Die Macht der Bilder

In ihrem Gastbeitrag für uni:view befasst sich Irmgard Egger vom Institut für Germanistik mit der Macht der Bilder in Gegenwart und Geschichte. Ebenfalls zu diesem Thema leitet die Literaturwissenschafterin im Wintersemester 2011/12 ein interdisziplinäres DoktorandInnenseminar.

Wenn selbst die entschiedenste Hüterin der Schriftkultur im Medienbetrieb, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dem Gedenken an den 11. September 2001 eine mehrseitige Fotostrecke widmet, so erweist sich einmal mehr, in welch hohem Maß unsere kollektive Vorstellung durch die emblematische Magie der Bilder geprägt wird. Dass diese ihrer technischen Reproduzierbarkeit (Walter Benjamin) und in der Folge dem Ende der Gutenberg-Galaxis (Marshall Mc Luhan) geschuldet wäre, erfasst jedoch vor allem die Effizienz ihrer Verbreitung.

Gegenmacht der Bildverbote

Die Ursachen der Bildermacht liegen indes wesentlich weiter zurück, im Gegensatz zwischen der christlichen Schriftreligion und ihrem Aufbruch in bildhafte Kulturen, der zur Überformung fremder Bilderwelten und zur weiteren Ausdifferenzierung des Bildhaften in schließlich zwei Prototypen führte: im Westen dem didaktisch-narrativen, im Osten dem magisch-appellativen, der Ikone – Abbild und Inkarnation, in den Grenzen von Bild und Leben fließend, in der Wirkung auf Bildmagie und Anbetung ausgerichtet.

So sehr die didaktisch-rationalen Bilder daher auch offiziell verfochten wurden, blieben die magischen dennoch stets die begehrteren. Eine latente Ambivalenz, in der zugleich die kreative Spannung wie die Brisanz der Bilderfrage liegt, die so über die Jahrhunderte auch immer wieder zu einer Frage auf Tod und Leben wurde: Sie trug mit zur Spaltung des Römischen Reichs, zu zwei großen Kirchenspaltungen und zur Aufteilung Westeuropas in die Welt der Worte im Norden und die der Bilder im Süden bei – bis im 18. Jahrhundert die alte Macht der Bilder und auch die Gegenmacht der Bildverbote verblasste und die Bilder in neuen Kontexten neu verfügbar wurden.

Wende zum Bild: Iconic Turns

Hatte erstmals Lessing die Text-Bild-Frage aus säkularisierter Sicht aufgegriffen (Laokoon 1766), so treten mit der weiteren Erosion der alten Machtverhältnisse auch wieder die anderen Bilder in Erscheinung, die magisch-appellativen, auch in der katholischen Sakralkunst präsent gebliebenen. Deren Rezeption durch junge norddeutsche Protestanten wird nun zur Initialerfahrung der romantischen Literatur und verdichtet sich hier um 1800 zu einem ersten Iconic Turn, dessen Entwicklung, auch in der Aktualisierung tradierter Bild-Diskurse, Gegenstand meines FWF-Projekts "Romantische Ästhetik und Intermedialität" war (2004-2008) und nun den Ausgangspunkt meines Ph.D.-Seminars Iconic Turns bildet.

Zahlreiche Beispiele aus der deutschen und der internationalen Literatur der Romantik erweisen, dass auch hier die neu entdeckte Macht der magischen Bilder dominiert: Bilder, die ins Leben treten, lebendige Figuren, die zu Bildern werden, Interaktionen von Text, Bild und Leben setzen die Signale der neuen Ästhetik in jenen imaginären "avant la lettre" gleichsam virtuellen Räumen um, welche die kühne romantische Inversion von Wahrnehmung und Einbildungskraft (Fichte 1794) dem nunmehr verfügbaren Bilderbe eröffnet hatte.

Bild und Text

Diese grundlegende Neuorientierung ermöglichte einer dezidierten Schriftkultur wie der deutschen um 1800 die Einbringung der Macht der Bilder in das Medium des Textes und damit die Öffnung des Textraumes und des Bildraumes, worin in der Literatur und der Malerei der Romantik der eigentliche Beginn der Moderne liegt (Vietta 2001). Rückten die folgenden Jahrzehnte zunächst von dieser ästhetischen Radikalität ab, so werden mit der zunehmenden Problematisierung der Sinneswahrnehmung durch die Naturwissenschaften und die Malerei gegen Ende des 19. Jahrhunderts wesentliche Elemente dieser Bild-Debatten wieder aufgegriffen und in entgrenzter, aus dem ikonologischen Kontext gelöster Form neu inszeniert. Dieser Iconic Turn 1900 soll in einem neuen FWF-Projekt sowie im Ph.D.-Seminar Iconic Turns in seiner literarischen Resonanz und (auch medialen) Weiterführung und in seiner neuerlichen Aktualisierung gegen Ende des 20. Jahrhunderts im Kontext der Postmoderne, der elektronischen Medien und der virtuellen Realitäten weiter erschlossen werden.

Doz. Mag. Dr. Irmgard Egger lehrt seit 2004 Neuere deutsche Literatur am Institut für Germanistik. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Literatur der deutschen Klassik und Romantik; Raumtheorie und Text-Bild-Beziehungen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert.