Judith Schoonenboom: "Mixed Methods" in der Bildungswissenschaft

Ob qualitativ oder quantitativ, theoretisch oder praktisch – die Bildungswissenschafterin Judith Schoonenboom kombiniert in ihrer Lehre und Forschung als Expertin im Bereich der "Mixed Methods" unterschiedliche methodische Ansätze und Denkweisen.

"Eigentlich habe ich immer schon gelehrt", erinnert sich Judith Schoonenboom an ihre Jugendzeit zurück: "Bereits in der ersten Schulstufe habe ich versucht, meinen KlassenkameradInnen schwierige Dinge zu erklären. Diese Faszination fürs Lernen und Lehren hat mich bis heute nicht losgelassen." Und sie hat dazu geführt, dass die gebürtige Niederländerin eine erfolgreiche Karriere im Bereich der Bildungswissenschaft eingeschlagen hat.

Dabei kommt Judith Schoonenboom  ja eigentlich aus den Sprachwissenschaften: Nach dem Studium der Niederländischen Linguistik an der Universität Utrecht und der Universität von Amsterdam im Jahr 1987 folgten Tätigkeiten in Forschung und Lehre (1992 bis 1998) und ihre Dissertation (2000). Seit 1996 beschäftigt sie sich mit dem bildungswissenschaftlichen Bereich, u.a. an der Universität von Amsterdam (2002 bis 2009),  in verschiedenen nationalen sowie EU-Projekten (2004 bis 2009) und als Assistenzprofessorin an der Freien Universität Amsterdam (2008 bis 2015).

Vor dem Antritt ihrer Professur war Judith Schoonenboom von 2008 bis 2015 an der Freien Universität Amsterdam beschäftigt. Im Bild: Die Forscherin (stehend) bei der Arbeit mit Studierenden im Pre-Masterprogramm "Teaching and Learning in Higher Education". (Foto: Yvonne Compier)


Professorin und Studienprogrammleiterin

Seit September 2015 lehrt und forscht die 51-Jährige nun als Professorin für Empirische Pädagogik am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien. "Ich freue mich, hier in Wien zu sein und sehe diese Position auch als Anerkennung meiner bisherigen wissenschaftlichen Arbeit an", meint die Forscherin, die in ihrem Spezialgebiet – den sogenannten "Mixed Methods" – als renommierte internationale Expertin gilt. "Ich möchte diese Professur nutzen, um die Zusammenarbeit der WissenschafterInnen in meinem Forschungsbereich innerhalb und außerhalb Europas zu fördern, die Weiterentwicklung voranzutreiben und die Integration von neuen Erkenntnissen in die Lehre zu verstärken", so die Zielsetzung.

Darüber hinaus engagiert sich Schoonenboom als Studienprogrammleiterin (SPL) für die spezifischen Bedürfnisse der Studierenden in ihrem Fach. "Mit der Stelle als SPL, die ich seit Oktober 2016 innehabe, schließt sich für mich gewissermaßen der Kreis: Ich kann aus erster Hand erfahren, wo es Probleme gibt und bekomme Feedback, ob etwas gut oder schlecht funktioniert hat – zum Beispiel bei Änderungen des Curriculums", meint die Bildungsexpertin.

Vermischte Methoden

Auch in der Forschung versteht sie es, die Grenzen zwischen starren Methodengerüsten aufzubrechen, und veranschaulicht das anhand eines Beispiels: "Nehmen wir an, wir wollen in einem Kindergarten untersuchen, welche Spielzeuge für die Kinder besonders wichtig sind. Dafür könnte ich den Kindern etwa Kameras geben und sie bitten, ihre Lieblingsgegenstände zu fotografieren. Die Objekte, die dabei am häufigsten fotografiert werden, sind dann quantitativ gesehen die wichtigsten. Will ich aber auch genauere Gründe hierfür herausfinden, muss ich die Kinder in qualitativen Interviews befragen. Wenn ich aber die Ergebnisse beider Ansätze miteinander verknüpfe, erhalte ich ein wesentlich aussagekräftigeres Bild – genau das bezeichnen wir als Mixed Methods."

In der Mixed Methods-Literatur wird behauptet, dass quantitative Methoden davon ausgehen, dass es eine objektiv erfassbare Welt gibt. In der qualitativen Welt glaubt man demnach hingegen an mehrere subjektive Welten. "Aber das Bild stimmt nicht", erklärt Schoonenboom: "Als Mixed Methods-Forscherin bewege ich mich nicht zwischen zwei Weltauffassungen. Vielmehr akzeptiere ich unterschiedliche Argumentationsweisen anhand unterschiedlicher Quellen."

Theorie und Praxis

Gerade im Bildungssektor sei es wichtig, verschiedene Sichtweisen miteinander zu verbinden: "Bildung ist generell ein sehr komplexes Thema, bei dem man es immer mit unterschiedlichen Perspektiven zu tun hat. Egal, ob für SchülerInnen, Eltern oder LehrerInnen – wenn es um die Entwicklung von pädagogischen Konzepten geht, müssen verschiedene Sichtweisen berücksichtigt werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass neue Ideen auch von allen Beteiligten als Verbesserung aufgefasst werden", erläutert die Expertin.

Als "ungemein wichtig" stuft sie auch die starke Verzahnung von Theorie und Praxis ein: "In der empirischen Forschung geht es nicht darum, ein Problem theoretisch zu lösen, sondern Aussagen auf empirische Daten zu stützen ". Gleichzeitig sei empirische Forschung aber auch immer in ein Theoriegerüst eingebettet: "Am Beginn jeder Forschung steht die Theorie, aus der eine konkrete Forschungsfrage abgeleitet wird. Dann kommt die Empirie, die versucht, Daten zu dieser Frage zu erheben und zu analysieren. Zum Schluss kommt man wieder in die Theorie zurück und fragt sich, welche Bedeutung den gewonnenen Erkenntnissen für Theorie und Praxis zukommt."

"Empowerment" statt Wissensvermittlung

Auch wenn Judith Schoonenboom selbst im Hörsaal steht, versucht sie stets, Theorie und Praxis gewinnbringend miteinander zu verknüpfen. "Meine Studierenden sind immer am neuesten Forschungsstand. Ich bringe regelmäßig Vorabdrucke meiner neuesten Publikationen mit, um sie zu erläutern und gemeinsam zu diskutieren."

In der Lehre gehe es ihr dabei keinesfalls um bloße Wissensvermittlung: "Ich setze vielmehr auf das 'Empowerment' der Studierenden. Sie sollen in der Lage sein, sich selbst ihr Wissen erarbeiten zu können", so die neue Professorin, die immer bemüht ist, sich Zeit für ihre StudentInnen zu nehmen. "Ich bin überzeugt davon, dass man sehr viel von den Studierenden lernen kann, wenn man ihnen gut zuhört." (ms)

Die Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Dr. Judith Schoonenboom, Professorin für Empirische Pädagogik und Studienprogrammleiterin am Institut für Bildungswissenschaft der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft, zum Thema "Mixed Methods in Educational Research" findet am Freitag, 2. Dezember 2016, um 16 Uhr im Großen Festsaal der Universität Wien statt.