Martin Rothgangel: Religionspädagogik im Dialog

Seit März 2010 ist Martin Rothgangel Professor für Religionspädagogik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät. An der Universität Wien kooperiert der gebürtige Bayer, der für eine Balance zwischen Standpunkthaftigkeit und Offenheit im Religionsunterricht eintritt, eng mit der Katholischen und der Islamischen Religionspädagogik: Gearbeitet wird u.a. an einem gemeinsamen Fachdidaktikzentrum Religion. Um das Thema Fachdidaktik dreht sich auch die Antrittsvorlesung des Vizedekans und Institutsvorstands am Montag, 16. Mai 2011.

Religiöse Bildung theoretisch zu reflektieren und empirisch zu erforschen – das ist der Gegenstandsbereich jener Disziplin, der sich Martin Rothgangel verschrieben hat. "Ein besonderes Potenzial der Religionspädagogik liegt in der Analyse der gegenwärtigen religiösen Situation in der Gesellschaft", so der evangelische Religionspädagoge: "Vor diesem Hintergrund können wir in der Folge religiöse Bildungsprozesse konzeptionell erarbeiten, praktisch erproben sowie empirisch analysieren – und die Ergebnisse zurück in Bildungsinstitutionen sowie in die Theologie spielen, um damit einen Beitrag zu Aktualität und Lebensweltbezug der Theologie zu leisten."

Lernen zwischen den Religionen

Zurzeit stehen ReligionspädagogInnen international vor allem vor einer Grundherausforderung, die wie alle Lebensbereiche auch das Feld Religion betrifft: Pluralismus. "Wie gehen Lehrkräfte, aber generell auch die Gesellschaft, mit der Koexistenz verschiedener religiöser Lebensstile, Interessen und Konzepte um?", ist eine der Fragen, die sich der Vorstand des Instituts für Religionspädagogik stellt: "Eine wichtige Teilfacette dieser aktuellen Herausforderung ist das Thema interreligiöses Lernen."

Hier freut sich der Wissenschafter, der vor seinem Ruf an die Universität Wien Professuren an den Pädagogischen Hochschulen Erfurt und Weingarten sowie der Universität Göttingen innehatte, ganz besonders über die enge Zusammenarbeit mit Martin Jäggle vom Fachbereich Religionspädagogik und Katechetik der Katholisch-Theologischen Fakultät sowie Ednan Aslan, der am Institut für Bildungswissenschaft den Masterstudiengang "Islamische Religionspädagogik" leitet.

Neben gemeinsamen internationalen Konferenzen und (Lehr-) Veranstaltungen – wie etwa der aktuellen Ringvorlesung "Religion und Gemeinschaft. Die Frage der Integration aus christlicher und muslimischer Perspektive" –, plant dieses Team zurzeit ein Fachdidaktikzentrum Religion an der Universität Wien zu institutionalisieren.

Naturwissenschaften und Religion

Aktuell beschäftigt sich Martin Rothgangel – der eigentlich Religionslehrer werden wollte, aber nach seinem Studium der evangelischen Theologie eine Assistentenstelle an der Universität Regensburg erhielt und dann, wie er schmunzelnd verrät, "an der Universität hängengeblieben" ist – auch mit dem Spannungsfeld Naturwissenschaften und Religion. "Zurzeit betreue ich zwei Doktorarbeiten, die sich mit Kreationismus und Szientismus auseinandersetzen", so der Wissenschafter, den es besonders interessiert, wie verbreitet wissenschaftsgläubige und kreationistische Einstellungen sind bzw. wie sie kritisch-konstruktiv bearbeitet werden können.

Religionspädagogisches Grundwissen vermitteln

In der Lehre hat Rothgangel, der 1962 in Weiden in der Oberpfalz geboren wurde, drei vorrangige Ziele: Erstens möchte er den Studierenden ein umfassendes, religionspädagogisches Grundwissen mit auf den Weg geben. Zweitens sollen sie jene empirisch-methodische Grundkompetenz erwerben, die es ihnen im späteren Berufsleben erlaubt, die SchülerInnen differenziert wahrzunehmen.

"Lehrkräfte müssen oft unmittelbar auf konkrete Situationen reagieren – das kann aber dazu führen, dass sich bestimmte Verhaltens- und Wahrnehmungsmuster festsetzen", so der Professor: "Hierin liegt sowohl die Stärke als auch die Herausforderung, die der Lehrberuf mit sich bringt." Sein drittes Ziel ist es schließlich, begabte Studierende in der Endphase des Studiums bzw. im Doktorat durch spezielle Forschungsseminare an eine akademische Karriere heranzuführen.

Herzensangelegenheit "mit Köpfchen" vermitteln

"Religion ist immer eine 'Herzensangelegenheit' – und in einer pluralen Gesellschaft müssen wir lernen, gerade bei emotionalen Themen tolerant zu sein", nennt Rothgangel eine wichtige Herausforderung der religionspädagogischen Fachdidaktik. Er selbst vertritt einen "Religionsunterricht mit Standpunkt": "Es ist durchaus möglich, seine Überzeugungen zu vertreten und dabei offen zu bleiben – und das erwarten sich auch die SchülerInnen von ihrer Lehrkraft."

Die Bedeutung einer solch differenzierten Wahrnehmung für den Religionsunterricht ist dem sportbegeisterten Wahlwiener, der sich in seiner "absoluten Lieblingsstadt" rasch eingelebt hat, vor allem im Rahmen seiner ersten Vertretungsprofessur an der PH Erfurt (1996-1998) klargeworden. "Als westdeutscher Religionspädagoge in einem der Neuen Bundesländer kurz nach der Wende einen Religionsunterricht zu erleben, der um seine Daseinsberechtigung kämpfen muss, das war eine prägende Erfahrung", so Martin Rothgangel, der gerne noch abends bei einer Melange oder einem Gläschen Rotwein im Kaffeehaus arbeitet: "Dabei trifft man auf ganz unterschiedliche Menschen und kann lernen, deren Glauben und Religiosität im Kontext ihrer Lebenswelt zu verstehen." (br)

Univ.-Prof. Dr. Martin Rothgangel vom Institut für Religionspädagogik hält seine Antrittsvorlesung zum Thema "Auf dem Weg zu einer 'Allgemeinen Fachdidaktik'. Ein Beitrag aus religionspädagogischer Perspektive" am Montag, 16. Mai 2011, um 17 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien.