eLearning: Offener Zugang zu Bildung

Anlässlich der Open Education Week, die – unterstützt von der UNESCO – vom 5. bis 10. März 2012 stattfindet, erzählt Philipp Budka vom Dekanat der Fakultät für Sozialwissenschaften im Interview mit uni:view, wie an seiner Fakultät Bildung für alle zugänglich gemacht wird.

uni:view: Wie wird eLearning an der Fakultät für Sozialwissenschaften eingesetzt?
Philipp Budka: eLearning wird hier in Form von Blended Learning betrieben: ein Mix aus eLearning und traditionellem Lernen und Lehren. Das heißt, eLearning oder dessen Elemente werden in die Präsenzlehre eingebaut, um unterschiedliche Lernprozesse möglichst sinnvoll anzuleiten.

uni:view: Das interdisziplinäre Projekt "Lateinamerika-Studien Online" (LASON) mit maßgeblicher Beteiligung des Instituts für Kultur- und Sozialanthropologie gab an der Fakultät für Sozialwissenschaften den Startschuss im Hinblick auf Blended Learning mit digitalen Lehr- und Lernunterlagen. Welche Projekte folgten?
Budka: Im Jahr 2001 sollte das Projekt LASON einen virtuellen Raum schaffen, der in der realen universitären Landschaft fehlte. Obwohl es in Österreich viele WissenschafterInnen gibt, die sich mit Lateinamerika beschäftigen, fehlt bis jetzt ein eigenes Institut dafür. Es wurde eine Datenbank und ein "Content Pool" – von ForscherInnen und Lehrenden produzierte Lehr- und Lernunterlagen – erstellt sowie Blended Learning Szenarien zur Vermittlung von Inhalten konzipiert. Das Konzept der Lernunterlagen-Produktion zieht sich wie ein roter Faden durch die nachfolgenden Projekte: "OEKU-Online" (Ökonomie, Kultur und Umwelt), das Schwerpunktprojekt "Strategien für vernetztes Lernen: Eine Lernumgebung zu Methoden und Grundlagenwissen", "eSOWI-STEP: gemeinsame sozialwissenschaftliche Studieneingangsphase" sowie "SOWI-STEOP: gemeinsame sozialwissenschaftliche Studieneingangs- und Orientierungsphase" und das aktuelle Projekt "Content-Erstellung für die SOWI-STEOP", das von der Universität Wien u.a. über die bmwf-MINT/Masse-Fördermittel finanziert wird.

uni:view: Die UNESCO-Woche "Open Education Week" thematisiert die Vorteile von offenen Bildungsressourcen, v.a. für strukturell benachteiligte Regionen. Inwiefern sind die erstellten Lernunterlagen offen und frei?
Budka: Unser Anspruch war es, möglichst viele Menschen – unabhängig von ihrer physischen und technischen Konstitution, Ausstattung und Infrastruktur – zu erreichen. Die Lehrenden müssen über kein technisches Know How verfügen, um die Lernunterlagen zu erstellen. Die Inhalte werden in Form von Mind Maps aufbereitet und können so neu strukturiert und miteinander vernetzt werden.


Die Inhalte der Lernunterlagen werden in Form von Mind Maps aufbereitet.



Weiters sind die Lernunterlagen barrierefrei zugänglich, z.B. können sich seheingeschränkte Personen die Dokumente mit Hilfe entsprechender Programme vorlesen lassen. Neben der technischen sind die Unterlagen auch auf der inhaltlichen bzw. didaktischen Ebene offen: Sie stehen unter einer Creative Commons-Lizens. Die NutzerInnen können die Unterlagen – unter bestimmten Bedingungen wie der Namensnennung – vervielfältigen, verbreiten und öffentlich zugänglich machen.

uni:view: Wie wurde das offene Konzept von Lehrenden und Studierenden aufgenommen?
Budka: 2004, als wir Creative Commons-Lizenzen das erste Mal im Projekt OEKU-Online verwendeten, war Creative Commons noch wenig bekannt und es gab ein gewisses Maß an Skepsis. Wir konnten die Lehrenden davon überzeugen, dass Creative Commons die beste Möglichkeit bietet, Lernunterlagen offen zugänglich zu machen und gleichzeitig Missbrauch zu verhindern. Mittlerweile wird die Lernunterlagen-Betreuung im Regelbetrieb an der Fakultätfür Sozialwissenschaften weitergeführt. Wir haben auch von den Studierenden viel positives Feedback erhalten.



Die Creative Commons-Lizenz erlaubt eine freie Nutzung der Lernunterlagen. Dabei müssen jedoch bestimmte Bedingungen - wie Namensnennung - eingehalten werden. (Bild: Michael Porter)



uni:view: Inwieweit ist die Fakultät für Sozialwissenschaften ein Vorreiter im Bereich eLearning?
Budka: Allein für die SOWI-STEOP wurden bis dato neun Lernunterlagen mit insgesamt 440 XHTML-Seiten, 163 Bildern und Grafiken sowie 630 Hyperlinks erstellt. Insgesamt wurden in den letzten zehn Jahren Tausende Seiten produziert und online zur Verfügung gestellt. Meines Wissens gibt es nirgendwo im deutschsprachigen Raum Lernunterlagen, die in diesem Umfang und auf diese offene Art frei zur Verfügung gestellt werden. Unsere Unterlagen sind nicht nur für Studierende und Lehrende der Universität Wien zugänglich, sondern für alle, die Zugang zum Internet haben.





In den letzten zehn Jahren wurden an der Fakultät für Sozialwissenschaften Tausende Seiten frei zugänglicher Lernunterlagen erstellt.



uni:view:
Was waren, bzw. sind die größten Herausforderungen bei der Umsetzung der Projekte?

Budka:
Neben der Überzeugungsarbeit unter den Lehrenden und der technischen Umsetzung stellt die fehlende Anerkennung der Lernunterlagen-Produktion ein Problem dar: Im Jahr 2010 haben wir eine anonyme Befragung unter Lehrenden, die Lernunterlagen erstellt haben, durchgeführt. Dabei hat sich gezeigt, dass manche AutorInnen das Gefühl haben, dass die Erstellung von Lehr- und Lernmaterialien im Gegensatz zu wissenschaftlichen Publikationen nicht besonders geschätzt wird. Didaktisches Lernmaterial, das online zugänglich ist, steht in der Wertigkeit unter einem Skriptum oder Lehrbuch. Digitale Lernunterlagen haben aber eine viel größere Reichweite als Bücher, was letztendlich dem Bekanntheitsgrad der AutorInnen zugutekommt. Eine weitere Herausforderung ist die nachhaltige Betreuung, die viel Zeit und Ressourcen beansprucht.



Screenshot einer Lernunterlage



uni:view:
Welche Pläne gibt es für die Zukunft?

Budka: Noch heuer sollen für die fachspezifischen Lehrveranstaltungen der STEOP – wie Einführung in die Soziologie oder Einführung in die Kultur- und Sozialanthropologie – digitale Lernunterlagen erstellt werden. Im aktuellen Projekt "Content-Erstellung für die sozialwissenschaftliche Studieneingangs- und Orientierungsphase", das seit Jänner 2012 läuft, wird der Fokus auch auf audiovisuellen, multimedialen Inhalten liegen. Wir planen außerdem ein Video für Studieninteressierte der Sozialwissenschaften. Aus Evaluierungen wissen wir, dass teilweise sehr unrealistische Vorstellungen davon herrschen, was an einer Universität gelernt und verlangt wird, aber auch was die späteren Berufsmöglichkeiten betrifft.

uni:view: Können sich die Studierenden an der Erstellung der Unterlagen beteiligen?
Budka: Technisch wäre es bereits möglich, jede Seite der Lernunterlagen automatisch in ein Wiki-System zu laden. Die Studierenden könnten sie einzeln oder gemeinsam im Rahmen einer Lehrveranstaltung bearbeiten und am Ende – nach der Begutachtung durch den Lehrenden – wieder in die Lernunterlagen überführen. Ich bin schon gespannt, welche neuen Formen des Lernens und Lehrens durch die Einbindung sozialer Online-Netzwerke und Social Media entstehen und wie sich das formale Lernen an sich verändern wird. (ps)

Mag. Philipp Budka vom Dekanat der Fakultät für Sozialwissenschaften und dem Institut für Kultur- und Sozialanthropologie leitet zusammen mit Mag. Claudia Schallert im Auftrag von Vizedekanin Univ.-Prof. Doz. Dr. Elke Mader das Projekt "Content-Erstellung für die sozialwissenschaftliche Studieneingangs- und Orientierungsphase" das über bmwf-MINT/Masse-Fördermittel finanziert wird. Er war außerdem an den eLearning- und Content-Erstellungsprojekten LASON, OEKU-Online sowie "Strategien für vernetztes Lernen" und SOWI-STEOP – unter der Leitung von Univ.-Prof. Doz. Dr. Elke Mader – sowie am Projekt eSOWI-STEP – unter Leitung von Mag. Dr. Andrea Payrhuber – beteiligt.