Paul Oberhammer: Fairness und Effizienz im Rechtsverfahren

Rechtsprobleme, die aus Verfahren resultieren, in denen einzelne Personen oder Unternehmen vor Gerichten um Ansprüche streiten, sind der Forschungsgegenstand des Juristen Paul Oberhammer. Besonders interessant wird es für den Rechtswissenschafter in internationalen Fällen. Seine Antrittsvorlesung zum Thema "Jurisdiction: Grenzen der Staatsgewalt und Verfahrensgerechtigkeit bei internationalen Prozessen" hält er am Mittwoch, 16. November 2011, gemeinsam mit seinem Kollegen August Reinisch.

Das Zivilverfahrensrecht regelt die Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche im Streitfall: Bezahlt jemand nicht, so kann man vor ein Gericht bzw. Schiedsgericht ziehen. Wie solche Verfahren abzulaufen haben, steht im Zivilverfahrensrecht. "Das Ziel meiner Arbeit ist es, zu einer fairen und effizienten Rechtsverfolgung beizutragen", erklärt der in Tirol geborene Rechtswissenschafter Oberhammer. Nach seinem Studium und einer neunjährigen Tätigkeit als Universitätsassistent sowie Universitätsdozent an der Universität Wien machte er zuerst in Deutschland und dann in der Schweiz Karriere. Er war u.a. als ordentlicher Universitätsprofessor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und als Ordinarius an der Universität Zürich tätig.

"Die spannendsten Forschungsfragen ergeben sich dabei heute aus grenzüberschreitenden Fällen. Denn unsere Verfahrenssysteme folgen einer Binnenlogik: Sie sind für den Fall konstruiert, dass zwei ÖsterreicherInnen vor österreichischen Gerichten miteinander streiten. So ist das mit allen nationalen Systemen. Sitzt nun z.B. eine Partei im Ausland, ergeben sich Bruchstellen, an denen die Systeme nicht kompatibel sind", so der Jurist über eines seiner  "Lieblingsforschungsthemen".

Europarecht

Innerhalb der Europäischen Union sind diese Bruchstellen an vielen Orten gekittet. Im Laufe der Jahre wurde eine Vielzahl von Rechtsakten erlassen, die das entstehen ließen, was heute als "europäischer Jurisdiktionsraum" bezeichnet wird. Es existieren nach wie vor nationale, autonome Rechtsordnungen, aber bei grenzüberschreitenden Fällen greift das Gemeinschaftsrecht und Urteile können in anderen Ländern vollstreckt werden.

Ein Beispiel: Jemand kauft sich im Urlaub in Italien einen Laptop und stellt später fest, dass er nicht funktioniert. Der Verkäufer will das Geld nicht rückerstatten. Möchte die Person klagen, so gilt der Grundsatz, dass es dort geschehen muss, wo der Beklagte seinen Sitz hat: Italien. Hat der Anbieter beispielsweise mit Werbung in Österreich zum Kauf des Produktes angeregt, so könnte unter Umständen auch am eigenen Wohnsitz des Käufers geklagt werden. "Das macht natürlich einen Unterschied: Die Sprache ist bekannt, die Regeln besser verständlich und das Verfahren kürzer", veranschaulicht Oberhammer: "Die spannende Rechtsfrage lautet dabei: Sind die Verkaufsabsichten ausreichend deutlich auf den Wohnsitz des Klägers ausgerichtet gewesen und kann daher in Österreich geklagt werden?"

Schiedsgerichtbarkeit

Im Rechtsstreit zwischen Österreich und Staaten, die nicht der EU angehören, sieht die Sache wieder anders aus: In vielen Ländern der Welt existieren Justizsysteme, die keinen effizienten und fairen Rechtsschutz gewähren. Anstatt Streitigkeiten vor den jeweiligen nationalen Gerichten auszutragen, werden daher gerade in solchen Konstellationen in wirtschaftsrechtlichen Verträgen private Schiedsgerichte vereinbart – dem einschlägigen UN-Abkommen von 1958 sind heute beinahe alle Staaten der Welt beigetreten –, vor denen das Verfahren nach deregulierten Regeln abläuft: "Es hat sich eine Praxis herausgebildet, in der sich Wertvorstellungen verschiedener Rechtskulturen treffen. Die Entscheidungen sind rechtskräftig und vollstreckbar." Oberhammer ist seit dem Jahr 2000 selbst als Schiedsrichter in nationalen und internationalen Wirtschaftsschiedsverfahren tätig.

Forschung, Lehre und Praxis

Die Forschungsergebnisse des Rechtswissenschafters richten sich primär an die Praxis: "Rechtswissenschaftliche Publikationen, etwa zu Themen wie 'Europäisches Zivilprozessrecht' und 'Schiedsgerichtbarkeit', werden nicht nur von der Wissenschaft rezipiert, sondern auch von PraktikerInnen gelesen, die sich mit solchen Fragen beschäftigen und Rat suchen." Mit seinen Studierenden diskutiert der Professor am liebsten konkrete Fälle. Dabei versucht er, die jungen Menschen zum Sprechen zu bringen: "Lehrbücher gibt es genug. In einen Hörsaal zu gehen macht daher nur dann Sinn, wenn dabei ein lebendiger Austausch entsteht", meint der zweifache Vater, der sich selbst als "zugereisten Wiener" bezeichnet.

Weitergeben will er den Studierenden auch sein Interesse am "Element der Auseinandersetzung" in Zivilverfahren: "Ich bin kein Anhänger der These, dass ein Streit etwas Ungesundes ist. Vielmehr halte ich Konflikte für notwendige Begleiterscheinungen einer liberalen Gesellschaft. Es geht darum, angemessene Lösungen zu finden, mit denen selbst die VerliererInnen eines Verfahrens zufrieden sein können", schließt Oberhammer. (dh)

Univ.-Prof. Mag. Dr. Paul Oberhammer, stv. Vorstand des Instituts für Zivilverfahrensrecht, hält seine Antrittsvorlesung zum Thema "Jurisdiction: Grenzen der Staatsgewalt und Verfahrensgerechtigkeit bei internationalen Prozessen" (Bemerkungen aus zivilprozessualer Sicht) am Mittwoch, 16. November 2011, um 18 Uhr im Großen Festsaal – gemeinsam mit Univ.-Prof. MMag. Dr. August Reinisch, Institut für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung, der das Thema aus völkerrechtlicher Sicht betrachten wird.