Helen King: Der Mythos um die Weiblichkeit

Der weibliche Körper in der Antike ist das Spezialgebiet von Helen King. Seit März 2014 hat die Historikerin und Sozialanthropologin die Käthe-Leichter-Gastprofessur am Institut für Klassische Philologie, Mittel- und Neulatein der Universität Wien inne.

"Ich war schon immer etwas exotisch": Als Studentin am University College in London schlägt die junge Helen King mit ihrer Fächerkombination aus antiker Geschichte und Sozialanthropologie eine eher untypische akademische Richtung ein. "Ich habe mich für Mythologie interessiert und bin so schließlich zur Medizin des alten Griechenlands gekommen – zwei Themen, die viel gemeinsam haben", erzählt die heutige Professorin für Classical Studies an der britischen Open University.

Die Medizin der Antike galt lange als Ursprung der heutigen Schulmedizin und tatsächlich sind viele historische Texte von medizinischer Relevanz – doch eben nicht alle: "Insbesondere die Vorstellungen über den weiblichen Körper und dessen Funktionsweise haben sich verändert", so Helen King.

Die Gynäkologie des alten Griechenlands

Die britische Wissenschafterin, die im Sommersemester 2014 als Käthe-Leichter-Gastprofessorin an der Universität Wien lehrt, verweist auf einen Text, der auf das fünfte Jahrhundert vor Christus zurückgeht: "Damals wurde davon ausgegangen, dass die Gebärmutter im Körper herumwandert – wie sich das wohl angefühlt hat?"

Die Gynäkologie des alten Griechenlands mit all ihren Mythen ist zum Steckenpferd der Historikerin geworden. In ihrer Dissertation beschäftigte sie sich mit dem Thema "Menstruation in der Antike" und betrat so neues Terrain in der damals vorwiegend männerdominierten Geschichtswissenschaft. "Es war nicht immer einfach. Problematisch war aber nicht unbedingt mein Geschlecht, sondern vor allem meine geschlechtsorientierte Forschung."

Historische Nischenforschung

Seitdem ist Helen King zu einer Koryphäe ihres Fachgebiets avanciert. Sie forschte unter anderem als Stipendiatin am Newnham College in Cambridge und erhielt den Wellcome Trust University Award. Mittlerweile hat sie mehrere Wissenschafterinnen kennengelernt, die sich in den unterschiedlichsten Ländern mit Gynäkologie der Antike befassen: "Das Feedback von mutigen Kolleginnen ist besonders wichtig, wenn Nischenforschung betrieben wird."

Auch die Nachwuchsförderung liegt der Historikerin am Herzen, und während ihrer dreimonatigen Lehrtätigkeit möchte sie den Studierenden der Universität Wien etwas andere Forschungsthemen näherbringen: Lebenszyklen in der Antike, die Geschichte der Geburtshilfe und die Vergeschlechtlichung des Körpers.


Ihren jungen KollegInnen kann die Wissenschafterin nur raten, ihren Interessen zu folgen. "Es braucht Hingabe und eine Portion Glück, um Forschung hauptberuflich betreiben zu können." (im Bild Helen King am Strand von Bexhill-on-Sea 1995, am Beginn ihrer Lehrtätigkeit am Liverpool Hope University College; Foto: privat)



Von der Antike zur Gegenwart

Die sympathische Professorin hegt eine Leidenschaft für die Antike, forscht jedoch stets mit einem Blick auf die Gegenwart. "Wir können von der Geschichte lernen und dadurch eine andere Perspektive auf die aktuelle Medizin erhalten." Das Spekulum beispielsweise wurde von den alten Griechen entwickelt und findet noch heute Verwendung in der Geburtshilfe, andere Praktiken sind im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten.

Im Rahmen ihrer Professur an der Open University unterrichtet Helen King Studierende der Geisteswissenschaften, aber sie arbeitet auch regelmäßig mit MedizinerInnen in Truro an der Peninsula Medical and Dental School zusammen. "Viele Praktizierende interessieren sich für die Vergangenheit, denn auch das medizinische Wissen unterliegt einem steten Wandel, früher und heute!"

Das Lied vom Tod

Die Käthe-Leichter-Gastprofessur führte Helen King im März 2014 nach Wien. Hier genießt sie nicht nur das Lehren und Lernen, Eiscreme und Musikveranstaltungen, sondern vor allem die Tramfahrten. "Ich liebe die öffentlichen Verkehrsmittel in Wien. Vom Zentrum zum Kahlenberg und zurück!"

Ebenso der ihr zufolge "morbide Charme" der Hauptstadt trifft einen Nerv der britischen Forscherin: "Von beruflichen Wegen her interessiere ich mich für die Geburt, aber eine Faszination habe ich für den Tod." Der Zentralfriedhof, das Bestattungsmuseum oder die Kapuzinergruften – für Helen King gibt es in Wien viel zu entdecken. (hm)

Die Käthe-Leichter-Vorlesung "Why (still) all the fuss about the body? Performing gender, changing sex in history" von Prof. Dr. Helen King, die im laufenden Sommersemester die Käthe-Leichter-Gastprofessur für Gender Studies am Institut für Klassische Philologie, Mittel- und Neulatein inne hat, findet am Montag, 26. Mai 2014 um 19 Uhr in der Aula am Campus der Universität Wien statt.