Ina Hein: Das andere Japan

Zufall oder Fügung? Ihre Sitznachbarin im Orchester der Universität Trier animierte Ina Hein Ende der 1980er Jahre, von der Psychologie in die Japanologie zu wechseln. Heute ist sie in diesem Fach Professorin, mit Schwerpunkt japanische Gegenwartsliteratur und Geschlechterverhältnisse in Japan.

Als Ina Hein 1988 mit dem Japanologiestudium an der Universität Trier anfing, gab es dort pro Jahrgang rund 25 Studierende; in Wien, wo Ina Hein seit 2012 die Professur für Japanologie mit kulturwissenschaftlicher Ausrichtung innehat, sind es heute circa 200.

"Die Motivation, Japanologie zu studieren, hat sich seit Ende der 1980er Jahre geändert. Japan war damals eine Wirtschaftsmacht; so haben viele Studierende vermehrt Jobmöglichkeiten gesehen und Japanologie mit einem Wirtschaftsstudium kombiniert", sagt Hein. In heutiger Zeit ist das anders: Japan befindet sich in einer langen Rezession, dafür boomt aber die japanische Populärkultur seit Jahren im Ausland. Viele Studierende haben heute seit Kindesbeinen an Kontakt zu Mangas und Animationsfilmen. Das war zu meiner Zeit ganz anders."

Faszination japanische Sprache und Literatur

Sie selbst interessierte sich zu Studienzeiten vor allem für die Sprache und Literatur des ostasiatischen Landes. Bevor sie jedoch Japanisch lesen konnte, vergingen einige Jahre. Heute spricht sie es fließend und übersetzt auch japanische Bücher. "Am Anfang war es ein stures Auswendiglernen der Schriftzeichen. Japanisch funktioniert ja auch nach ganz anderen grammatikalischen Strukturen als Deutsch, hier muss man erst einmal umdenken. Aber mit der Zeit bekommt man schon ein Gefühl dafür."


1991 reiste Ina Hein im Rahmen eines privat organisierten Studierendenaustausches das erste Mal nach Japan. In Tokio besuchte sie auf der Universität Sprachkurse, wo sie eine der wenigen Europäerinnen war: "Von den elf AustauschstudentInnen waren zehn AmerikanerInnen und ich. Das ist heute natürlich viel internationaler geworden."



"In der Literatur finden sich sehr individuelle Meinungen, die oft auch dem gängigen Japanbild widersprechen – das ist für mich faszinierend", so die Japanologin: "In meiner Dissertation habe ich mich mit populären Autorinnen der 1970er und 80er Jahre beschäftigt, also solche, die auch wirklich gelesen werden – und die dennoch kein Mainstream sind. In ihren Werken habe ich die literarischen Konstruktionen von Männlichkeit, Weiblichkeit und Geschlechterbeziehungen untersucht – ein Beitrag aus japanologischer Perspektive zu den Gender Studies"

Japan und Asien

Ein weiterer Forschungsschwerpunkt von Ina Hein ist das Verhältnis von Japan zum restlichen Asien, das "nicht ganz unproblematisch ist". Sie schaut sich an, wie diese Länder in japanischen Texten, Filmen und im Fernsehen dargestellt werden. "Japan hatte bis zum Zweiten Weltkrieg viele Kolonien in Asien und sah sich gegenüber der dort lebenden Bevölkerung als überlegen an. Auf diese Vormachtstellung, die sich Japan bis heute oft herausnimmt, reagieren die anderen Länder natürlich allergisch", erklärt Hein: "Japan selbst fühlt sich eher als fortschrittliche westliche Industrienation und grenzt sich damit vom Rest Asiens ab."

Die Universität Wien mit ihrem Institut für Ostasienwissenschaften, das die Fachrichtungen Japanologie, Sinologie, Koreanologie sowie Wirtschaft und Gesellschaft Ostasiens vereint, ist für die Forschungsschwerpunkte Heins geradezu ideal. "Das ist wirklich toll hier. So kann ich mich direkt mit den KollegInnen der anderen Fachrichtungen austauschen."

Sonderfall Okinawa

Aktuell forscht Ina Hein zur südlichsten Präfektur Japans: der Inselgruppe Okinawa. Sie gehört erst seit 1879 zu Japan, zuvor war Okinawa ein eigenständiges Königreich mit eigener Sprache und Kultur. "Bis heute ist die Beziehung von Okinawa zu Japan ambivalent und problematisch. Im Zweiten Weltkrieg setzte Japan die von der südlichsten Hauptinsel über 600 Kilometer entfernte Inselgruppe als Pufferzone ein, heute ist es sozusagen 'das Hawaii Japans'."


Während Ina Heins Japanaufenthalt Anfang der 1990er-Jahre stand das Sprachenlernen im Mittelpunkt, aber Zeit zum Reisen blieb auch genug.



In Okinawa gibt es regionale Literatur, lokale Fernsehproduktionen und -programme. Diese beschäftigen sich mit den Problemen der Region, während in japanischen Produktionen Okinawa als das Touristenparadies oft verklärt präsentiert wird – spannende Gegensätze in Selbst- und Fremdwahrnehmung auf beiden Seiten. Und viel Forschungsmaterial für Ina Hein, die ihre Beschäftigung mit Okinawa als Diskursanalyse versteht.

Weg von der Exotik

In der Lehre ist es der Japanologie-Professorin wichtig, den Studierenden ein realistisches Japanbild zu vermitteln, "weg vom Exotischen". "Die StudentInnen sollen wissen, welche Themen und Diskussionen in Japan gerade aktuell sind und auch warum", so Hein: "Die Japanologie in Wien hat ja eine lange sozialwissenschaftliche Tradition. Meine Professur wurde 2012 ganz neu eingerichtet, um diesen Ansatz um eine kulturwissenschaftliche Perspektive zu ergänzen." (td)

Univ.-Prof. Dr. Ina Hein, M.A. vom Institut für Ostasienwissenschaften, Fachrichtung Japanologie, hält am Montag, 10. November 2014, 17 Uhr im Großen Festsaal des Hauptgebäudes der Universität Wien gemeinsam mit Japanologen Univ.-Prof. Mag. Dr. Wolfram Manzenreiter (zum Porträt) ihre Antrittsvorlesung zum Thema "Die Konstruktion transnationaler Identitäten – sozial- und kulturwissenschaftliche Japanologie im Dialog".