"Die Luftverschmutzung ist globalisiert"

Emissionen bleiben nicht dort, wo sie ausgestoßen werden. Verschmutzte Luft aus Asien gelangt über Winde in nur drei Wochen nach Österreich. Wie Ruß und Mineralstaub unser Klima beeinflussen, erklärt Aerosolphysikerin Bernadett Weinzierl im Rahmen der aktuellen Semesterfrage.

uni:view: Bis zu 750 Flugzeuge starten und landen täglich in Wien-Schwechat. Wie belastend ist der Flugverkehr für unser Klima?
Bernadett Weinzierl: Der globale Flugverkehr trägt etwa fünf Prozent zur gegenwärtigen anthropogenen Klimaerwärmung bei. Er beeinflusst das Klima durch die Emission von Kohlendioxid und anderen Spurengasen, durch Aerosolpartikel der Flugzeugabgase, vor allem aber durch die Kondensstreifen. Diese "künstlichen Wolken" können sich durch Kondensation von Wasserdampf im Flugzeugabgas bilden und unter bestimmten Wetterbedingungen langlebig sein. Die durch den Flugverkehr verursachten Eiswolken haben in der Summe eine erwärmende Wirkung auf das Klima.

uni:view: Sie sind regelmäßig mit dem Flugzeug unterwegs – auch zu Forschungszwecken. Was untersuchen Sie in der Luft?
Weinzierl: Wir starten mit dem Forschungsflugzeug in luftige Höhen – bepackt mit Instrumenten und Messgeräten –, um die Aerosole in der Atmosphäre zu erforschen. Dort bestimmen wir die Größen und Eigenschaften von Aerosolpartikeln, Wassertropfen und Eiskristallen, untersuchen ihre globale Verteilung und ihren Einfluss auf die Strahlungsbilanz der Erde. Mit unseren Messsystemen erhalten wir jede Sekunde Messwerte, die wir nach den Flügen in Zusammenarbeit mit zahlreichen ForschungspartnerInnen auswerten.

Zum Dossier: Das fliegende Labor
Atmosphärenphysikerin Bernadett Weinzierl und ihr Team sind die einzigen internationalen Partner des groß angelegten US-Forschungsprojekts "Atmospheric Tomography Mission" (ATom). Darin untersuchen sie, welchen Einfluss von Menschen verursachte Emissionen auf die Luftqualität und das Klima haben. Lesen Sie im Dossier "Das fliegende Labor" die Erfahrungsberichte der Physikerin von ihrer Reise durch die Wolken. (© Bernadett Weinzierl)

uni:view: Was sind Aerosolpartikel, was sind keine?
Weinzierl:
Aerosolpartikel sind kleine Teilchen in einem Größenbereich von wenigen Nanometern bis zu mehreren hundert Mikrometern, beispielsweise Staub- oder Rußteilchen in der Luft. Es gibt zwei Arten, wie Aerosole entstehen: Einerseits werden sie direkt als Teilchen in die Atmosphäre emittiert, andererseits können sie sich unter bestimmten Bedingungen aus Gasen heraus bilden. Etwa 20-40 Prozent der Aerosolpartikel in der Atmosphäre sind menschengemacht, der Rest wie Vulkanasche, Seesalz und der Großteil des Mineralstaubs ist natürlichen Ursprungs.

uni:view: Wie beeinflussen Aerosole unser Klima?
Weinzierl:
Auf vielfältige Art und Weise: Aerosolpartikel streuen und absorbieren das Licht von der Sonne, dadurch kommt weniger Licht am Boden an und eine Abkühlung entsteht. Die Absorption des Sonnenlichts kann aber auch zu einer Erwärmung von Aerosolschichten führen, wodurch sich das Temperaturprofil der Atmosphäre und das Wetter verändern. Des Weiteren beeinflussen Aerosolpartikel die Bildung von Tropfen oder Eiskristallen in Wolken – dadurch ändern sich Eigenschaften und Lebenszeiten von Wolken und somit auch unser Wetter und Klima.

uni:view: Modellsimulationen deuten an, dass Ruß den zweit- oder drittstärksten Beitrag zum Klimawandel liefern könnte – wie nah an der Realität sind diese Modelle?
Weinzierl:
Aerosolpartikel können, abhängig von ihrer chemischen Zusammensetzung, die Atmosphäre abkühlen oder erwärmen. In Summe wirken sie kühlend auf das Klima. Einzelne Aerosoltypen wie Ruß können jedoch einen stark wärmenden Einfluss haben. Im Gegensatz zu den Lebenszeiten der Treibhausgase, die hunderte von Jahren in unserer Atmosphäre verbleiben können, haben Aerosolpartikel mit wenigen Tagen oder Wochen eine wesentlich geringere Überlebensdauer. Aufgrund der kurzen Lebenszeiten ist eine Diskussion entfacht, ob sich die Reduktion von Rußemissionen kurzfristig positiv auf das Klima auswirken könnte.

Modelle reproduzieren die Rußverteilung in der Nähe von Rußquellen in Bodennähe in der Regel recht gut. In einer Höhe über vier bis fünf Kilometer überschätzen sie jedoch die tatsächlich gemessenen Rußkonzentrationen. Darüber hinaus ist unklar, welche Aerosolkomponente die Eigenschaften von Mischungen aus natürlichen Mineralstaub und vom Menschen verursachten Ruß bestimmt. All das führt zu Unsicherheiten über die Stärke des Einflusses von Ruß auf das Klima.

uni:view: Modelle können also nur bedingt Erklärungen liefern?
Weinzierl:
Ein generelles Problem, das wir mit Modellen haben: Sie beruhen auf vereinfachten mathematischen Gleichungen, die unsere Atmosphäre beschreiben. Um die Rechenzeit zu verkürzen oder weil bestimmte physikalische Prozesse noch nicht verstanden sind, werden in den Modellen bestimmte Prozesse wie z.B. die Wolkenbildung oft durch sogenannte Parametrisierungen näherungsweise bestimmt, was zu ungenauen Ergebnissen führen kann. Diese Parametrisierungen sollten verstärkt mit physikalischem Wissen und konkreten Messdaten verbessert werden. Unsere Gruppe kooperiert hierfür mit AeroCom, einer Initiative, die daran arbeitet, die Abweichungen zwischen Modellen und Messungen zu verringern.

Jedes Semester stellt die Universität Wien ihren WissenschafterInnen die Semesterfrage. Im Sommersemester 2018 lautet sie "Wie retten wir unser Klima?" Die Abschlussveranstaltung dazu fand am Montag, 11. Juni 2018, statt: Unter dem Titel "Herausforderung Klimawandel" hielt der Meteorologe Mojib Latif vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung an der Universität Kiel einen Vortrag am Uni Wien Campus. Zum Nachbericht

uni:view: In welchen Gebieten können Sie besonders viel Ruß beobachten?
Weinzierl:
In industrialisierten Gegenden wie Europa, Amerika, aber auch Indien und China finden wir viel Ruß in der Atmosphäre. Im Rahmen meines ERC-Projekts sind wir über Zypern geflogen und haben Mischungen aus Mineralstaub und Ruß untersucht. In niedrigen Höhen haben wir große Mengen an Ruß von lokalen Verschmutzungen durch Industrie und Verkehr vorgefunden, aber auch in den Staubschichten – insbesondere wenn sie aus den arabischen Wüsten kamen – konnten wir erhöhte Rußkonzentrationen feststellen. Darüber hinaus sind Wald- und Savannenbrände eine große Rußquelle. Über dem Atlantik, im Ausfluss der Luft aus Afrika, konnten wir vom Messflugzeug aus eine riesige braune Schicht beobachten, die durch einen Savannenbrand entstanden war.

uni:view: Wo ist die Luft (noch) sauber?

Weinzierl: 
Am saubersten – hinsichtlich der Aerosolpartikel – ist die Luft nach einem starken Regen sowie fernab großer Städte und urbaner Agglomerationen. Aber auch natürliche Quellen wie Vulkane oder Wüsten können die Luftqualität beeinflussen. Die "saubersten" Messwerte, die wir bei Messflügen beobachten konnten, stammen aus der Nähe der Antarktis. Doch wir dürfen nicht vergessen: Luftverschmutzung ist globalisiert. Partikel bleiben nicht dort, wo sie emittiert werden und können in kurzer Zeit über weite Strecken transportiert werden und die Aerosolkonzentration in Gebieten fernab der Quellen erhöhen. Luft aus Amerika ist in weniger als einer Woche in Österreich. Die Luft, die in Asien loszieht, erreicht uns innerhalb von etwa drei Wochen. Da diese Luftmassen aus Asien auf ihrem Transport nach Europa sehr viel Auswaschung, Vermischung und Verdünnung erfahren, kommen bei uns nur sehr stark verdünnte bzw. ausgewaschene Emissionen aus Asien an. Um die Reichweite von Luftverschmutzung zu untersuchen, messen wir momentan im Rahmen der NASA-finanzierten Atmospheric Tomography Mission (ATom) über der Mitte der Ozeane, an den verschiedensten Orten zwischen Nord- und Südpol, weit weg von den eigentlichen Quellen.

uni:view: Angesichts des Klimawandels werden zunehmend Maßnahmen des Geoengineerings diskutiert, also technische Eingriffe in die globalen Kreisläufe. Was ist möglich?
Weinzierl:
Man unterscheidet im Wesentlichen zwei Ansätze: Solar Radiation Management (Anm. d. Red.: technische Reduzierung der Solarstrahlung) zielt darauf ab, die Sonneneinstrahlung an der Erdoberfläche zu reduzieren, was zu einer Abkühlung führt. Hierfür wird z.B. diskutiert, Spiegel im Weltall zu bauen oder künstlich tiefe Wolken zu erzeugen, damit ein Teil der Sonnenenergie im Weltall bleibt und gar nicht erst in die Atmosphäre gelangt. Mit Carbon Dioxide Removal, als zweitem Ansatz, soll CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden. Bei beiden Ansätzen ist die technische Umsetzung noch nicht ausgereift und der Effekt der Maßnahmen unbestimmt.

uni:view: Wo liegen aus Ihrer Sicht Gefahren?

Weinzierl:
Einmal mit Geoengineering angefangen, muss man es immer fortsetzen, da es nach Abbruch der Geoengineering-Maßnahmen zu rapiden Klimaveränderungen kommen würde. Eine Analogie zum Geoengineering wäre eine Wohnung, in der die Temperatur zu hoch ist: anstatt die Ursache zu beseitigen (d.h. die Heizung zu reduzieren), macht man die Tür auf. Das löst zwar in der Regel kurzfristig das Problem der zu warmen Wohnung, aber in dem Moment, in dem die Tür geschlossen wird, erhitzt sich die Wohnung wieder.

Darüber hinaus gibt es weitere technische Herausforderungen: Wenn wir z.B. CO2 aus der Luft filtern, brauchen wir einerseits einen hohen Luftdurchsatz durch die Filter, aber auch riesige Speicher. Wir müssen uns dann die Fragen stellen, was mit den Gasen geschieht bzw. wie sicher sie gelagert werden können. Wenn wir in das Wetter eingreifen, stehen wir auch vor ethischen Problemen: Mit einer veränderten Sonneneinstrahlung ändert sich nicht nur die mittlere Temperatur, sondern auch Niederschlagsmuster. Wer darf über die Temperatur auf der Erde und über Regenmuster bestimmen? Die Nationen, die sich kostspielige Verfahren leisten können? Und wie kontrolliert man das Ganze?


uni:view: Wenn nicht mittels Geoengineering – wie können wir unser Klima retten?

Weinzierl:
Der Weg kann nur sein, Emissionen zu reduzieren und sich mit den Ursachen zu beschäftigen, aber auch sich auf die Folgen eines veränderten Klimas vorzubereiten, z.B. mit einer Sicherstellung der Wasserversorgung in Gebieten, die durch den Klimawandel Wasserknappheit erfahren werden. Eine wichtige Rolle werden dabei auch innovative Technologien spielen: energieeffizientere Industrie, Heizung und Mobilität. Dazu braucht es Forschung, um zu verstehen, welche Faktoren, welchen Einfluss haben. Diese Ergebnisse müssen der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden und GesetzgeberInnen sollten entsprechend reagieren.

Erinnern wir uns an die Beschränkung der Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW): ForscherInnen haben herausgefunden, dass FCKWs auf fatale Weise mit der Ozonschicht reagieren und die Ursache für das beobachtete "Ozonloch" sind. In der Folge wurden die schädlichen FCKWs im Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht verboten. FCKWs haben zwar eine Lebenszeit von über hundert Jahren, aber es kann davon ausgegangen werden, dass sich die Ozonschicht wieder erholen wird. Es gibt also auch "Erfolgstories" in der Klimaforschung, aber dafür muss man etwas tun!

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (hm)

Bernadett Weinzierl ist seit März 2016 an der Fakultät für Physik der Universität Wien. Ihre Schwerpunkte sind u.a. Aerosolphysik, Aerosol-Klima-Wechselwirkungen sowie in-situ-Messungen in der Luft. Seit 2006 hat sie einen Pilotenschein, (kleinere) Flugzeuge kann sie nun auch selbst fliegen.

Die Foto- und Videoaufnahmen für die Interviews zur Semesterfrage "Wie retten wir unser Klima?" sind im Glashaus des UZA I in der Althanstraße entstanden. In den Glashäusern des Fakultätszentrums Ökologie der Universität Wien werden mehr als 480 verschiedene Spezies kultiviert, um auf eine ausreichende Auswahl an Pflanzenmaterial aus den verschiedenen Klimazonen für Unterrichtszwecke sowie für wissenschaftliche Experimente im größeren Umfang zurückgreifen zu können.