Wolfram Schaffar: Demokratie in der "Vielfachkrise"

"Krisen falten sich wie in einem Staccato vor uns auf" – Wolfram Schaffar, Stiftungsprofessor der Austrian Development Agency (ADA) an der Universität Wien, widmet seine Antrittsvorlesung der globalen "Vielfachkrise" und reflektiert, inwiefern Demokratie die Antwort darauf sein kann.

"Spätestens seit 2008 befinden wir uns in einem umfassenden Krisengeschehen", so die besorgniserregende Diagnose des Entwicklungsforschers Wolfram Schaffars. Die Liste der Krisenherde ist lang: "Auf die Finanzkrise folgte die Zuspitzung im Euro-Raum. Was als Währungskrise begann, mündete in einer Wirtschaftskrise – Wachstumsraten brachen ein, die Arbeitslosigkeit stieg. Parallel dazu verschärfen sich die Auswirkungen des Klimawandels und alle Anstrengungen zur Eindämmung der Erderwärmung scheinen zu scheitern. Und im vergangenen Jahr erlebten wir die Eskalation von Kriegen an mehreren Orten gleichzeitig", erklärt der Politologe.  

Autoritäre Lösungsansätze liegen in der Luft

"Wir müssen das alles zusammendenken. Die Konflikte sind nicht getrennt voneinander verstehbar – das meint der Begriff  'Vielfachkrise', den viele SozialwissenschafterInnen mittlerweile benutzen", so der ADA-Stiftungsprofessor, der bereits 2010 erstmals als Gastprofessor an das Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien kam.

Wolfram Schaffar interessiert sich besonders für die Ausverhandlung der einzelnen Krisen und erkennt ein wiederkehrendes Schema: "In Griechenland und Italien wurden auf dem Höhepunkt der Eurokrise mit Hilfe der europäischen Kommission Expertenregierungen installiert, die 'die Sache in die Hand nahmen'. Bezüglich der Umweltkrise wird immer wieder spekuliert, ob demokratische Entscheidungsprozesse die Probleme in den Griff bekommen können. Diese Beispiele zeigen: Wir bewegen uns in Richtung Entdemokratisierung und es gibt einen Reflex, Krisen mit autoritären Ansätzen zu lösen."  


"Wir überschreiten immer mehr planetarische Grenzen - d.h. globale biophysikalische Grenzen, innerhalb derer eine nachhaltige Reproduktion der Menschheit möglich ist. So wird z.B. mehr CO² ausgestoßen, als kompensiert werden kann. Das Resultat sollte aber nicht sein: 'Dann dürfen die InderInnen nicht so viele Autos fahren' – so werden globale Ungleichheiten zementiert und die Lösung des Problems verunmöglicht", so Wolfram Schaffar. (Foto: Flickr, Lian Chang)



Von den alten Griechen lernen

"Genau diese autoritären Lösungsversuche machen es so wichtig, über Demokratie im Zeichen der Krise zu sprechen", stellt der Politikwissenschafter fest. "Der Begriff der Demokratie kommt aus Griechenland. In Athen entstand 'die Herrschaft des Volkes' im Schatten des militärischen Konflikts mit Persien. Um die politischen und sozialen Probleme angehen zu können, mussten alle in die Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden  – auch die Ruderer auf den Kriegsschiffen. Nur mit sozialer und politischer Integration können Probleme gelöst werden", so Schaffars Plädoyer. "Autoritäre Lösungsansätze verschieben und verschlimmern die Krise letzten Endes nur."   

Mit Expertise, Praxiserfahrungen und Leidenschaft

Wolfram Schaffar erhielt 2014 seinen Ruf als ADA-Stiftungsprofessor für Entwicklungsforschung an der Universität Wien. An das Institut für Internationale Entwicklung bringt er theoretische Expertise und Praxiserfahrungen, die stark von seiner Arbeit rund um Südostasien geprägt sind. Bereits seit 2012 leitete er dort ein Forschungsprojekt zu "Konstitutionalismus in Thailand aus der Perspektive sozialer Bewegungen."

Nachdem Thailand lange Zeit als Flaggschiff der Demokratie in Südostasien galt, mündeten die politischen Entwicklungen im Mai 2014 in einem Putsch und seitdem etabliert sich eine höchst autoritäre Militärregierung. Für Wolfram Schaffar ist die Krise in Thailand nur ein Fallbeispiel, das Entwicklungstendenzen vieler anderer Länder auf globaler Ebene illustriert: "Der Konflikt in Thailand macht uns eine generelle Krise der Demokratie deutlich."

Auf Umwegen

Sein Interesse an der Politik Südostasiens ist auf Umwegen gewachsen: Schaffar studierte in Tübingen zunächst Asienwissenschaften und befasste sich hauptsächlich mit Japan. Während seines Auslandsstudiums in den 90er Jahren an der Waseda-Universität in Tokio reiste er erstmals nach Thailand – eine damals "bewegende Zeit". Er erinnert sich an die AIDS-Krise, die Demokratiebewegungen und an die spätere Hyperinflation zurück: "Der Baht fiel rasant, jeden Tag wurden die Preise in den Geschäften angepasst und es kam zu einer sichtbaren Verelendung. Ich habe das damals beobachtet, ohne es richtig zu verstehen."

Nach diesem prägenden Lebensabschnitt arbeitete er in NGOs, lehrte an der Universität in Bonn und Hildesheim und war Gastdozent an der Fakultät für Politikwissenschaft der Chulalongkorn Universität in Bangkok und an der Yangon Universität in Burma. Oft kehrt er für Forschungszwecke nach Südostasien zurück, einzig die tropische Hitze macht ihm zu schaffen: "Für mich ist es eigentlich viel zu schwül und viel zu anstrengend, um dort zu arbeiten", gesteht er. (hm)

Univ.-Prof. Dr. Wolfram Schaffar, ADA-Stiftungsprofessor für Entwicklungsforschung am Institut für Internationale Entwicklung und dem Institut für Politikwissenschaft der Fakultät für Sozialwissenschaften, hält am 15. Jänner 2015 um 17.00 Uhr seine Antrittsvorlesung zum Thema "Demokratie und Entwicklung im Zeichen der globalen Krise" im Kleinen Festsaal der Universität Wien.