Patrick Sakdapolrak: "Migration ist die Regel, nicht die Ausnahme"

Klimawandel, Migration, Gesundheit: Die Wechselwirkung zwischen Umwelt und Gesellschaft bestimmt nicht nur eine Reihe von Fragestellungen der heutigen Zeit, sondern auch die Forschung von Patrick Sakdapolrak. Er hat seit Jänner 2016 die Professur für Bevölkerungsgeographie und Demographie inne.

"Sicherlich nicht in allen Belangen", entgegnet Patrick Sakdapolrak auf die Frage, ob er bereits der Professor sei, den er sich selbst als Studierender gewünscht hätte: "Aber ich arbeite daran." Und so versucht er stets, sich in die Lage der Studierenden zu versetzen, in dem er sich seine eigene Zeit als Geographie-Student an der Ruprecht-Karls-Universität zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts vor Augen führt und seine Erfahrungen nun – als neuer Professor an der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie der Universität Wien – in die Lehre mit einfließen lässt.
 
Der rote Faden: Bevölkerungsgeographie

In Patrick Sakdapolraks Werdegang lässt sich sein Interesse für bevölkerungsgeographische Fragestellungen – insbesondere in Bezug auf Migration – bereits früh erkennen. Der regionale Schwerpunkt seiner Forschung auf Südostasien sowie den globalen Süden allgemein kommt auch nicht von ungefähr: Der gebürtige Pfälzer wuchs in Kaiserslautern in einer thailändisch-deutschen Familie auf, wobei er vom vierten bis zum vierzehnten Lebensjahr mit seiner Familie in Bangkok lebte.

Im Zuge seines Studiums in Heidelberg absolvierte er einen einjährigen Studienaufenthalt im australischen Wollongong, wo er "Social Change and Development" studierte. Nach Forschungstätigkeiten an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität und der United Nations University in Bonn und einer Vertretungsprofessur an der Ludwig-Maximilians-Universität München trat er im Jänner diesen Jahres die Professur für Bevölkerungsgeographie und Demographie an der Universität Wien an.

Patrick Sakdapolrak als Student während der Feldforschung für die Diplomarbeit in einem nordostthailändischen Dorf im Jahr 2003. (Foto: Privat)

Soziale Resilienz – die Fähigkeit von Gesellschaften, mit externen Störungen umzugehen

In seiner Forschung befasst sich Patrick Sakdapolrak unter anderem mit dem Umgang von verwundbaren Bevölkerungsgruppen mit sozialen und ökologischen Risiken. Diese Gruppen sind Belastungen wie weit reichenden klimatischen oder gesellschaftlichen Veränderungen ausgesetzt, die sie nicht ohne weiteres bewältigen können.

In einer Studie zum Umgang von indischen SlumbewohnerInnen mit Krankheitsbelastungen konnte Patrick Sakdapolrak aufzeigen, wie sich die Haushaltszusammensetzung und das Bildungsniveau auf das Hilfesuchverhalten auswirken. "Viele Haushalte in den Slums ignorieren Krankheitsfälle, was längerfristig sehr negative Folgen haben kann." Das Foto blickt in eine Gasse eines innerstädtischen Slums in der Megastadt Chennai, Südindien. (Foto: Sakdapolrak 2007)

Mit der Kehrseite der Verwundbarkeit beschäftigt sich der Geograph im Zuge der Erforschung sozialer Resilienz – "wie schaffen es marginalisierte Gruppen, schwierige Situationen zu bestehen? Welche Ressourcen und Strukturen sind notwendig für eine erfolgreiche Bewältigung von Krisen? Dies sind Fragen, mit denen wir uns in der Arbeitsgruppe beschäftigen", erklärt er.

Konkret leitete Sakdapolrak etwa ein Team von NachwuchsforscherInnen, das seit 2013 zum Thema "Resilienz durch Translokalität. Klimawandel, Migration und soziale Resilienz im ländlichen Thailand" forscht. "Häufig geht es bei der fachlichen Diskussion zu Klimawandel und Migration um Klimaflucht. Zweifelsohne gibt es Migration mit stärker ausgeprägtem Zwangscharakter. Unsere Forschung geht jedoch von der Beobachtung aus, dass Migration die Normalität ist – nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Wir beleuchten die Veränderungen, die Migration in den Herkunftsgebieten auslösen und fragen, welchen Einfluss diese Veränderungen auf den Umgang mit Risiken haben. Damit stellt unsere Forschung eine gewisse Umkehr des dominanten wissenschaftlichen Diskurses dar."

Sprung ins kalte Wasser

Dem Ruf an die Universität Wien folgte der Geograph, ohne die österreichische Landeshauptstadt zuvor bereits besucht zu haben – wobei ihm die Entscheidung, mit seiner Familie nach Wien zu ziehen, nicht schwer fiel: "Ich habe im Vorfeld nur Gutes über die Stadt und Universität gehört", so Patrick Sakdapolrak.

Was die Forschung anbelangt, bietet das Institut für Geographie und Regionalforschung durch die Arbeiten im Bereich Migration und Risiko sowie den regionalen Forschungsfokus auf Südostasien hervorragende Anknüpfungspunkte. Für sein Engagement an der Universität nimmt sich Patrick Sakdapolrak vor, "Bevölkerungsdynamiken im Kontext von Umweltveränderungen und Entwicklungsprozessen zu untersuchen. Wir wollen ein Referenzpunkt für diese Thematik in der internationalen Forschungslandschaft werden", so Patrick Sakdapolrak

Auf der anderen Seite des Hörsaals


Um Forschung und Lehre zu verbinden, gestaltet Patrick Sakdapolrak die Betreuung seiner Studierenden nah an der Realität der Forschung: "Vor allem ist es mir wichtig, Studierende auf Bachelor- und Masterebene mit ihren Abschlussarbeiten in laufende Forschungsarbeiten zu integrieren, um ihnen einen Einblick in das wissenschaftliche Arbeiten der heutigen Zeit zu geben", erklärt der Professor.

Umgekehrt werden Themen seiner aktuellen Forschung in Lehrveranstaltungen behandelt. Patrick Sakdapolrak schätzt die Studierenden zudem als inspirierenden Brutkasten für Ideen, "denn sie sind bei weitem keine passiven Empfänger von Bildung, sondern besitzen eine eigene Meinung zum fachlichen Diskurs. Die fachlichen Auseinandersetzungen mit den Studierenden sind ungemein bereichernd."

Im vergangenen Juli reiste eine Gruppe von 22 Studierenden des Instituts für Geographie und Regionalforschung unter der Leitung von Patrick Sakdapolrak im Rahmen einer Exkursion durch Thailand. Für uni:view berichteten sie in einer Reihe von Gastbeiträgen von ihren Erlebnissen vor Ort: Post aus Thailand

Warum Geographie?

Die Breite des Fachs, also die Tatsache, dass sowohl naturwissenschaftliche als auch sozialwissenschaftliche Aspekte behandelt werden, empfindet der Geograph als ausgesprochen bereichernd: "All die Probleme, vor denen wir Menschen stehen, erfordern die kombinierte Betrachtung von Natur und Gesellschaft. Diese interdisziplinäre Herangehensweise des Faches schätze ich sehr."

In Wien angekommen?

"Ich habe noch nicht wirklich die Zeit gefunden, all das zu erkunden, was Wien jenseits der Universität zu bieten hat" entgegnet Patrick Sakdapolrak auf die Frage, ob er sich in Wien schon gut auskennt. Die freie Zeit verbringt er mit seiner Frau und dem dreijährigen Sohn häufig in Parks und auf Spielplätzen. "Wenn es einen Ort in Wien gibt den wir schon wirklich gut kennen, dann ist es der Tiergarten. Wir wohnen in der Nähe von Schloss Schönbrunn und mein Sohn liebt die Nilpferde und die Pandabären." (hma)

Die Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Dipl.-Geogr. Dr. Patrick Sakdapolrak, MA,  Institut für Geographie und Regionalforschung, zum Thema "Handeln unter Risiko. Perspektiven auf Verwundbarkeit und Resilienz im Globalen Süden" findet am Montag, 7. November 2016, um 18 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien statt.