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen und vielen Toten auf beiden Seiten wurde 1994 ein Waffenstillstand vereinbart, der im August 2014 neuerlich gebrochen wurde. Eine Lösung für das Gebiet gibt es bislang nicht, weshalb hier auch von einem "frozen conflict" gesprochen wird. Der Konflikt ist auch Grund für die geschlossenen Grenzen zwischen Armenien und Aserbaidschan.

Nach dem Beben


Die Stadt Gjumri, früher eines der bedeutendsten Handels- und Industriezentren Armeniens, wurde 1988 von einem Erdbeben beinahe komplett zerstört und zählt seitdem zu einer der ärmsten und wirtschaftlich schwächsten Regionen Armeniens. Das Erdbeben forderte 25.000 Todesopfer und machte rund eine Million Menschen obdachlos. Noch heute sind die Schäden des Bebens in der ganzen Stadt sichtbar.

Die Region erhielt humanitäre Hilfslieferungen und finanzielle Unterstützungen – auch von Ländern jenseits des damals noch vorhandenen Eisernen Vorhangs und den USA. Dennoch reichten die Mittel nicht, um alle zerstörten Häuser wieder aufzubauen. Seitdem scheint die Region in einem Stillstand zu verharren, sodass noch heute viele Menschen in den damals provisorisch errichteten Containern und Blechhütten, den sogenannten "domiki", leben. 


Wir besichtigten auch die Stadt Spitak, das Epizentrum des Bebens von 1988. Die völlig zerstörte Stadt ist heute zum Teil wieder aufgebaut, eine Blechkirche ist Symbol des Wiederaufbaus.



Voralberger Caritas in Armenien

Am Morgen des Donnerstags besuchten wir "Emils kleine Sonne", ein Projekt der Vorarlberger Caritas, das uns von Bernd Fischer vorgestellt wurde. Es handelt sich dabei um ein Therapiezentrum für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, für das derzeit ein großzügiges neues Zentrum gebaut wird, in dem in der Endausbaustufe bis zu 100 Kinder betreut werden sollen.



Die Voralberger Caritas errichtete hier in Armenien ein Therapieznetrum für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen.



"Auswanderungsland" Armenien

Die Exkursion endet in der armenischen Hauptstadt Jerewan, in der etwa 1,2 Millionen Menschen leben. Armenien hat offiziell eine Bevölkerungszahl von drei Millionen – allerdings gilt diese Zahl als unsicher und aus politischen Gründen überhöht. Armenien ist aufgrund der verbreiteten Armut ein Auswanderungsland, so leben circa acht bis neun Millionen ArmenierInnen im Ausland. Die Geldüberweisungen aus der armenischen Diaspora und von den ArbeitsmigrantInnen machen einen bedeutenden Teil des armenischen BIPs aus.

Am Freitag besuchten wir die EU-Delegation in Armenien, wo uns Dirk Lorenz viel über die Zusammenarbeit erzählte. Das Land ist Teil der "Östlichen Partnerschaft der EU", in deren Rahmen sie Reformprozesse und die Anbindung an Europa unterstützen will. Das für 2013 vorbereitete Assoziierungsabkommen wurde vom armenischen Präsidenten nicht unterzeichnet. Durch die Hinwendung zur von Russland betriebenen Eurasischen Union ist die Partnerschaft zwischen Armenien und der EU in Frage gestellt.


Ein Blick auf die armenische Hauptstadt Jerewan: Wie viele Menschen hier tatsächlich leben, ist nach wie vor unklar.



Ein düsteres Bild


Der letzte Termin war beim Büro des "Open Society Institute", einer von der George-Soros-Stiftung finanzierten NGO. Ziel ist es, die Entwicklung des Landes seit dem Ende der Sowjetunion hin zu einer stabilen Demokratie mit Menschen- und Bürgerrechten, Rechtsstaat, Transparenz, Good Governance sowie liberaler Marktwirtschaft zu unterstützen. Allerdings zeichnet die Direktorin des Instituts ein düsteres Bild: Seit einigen Jahren verschlechtere sich die Lage in Armenien immer mehr.


In der Nacht von Samstag auf Sonntag haben wir unsere Heimreise angetreten. Viele Bilder bleiben im Kopf, die es erst zu sortieren gilt. So gehen wir zwar mit begrenzter Hoffnung für Armenien, aber einem nachhaltigen Eindruck der Freundlichkeit der Menschen dieses Landes. Wie Bernd Fischer uns am Vortag über die Gastfreundschaft der ArmenierInnen gegenüber Fremden erzählt hatte: "Sie haben zwar oft wenig, aber sie würden dir alles geben." (Text und Fotos: Karin Egger, Martin Meusburger, Monika Riegler, Moritz Yvon)


Die Fachexkursion "Kaukasusrepubliken - Staatenbildung und Regionalentwicklung" unter der Leitung von ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Martin Heintel und ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Gerhard Strohmeier führte 24 Geographie-Studierende vom 7. bis zum 21. September 2014 in den Südkaukasus.


Im Südkaukasus treffen Gegensätze aufeinander: Studierende des Instituts für Geographie und Regionalforschung berichten im uni:view-Dossier "Unterwegs im Südkaukasus" von ihrer Reise zwischen Berglandschaften und Metropolen, Konfliktherden und Modernisierung.