"Pflanzen sind die perfekten Klimaretter"

Pflanzen können mehr als man denkt – z.B. fossile Energieträger ersetzen. Dafür müssen wir jedoch ihre Biodiversität verstehen, nutzen und bewahren. Was das konkret bedeutet und warum die Pflanze "politisch entlastet" gehört, erklärt Biologe Wolfram Weckwerth im Interview zur Semesterfrage.

uni:view: Herr Weckwerth, Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung mit Green Systems Biology. Was steckt hinter diesem Begriff?
Wolfram Weckwerth: Die Pflanze ist ein "Nettoprimärproduzent" und entscheidender Partner für unser Ökosystem Erde. Im Prinzip geht es um zwei große Stoffkreisläufe, die das Klima beeinflussen: Kohlenstoff und Stickstoff. Die Pflanze ist für beide zentral. Sie fixiert CO2 – das primäre anthropogene Treibhausgas – und wandelt es zu Grundnahrungsmitteln und Energieträgern um. Kein anderer Organismus ist dazu in der Lage. Die Pflanze ist damit die Grundlage unseres jetzigen "Ökosystems Erde-Mensch". Das, in Verbindung mit den neuen biologischen Technologien der letzten 20 Jahren – wie die schnelle Genom-Sequenzierung und die molekulare Phänotypisierung –, nennen wir Green Systems Biology.
 
uni:view: Wie spielt die "Grüne Revolution" der 1940er bis 1960er Jahre in diese Entwicklung hinein?
Weckwerth: Das war ein entscheidender Schritt in der Entwicklung der Menschheit auf diesem Planeten. Ein Pflanzengenetiker von der Rockefeller Foundation startete in Mexiko systematische Züchtungsversuche. Es wurde eine Weizensorte entwickelt, die resistent, ertragreich und wenig anfällig gegen negative Umwelteinflüsse ist. Mexiko, das damals sehr viel Weizen importieren und Ressourcen aufwenden musste, um die Grundernährung zu gewährleisten, wurde auf diese Weise in den 60er Jahren zu einem Nettoexportland. Das Besondere dabei war, dass die Forschung von einem öffentlichen Institut getragen wurde.

Jedes Semester stellt die Universität Wien ihren WissenschafterInnen die Semesterfrage. Im Sommersemester 2018 lautet sie "Wie retten wir unser Klima?" Die Abschlussveranstaltung dazu findet am Montag, 11. Juni 2018, statt: Unter dem Titel "Herausforderung Klimawandel" hält der Meteorologe Mojib Latif vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung an der Universität Kiel einen Vortrag am Uni Wien Campus. Weitere Informationen

uni:view: Welche Rolle spielen diese öffentlichen Forschungsinstitute heute?
Weckwerth: Global gesehen eine sehr wichtige. Sie züchten und verteilen Pflanzen weltweit ohne kommerziellen Profit. Inzwischen sind sie zur "Consultative Group on International Agricultural Research" zusammengewachsen. Da wir in Europa von sattem Grün umgeben sind und keine Probleme in der Nahrungsmittelerzeugung haben, vergessen wir oft, dass es in Indien, China oder Afrika, wo Unter- und Fehlernährung ein Problem darstellt, anders aussieht und diesen Instituten dort eine zentrale Rolle zukommt.

uni:view: Sprechen wir hier bereits von Gentechnologie?

Weckwerth:
Nein, es geht um klassische Züchtung, wobei auch diese als Gentechnologie bezeichnet werden kann. Jedoch versteht man unter Gentechnologie meist die Entwicklung transgener Pflanzen, d.h. Gene einer anderen Art werden in einen Organismus eingeschleust. Dabei unterscheidet man zwischen inner- und außerartlich: Wird z.B. ein Insektengen in eine Pflanze eingeschleust – was in der Natur so nie passieren würden –, ist das natürlich etwas anderes als die Kreuzung zweier Pflanzen.

uni:view: Letzteres machen die Menschen ja bereits seit 100.000 Jahren …

Weckwerth:
Genau, die Züchtung und damit zusammenhängende Technologie hat sich mit der Menschheit gemeinsam entwickelt. Heute sind diese Begriffe jedoch negativ behaftet. Nicht zuletzt, weil profitorientiertes – im Gegensatz zu nachhaltigem, also ökologischem – Denken damit Missbrauch betrieben hat. Bei den Begriffen Züchtung oder SMART Breeding denkt jeder sofort an transgene Pflanzen, das hat aber nichts miteinander zu tun. Die Pflanze ist durch die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte stark belastet.

uni:view: Was bedeutet SMART Breeding?
Weckwerth:
SMART Breeding ist die Marker-gestützte Pflanzen- und Tierzucht. Die phänotypische Varianz von Pflanzen – also Ertrag, Stressresistenz, Inhaltsstoffe usw. – lässt sich nicht mit der Genominformation allein erklären. Inzwischen kennen wir tausende Genome einer Art, dennoch verstehen wir nicht alle Wechselwirkungen und Effekte. Wir können aber in Züchtungspopulationen bestimmte molekulare Marker rauspicken, die einen bestimmten Phänotyp wiederspiegeln. Diesen Ansatz verfolgen auch die öffentlichen Forschungsinstitute. Ihre Ergebnisse stellen sie auf Websites frei zugänglich zur Verfügung.


Das Glashaus an der Universität Wien ist für die Forschungsarbeit von Wolfram Weckwerth zentral: "Hier können wir sehr stabile Klimata erzeugen und machen u.a. Trockenstressexperimente mit Weizen, Perlhirse, Tomaten und Leguminosen sowie Versuche in sogenannten Klimakammern, wo Licht, Temperatur und Luftfeuchtigkeit programmierbar sind. Genauso wie bei uns Menschen ist auch jede Pflanze individuell, weshalb wir auch bei ihnen mit vielen Individuen und Statistik arbeiten müssen und viel Platz benötigen." (© Andreas Schroefl)

uni:view: Geht das in die Richtung einer neuen Grünen Revolution?
Weckwerth: Ja, das wäre möglich. Wir haben bereits 60 Jahre lang Erfahrung gesammelt, wissen um die negativen Folgen von Überdüngung, Pestiziden und Stickstoffeinsatz. Daraus lernend könnten wir eine ganz neue ökologische Strategie entwickeln, um z.B. Mischkulturen oder die metabolischen Wechselbeziehungen von Pflanzen zu nutzen. Aber auch politische Strategien für eine nachhaltige Agrarwirtschaft und gegen Ausbeutung und Massenproduktion sind nötig.

uni:view: Was sind solche metabolischen Wechselbeziehungen?

Weckwerth: Derzeit forschen wir zum Beispiel an Leguminosen, der Familie der Hülsenfrüchtler (Fabaceae). Dazu gehören u.a. Bohnen, Erbsen, Soja aber auch Lupinen und Klee. Leguminosen gehen in den Wurzeln eine Symbiose mit Mikroorganismen ein, die Stickstoff aus der Luft fixieren. Aufgrund des daraus resultierenden hohen Proteingehalts sind sie ein enorm wichtiges Grundnahrungsmittel.

Und sie verbessern den Boden nicht nur kurz-, sondern auch langfristig, was einen positiven Einfluss auf andere Gewächse hat. Zurzeit untersuchen wir auch Stickstofffixierer im pflanzlichen Mikrobiom des Blattes. Der gezielte Einsatz solcher Mikroorganismen könnte z.B. die klassische Stickstoffdüngung reduzieren, die einen negativen Effekt auf unser Klima durch Treibhausgase aber auch die Anreicherung von Nitrat im Grundwasser hat.

uni:view: In den letzten Jahren hat eine eigenartige Entwicklung stattgefunden: Mit Nahrungsmittelpflanzen wurden Biokraftstoffe produziert – und das angesichts von Dürre und Hunger. Welche Pflanzen sind die Energielieferanten der Zukunft?
Weckwerth:
Genau damit beschäftigt sich ein weiterer unserer Forschungsschwerpunkte: Algen sind eine Alternative, die nicht mit der Landfläche von Grundnahrungsmittelpflanzen konkurriert. Damit können wir CO2-neutral Biomasse und auch Lipide, also Öle, und somit schlussendlich Rohstoffe für umweltverträgliche Kunststoffe produzieren, womit wir unabhängig von Rohöl oder anderen fossilen Brennstoffen wären. Da es verschiedenste Algenarten und Lipidkompositionen gibt, stehen wir aber erst am Anfang unserer Forschung.

"Pflanzen sind Klimaretter und liefern Ressourcen für Energie", so Wolfram Weckwerth vom Department für Ökogenomik und Systembiologie im Interview zur aktuellen Semesterfrage "Wie retten wir unser Klima?".

uni:view: Gibt es DIE Pflanze der Zukunft?
Weckwerth: Diversität ist die Zukunft. Wir können spannende Mischkulturen und Pflanzen entwickeln, die trocken- oder hitzeresistent sind, Stickstoff besser verarbeiten und womöglich wunderbar mit Stickstoff fixierenden Bakterien interagieren. Genau diese Prinzipien müssen wir genauer verstehen: die Biodiversität und die Interaktion der Organismen.

uni:view: … dann könnten wir mit Pflanzen unser Klima retten?
Weckwerth: Pflanzen sind sowohl Primärproduzenten als auch Energielieferanten, und damit die perfekten Klimaretter. Dennoch können sie die Klimawandel nicht verhindern, sondern nur entschleunigen. Jede Pflanze ist ein Individuum, ein individueller Genotyp. Diese Variationen müssen wir verstehen, nutzen und bewahren: Einerseits weil die Diversität der Pflanzen eine Quelle der Schönheit dieser Erde ist und anderseits aus rein praktischen Gründen. Monokulturen – also das Gegenteil von Biodiversität – sind extrem empfänglich für Krankheiten sowie Stress und laugen den Boden aus. Dünger und Pestizide sind die negative Konsequenz.

Wenn wir also wieder anfangen, das pflanzliche Individuum klar als das zu sehen, was es ist – nämlich unser wichtigster und gleichzeitig vielfältigster Partner auf der Erde –, können wir gewinnen.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (ps)

Wolfram Weckwerth ist Professor für Biochemie und Pflanzenphysiologe und Leiter des Departments für Ökogenomik und Systembiologie der Universität Wien. Er ist Sprecher der Forschungsplattform Vienna Metabolomics Center und wissenschaftlicher Leiter der Glashäuser des Fakultätszentrums Ökologie der Universität Wien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. Systemtheorie und Systembiologie in Pflanzen, Tieren, Mikroorganismen und dem Mensch.

Die Foto- und Videoaufnahmen für die Interviews zur Semesterfrage "Wie retten wir unser Klima?" sind im Glashaus des UZA I in der Althanstraße entstanden. In den Glashäusern des Fakultätszentrums Ökologie der Universität Wien werden mehr als 480 verschiedene Spezies kultiviert, um auf eine ausreichende Auswahl an Pflanzenmaterial aus den verschiedenen Klimazonen für Unterrichtszwecke sowie für wissenschaftliche Experimente im größeren Umfang zurückgreifen zu können.