Geschichte lehren: Unterrichtskonzepte anhand von NS-Quellen

Das Fachdidaktikzentrum Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung (FDZ) entwickelte in Zusammenarbeit mit dem Wiener Stadt- und Landesarchiv und den Kooperationsschulen der Universität Wien ein innovatives Modell der LehrerInnenausbildung, das jüngst zum Best-Practice-Beispiel gewählt wurde.

Im Zuge des von der EU-Kommission für Bildung und Kultur finanzierten Projekts SMILE-Vet, bei dem es um eine forcierte Involvierung von Kulturinstitutionen in die Ausbildung von EU-BürgerInnen und in deren gesellschaftliche Integration geht, wurde das Modell der LehrerInnenausbildung, das im Rahmen der fachdidaktischen Ausbildung von angehenden LehrerInnen der Geschichte, Sozialkunde und Politischen Bildung an der Universität Wien umgesetzt wurde, zu einem Best-Practice-Beispiel gekürt.


Stefan Spevak, Archivpädagoge am Wiener Stadt- und Landesarchiv und fachwissenschaftlicher Berater im Leitungsteam des Projektkurses Fachdidaktik, stellte das Ausbildungsmodell in Randers/Dänemark einem Publikum aus acht verschiedenen europäischen Ländern vor und erhielt dafür die Auszeichnung Best-Practice-Beispiel. (Foto: GAIA Museum Outsider Art Randers)



Idee: Zugang zum Nationalsozialismus schaffen

Die Idee für das Pilotprojekt entstand im Jahr 2009, nachdem die rechtsextremen Aktionen von vier Jugendlichen bei einer Gedenkfeier gegenüber ehemaligen Gefangenen im KZ-Ebensee bzw. die provokanten Äußerungen von Schülern einer Wiener AHS während einer Lehrexkursion in Auschwitz für mediale Aufmerksamkeit gesorgt hatten. Durch gezielte Auseinandersetzung mit den Originalquellen wollte das Wiener Stadt- und Landesarchiv (WSTLA) den heutigen SchülerInnen einen möglichst authentischen Zugang zu den Geschehnissen im Nationalsozialismus verschaffen und einer allzu simplen Betroffenheitspädagogik entgegenwirken.



David Powell, Leiter des EU-Projekts Smile-Vet, stellte die Projektbroschüre im Rahmen der Würdigung in Dänemark den Anwesenden vor. (Foto: GAIA Museum Outsider Art Randers)



Forschung mit Originalquellen

Die Zusammenarbeit zwischen dem FDZ Geschichte und dem WStLA besteht bereits das dritte Semester und soll im kommenden Studienjahr fortgeführt werden. So forschten 39 Studierende des Lehramtes GSP im vergangenen Sommersemester an Originalquellen des WStLA zum Themenbereich "Vermögensentzug, Repression und Rassenpolitik im Nationalsozialismus". "Unter fachwissenschaftlicher Beratung seitens des WStLA erarbeiten die Studierenden im ersten Schritt konkrete Falldarstellungen und setzen diese in den relevanten historischen Kontext", beschreibt Alois Ecker, Leiter des Fachdidaktikzentrums Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung, das Konzept dieses Ausbildungsmoduls. "Angeleitet von FachdidaktikerInnen des Fachdidaktikzentrums der Universität Wien entwickeln sie anschließend auf Basis ihrer im Archiv gewonnenen Erkenntnisse Konzepte für Unterrichtsstunden."


Alois Ecker, Leiter des Fachdidaktikzentrums Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung der Universität Wien, leitete die Präsentationen der Studierenden im großen Vortragssaal des Wiener Stadt-und Landesarchiv ein. (Foto: Wiener Stadt-und Landesarchiv)



Konkrete Umsetzung in Schulen


Betreut von erfahrenen LehrerInnen setzen die Studierenden die Unterrichtskonzepte in Schulklassen der Kooperationsschulen um. In einem längeren Abschlussblock des Projektkurses Fachdidaktik wird diese Praxisarbeit schließlich mit den betreuenden FachwissenschafterInnen und FachdidaktikerInnen systematisch evaluiert.

Der didaktische Fokus des Projektkurses Fachdidaktik liegt auf der Prozess- und der Kompetenzorientierung. Die Prozessorientierte Geschichtsdidaktik setzt bei den im multikulturellen Klassenraum vorhandenen, diversifizierten historischen Kenntnissen an und zielt auf eine Stärkung des Geschichtsbewusstseins der konkreten Lerngruppe nach multiperspektivischen Gesichtspunkten. Die seit 2008 in den österreichischen Lehrplänen verankerte Kompetenzorientierung soll SchülerInnen befähigen, das erarbeitete historische Methoden- und Sachwissen handlungsorientiert anzuwenden. Dazu gehört auch, etwa bei der Reifeprüfung, dass SchülerInnen eine historische Quelle sinnvoll in einen historischen Kontext einordnen können.

Bereits 500 SchülerInnen

Auf angehende LehrerInnen kommen damit Herausforderungen zu, auf die sie gut vorbereitet werden müssen. Gemeinsam versuchen das FDZ und das WStLA mit ihrer jeweiligen Expertise in Geschichtsdidaktik und Quellenforschung einen Beitrag zur Ausbildung zukünftiger GeschichtslehrerInnen zu leisten. Rund 500 SchülerInnen in Wien und Niederösterreich wurden bereits anhand von aufbereiteten Quellen des WStLAs unterrichtet.

Quellen als Ressource für historisches Wissen

"Uns geht es in diesem Projekt vor allem darum, die bestehende Hemmschwelle gegenüber der Nutzung eines Archivs abzubauen", erklärt Stefan Spevak, Archivar des WStLA, und betont: "Unsere Quellen sollen nicht nur einer schmalen Gelehrtenschicht vorbehalten sein, sondern möglichst allen BürgerInnen zur Verfügung stehen, die in Ausübung ihrer demokratischen Rechte im Archiv forschen wollen." Denn in der kritischen Beforschung ehemaligen Verwaltungshandelns läge eine wichtige demokratiepolitische Funktion des Archives. Studierende und SchülerInnen sollen den Wert von archivalischen Quellen als Korrektiv für grassierende Geschichtsmythen, aber auch ganz grundsätzlich als eine zentrale Ressource für das Generieren von historischem Wissen selbst erfahren und damit auch ihre Urteilskompetenz für historisch-politische Zusammenhänge stärken.

An dem Projekt waren folgende Kooperationsschulen der Universität Wien beteiligt: GRG XIX, TGM, Übungsschule der PH Wien, HTL Ottakring, AHS Parhamerplatz, AHS Wohlmutstraße. Betreuende LehrerInnen waren: Mag. Franz Lux, Mag. Julia Ponta, Mag. Gabriele Czachay, Mag. Harald Ruiss, Mag. Sabine Hofmann, MMag. Gabriela Winkler.