Jörg Matthes: "Ich möchte Begeisterung vermitteln"

Jörg Matthes besetzt an der Universität Wien die neu eingerichtete Professur für Werbeforschung. Und fragt sich, wie selbstbestimmt Menschen in der Rezeption von Werbung eigentlich sind.

Im Theater – vorzugsweise im Burgtheater – kann sich Jörg Matthes wunderbar entspannen. Vielleicht, weil es dort keine Werbeunterbrechungen gibt. Fast überall sonst begegnet der Psychologe und Publizistikwissenschafter seinen Forschungsschwerpunkten – Produktwerbung und politische Werbung – auf Schritt und Tritt. Und hält, ob beim Spaziergang durch Wien, im Kino oder beim Fernsehen, sozusagen immer ein "wissenschaftliches" Auge offen. Nicht nur, weil die Medienwelt ständig im Wandel ist und ein Werbeforscher auf dem Laufenden bleiben muss. Auch, weil Matthes immer auf der Suche nach spannenden Diskussionsbeispielen ist: Das gemeinsame Analysieren aktueller Werbekampagnen ist fixer Bestandteil seiner Vorlesungen am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien.

Den Studierenden den Ball zuspielen


Begeisterung wecken, Interaktion ermöglichen, die Studierenden mit einbeziehen – das ist ihm in der Lehre wichtig. Unabhängig davon, wie viele StudentInnen vor ihm im Hörsaal sitzen – "je mehr, umso besser!", sagt er sogar. An der Universität Zürich – hier hat Jörg Matthes promoviert, war Postdoc und zuletzt Assistenzprofessor für politische Kommunikation/politisches Verhalten – haben ihn die StudentInnen für den Lehrpreis zum Thema "Studierende für Wissenschaft begeistern" in die universitätsweiten Top Ten gewählt.

"Es soll Spaß machen"

Seinen offenen Zugang in der Lehre hat er sich u.a. im Rahmen seiner Forschungsaufenthalte an der Ohio State University (Columbus) und an der George Washington University (Washington) von den US-amerikanischen KollegInnen abgeschaut: "Jeder kann und soll mitreden. Alle bekommen ihre Chance", so Matthes, der seit Oktober 2011 an der Universität Wien lehrt: "Gerade was neue Medien- und Werbeformen wie Facebook betrifft, haben Studierende den DozentInnen gegenüber oft die Nase vorne. In der Zusammenarbeit können wir aneinander wachsen, es kann Neues, Unerwartetes entstehen." Und Spaß machen muss es auch: "Zu sehen, mit welcher Begeisterung, Motivation, Offenheit sowie theoretischer und methodischer Exzellenz an den US-Universitäten geforscht und gelehrt wird, hat meine Arbeitsweise stark geprägt."

Publizistikwissenschaft international

Jörg Matthes blickt aber nicht nur in punkto Lehre und Didaktik über den Atlantik. In den USA ist die Werbeforschung ein etablierter Forschungszweig der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Im deutschsprachigen Raum ist er der erste, der eine Professur mit Schwerpunkt Werbeforschung besetzt. Die Wiener Werbeforschung international zu positionieren, in führenden Zeitschriften zu etablieren und bei den weltweit besten Teams anzuklopfen, das habe ihn an der Universität Wien gereizt, sagt der Wissenschafter, der neben Wien gleich drei weitere Rufe an andere Universitäten hatte.

Insgesamt sei die Disziplin Publizistikwissenschaft hierzulande gerade erst dabei, sich zu internationalisieren. Diesen Prozess zu unterstützen, ist Matthes ein großes Anliegen. "Vor allem was die sozialwissenschaftlichen Methoden betrifft, so spielt die Musik auf dem internationalen Parkett", sagt der Mitherausgeber der Fachzeitschrift "Communication Methods & Measures". Nicht umsonst gibt es die neue Website seiner Forschungsgruppe, der "Vienna Advertising and Media Effects Research Group", nur in englischer Sprache. Auch dem Nachwuchs legt Matthes nahe, englisch zu lesen, zu denken, zu publizieren und sich der internationalen Kritik auszusetzen.

Wie beeinflussbar sind wir eigentlich?

In der Forschung beschäftigt den 35-Jährigen vor allem die Frage nach der Souveränität der RezipientInnen. "Wir unterschätzen die Macht der Massenkommunikation und der Medienstimuli, mit denen wir täglich in mannigfaltiger Form konfrontiert werden. Es ist eine Illusion, dass wir selbstbestimmt mit Produkten und Meinungen umgehen."

Den Einfluss von politischer Werbung auf die Meinungsbildung untersucht der Professor u.a. am Beispiel von Wahlkampagnen rechtspopulistischer Parteien, die sich Emotionen bedienen – etwa der Angst vor Ausländern. In der Produktwerbung interessieren ihn u.a. die sogenannten hybriden Werbeformen – also Werbung, die wir gar nicht als solche erkennen. "Dazu gehört beispielsweise die gezielte, aber oft unbemerkte Platzierung von Lebensmitteln in Kinofilmen", erklärt Matthes.

Ihm geht es aber nicht nur darum, die Wirkung von Medienangeboten zu verstehen und zu beschreiben: Wichtig sind ihm auch die gesellschaftlichen Implikationen, die sich daraus ergeben, etwa im Hinblick auf die Irreführung von KonsumentInnen oder die Qualität demokratischer Willensbildung. Wer jetzt neugierig geworden ist, kommt am besten am Freitag, 11. Jänner, um 17 Uhr in den Großen Festsaal: Da verrät der neue Professor mehr über die "unbemerkte Wirkung von Werbung". (br)

Univ. Prof. Dr. Jörg Matthes hält seine Antrittsvorlesung zum Thema "Unbemerkte Werbewirkung. Konturen eines Forschungsprogramms" am Freitag, 11. Jänner 2013, um 17 Uhr im Großen Festsaal der Universität Wien.