Der Weg nach Kiew

Auf dem Weg von Krakau über Lemberg und Czernowitz nach Kiew beschäftigen sich 24 Studierende der Universität Wien mit Themen wie Stadt- und Regionalentwicklung, EU-Integration und Geopolitik. Für uni:view berichten sie von ihrer Exkursion.

Tag 8: 500 Kilometer nach Norden – ein Hoch auf unseren Busfahrer

Knapp 500 Kilometer trennen unsere Gruppe von der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Von Krakau über Lemberg kommend setzen wir unsere Exkursion in Kamjanetz im Oblast (Verwaltungsbezirk) Chmelnyzkyj fort. Holprige Autobahnen und verwinkelte Landstraßen führen uns vom ländlichen Südwesten in die Zentralukraine. Die Tschernosem-Böden (Schwarzerde) entlang unseres Weges gehören zu den fruchtbarsten überhaupt und werden großflächig bewirtschaftet. Die Weite der Felder lässt uns die populäre Interpretation der ukrainischen Flagge begreifen, nach der die Farben blau und gelb für die bis zum Horizont reichenden Kornfelder unter wolkenlosem Himmel stehen.

Auf der weiteren Busfahrt durchqueren wir den Oblast Winnyzia und erreichen schließlich den bevölkerungsreichsten Agglomerationsraum der Ukraine. Die Straßen werden allmählich besser und der Urbanisierungsgrad nimmt zu. Die Einfahrt nach Kiew bietet uns einen spannenden Überblick über verschiedene Perioden des sozialistischen Städtebaus, von den Plattenbauten am Stadtrand bis hin zur "Stalingotik". Wir beziehen unsere Zimmer im direkt am Majdan liegenden Hotel Ukrajina, einem Ort an dem die jüngere Geschichte der Ukraine zum Greifen nah ist.

Unser Hotel am Majdan, dem Unabhängigkeitsplatz, ist ein Musterbeispiel für den Sozialistischen Klassizismus in Kiew.

Tag 9 und 10: Atomkraft – Nein, danke!

Wir haben also die k.u.k Geschichte hinter uns gelassen und begeben uns in das Großstadtgetümmel der Hauptstadt Kiew, mit 2.85 Millionen EinwohnerInnen auch die größte Stadt der Ukraine.

Die Kiewer Metro gehört zu den tief liegendsten der Welt.

In der Hauptstadt sind wir mit der Metro unterwegs und das stellt sich für eine Gruppe von 26 Menschen als große Herausforderung heraus. Wir fühlen uns wie Ameisen im Ameisenhaufen. Die Kiewer U-Bahn mit ihren schier endlosen Rolltreppen verfügt außerdem über die tiefliegendsten Stationen der Welt.

In der Zentrale der Raiffeisenbank International wird uns ein detaillierter Überblick über die Geschichte der Bank und ihrer aktuellen Lage präsentiert. Auch die wirtschaftliche Entwicklung der Ukraine, insbesondere der Einfluss der andauernden Inflation auf die Volkswirtschaft des Staates und die internationalen InvestorInnen werden diskutiert. Als größte westliche Bank in der Ukraine sehen sie sich künftig als wichtiger Mitspieler für internationale Investitionen. Dies ist unter anderem der Hauptgrund, wieso die Raiffeisenbank International ihren Sitz beibehalten wird, während zahlreiche andere Banken die Ukraine fluchtartig verlassen.

Diskussion mit Hermann Ortner von der Wirtschaftskammer (WKO).

Im Anschluss diskutieren wir mit dem Wirtschaftsdelegierten der WKO Hermann Ortner. Er betont die Präsenz der österreichischen Wirtschaft in der Ukraine, welche jedoch in den letzten Jahren aufgrund der Krise zurückgefallen ist. Probleme stellen sich für die InvestorInnen in Sachen Steuerrecht, Bürokratie, Korruption und Zölle. Gleichzeitig wird aber betont, dass sowohl die Nähe und die Größe des Marktes als auch gut ausgebildete Arbeitskräfte durchaus Anreize darstellen.
 
Danach besuchen wir das Tschernobyl-Museum. Nach der Führung durch die Ausstellung über die Ereignisse der atomaren Tschernobyl-Katastrophe im Jahr 1986 haben wir Gelegenheit mit einem Ingenieur des AKW, Alexey Breus, zu diskutieren. Dieser erzählt aus erster Hand über seine Erlebnisse im Kontrollraum des Reaktorblocks wenige Stunden nach der Katastrophe und gibt uns detailreiche Informationen zum Unglück, zur Atomkraft und deren Gefahren.

Der Michaelplatz auf dem Alt-Kiewer Berg.

Den anschließenden freien Tag verbringen einige von uns mit einer Stadterkundung von Kiew, während der andere Teil der Gruppe zu einer Fahrt in die nukleare Sperrzone von Tschernobyl aufbricht. Bei einem ersten Checkpoint am 30-Kilometer-Sperrgürtel wird streng kontrolliert: Pässe, Namenlisten, körperliche Verfassung. Dahinter liegen bereits die ersten evakuierten Höfe und Siedlungen. Die Fahrt führt uns, vorbei am letzten Checkpoint, zum Gelände des Unglücks-AKW.

Wir nähern uns bis auf 150 Metern dem havarierten Block 4, welcher gerade durch ein neues "Containment" überbaut wird, der die Umwelt vor dessen enormer Reststrahlung schützen soll. Die Strahlenbelastung in der nahegelegenen, jetzt verwachsenen Geisterstadt von Prypjat, die nach dem Unglück von 1986 evakuiert wurde, steigt bei unserem Rundgang auf stellenweise über 20µSv/h (Mikrosievert pro Stunde), das etwa 100-Fache des Normalwerts.

Unsere Tschernobyl-Ausflügler am Unglücksreaktor von 1986.

Um 19 Uhr finden wir uns alle wieder zu einem Exkursionsfeedback und einem Abschlussdinner in Kiew ein, wo wir Eindrücke und Erfahrungen dieser denkwürdigen Auslandsexkursion Revue passieren lassen. Am darauffolgenden Sonntag reisen manche ab, während andere ihren Aufenthalt in der Ukraine fortsetzen.

AutorInnen: Benedikt Gebert, Simon Baumgartinger-Seiringer, Hannes Marmsoler, Alice Wanner, Daniel Pour Jahani und Kurt Lichtenwöhrer.

Die Fachexkursion "Polen-Ukraine: Stadt- und Regionalentwicklung, EU-Integration und Geopolitik" führt 24 Studierende des Instituts für Geographie und Regionalforschung von 12. bis 22. Mai 2016 unter der Leitung von Martin Heintel und Gerhard Strohmeier von Krakau nach Kiew.