Hartmut Wulfram: Mit seinem Latein nie am Ende

Lateinische Texte von der Antike bis in die Neuzeit: Sein Forschungsfeld ist der "Schlüssel zu rund 2.500 Jahren Kulturgeschichte", sagt Hartmut Wulfram. Seit März 2013 ist er Professor für Neulateinische Philologie und Klassische Latinistik an der Universität Wien.

Hartmut Wulfram ist in den Geisteswissenschaften zuhause: Geschichte, Latein, Griechisch und lateinische Philologie des Mittelalters und der Neuzeit waren seine Studienfächer an der Universität Göttingen. Er habilitierte sich an der Universität Bielefeld und war an der Universität Leipzig und der TU Dresden tätig. Der interdisziplinäre Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn prägt ihn bis heute und ist Teil seines Wissenschaftsverständnisses geworden. Gleichzeitig betont Wulfram, dass ihm viel daran liege, die Stärken des eigenen Fachs in der Forschung umzusetzen.

Historische Textzeugnisse

Das "eigene Fach" ist die Philologie: Der gebürtige Deutsche beschäftigt sich mit lateinischen Texten von der Antike bis in die Neuzeit. Seit März 2013 tut er das an der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Die Professur will den Brückenschlag zwischen antiker Latinistik und Neulatinistik schaffen. Letztere widmet sich lateinischen Texten des Humanismus: "Eines der Charakteristika der Neulatinistik ist, dass sie sich auf antike Vorbildliteratur bezieht. Es gibt kaum einen neulateinischen Text, der sich nicht mit einem antiken Werk auseinandersetzt. Dadurch verliert es aber nicht an Originalität oder Kreativität, vielmehr gilt das heute als Qualitätsmerkmal", erklärt Wulfram.

Inklusive Rezeptionsgeschichte deckt die Forschung daher einen sehr langen Zeitraum ab und liefert wichtige Erkenntnisse zur Kulturgeschichte. Dazu kommt, dass die klassische Philologie einen breiten Literaturbegriff vertritt: Auch Gebrauchstexte und Fachtexte –  etwa eine Inschrift oder ein landwirtschaftlicher Traktat – finden Eingang in die Forschung.

Biografische Konstruktion: "Faction"

Nimmt man literarische Zeugnisse von bzw. über historisch bekannte Figuren in den Blick, haben HistorikerInnen die Aufgabe, geschichtliche Fakten von anekdotenhaften Überlieferungen zu trennen. "PhilologInnen müssen anders an die Sache herangehen: Wir untersuchen auch das historisch 'überschüssige' Material und schauen, wie Anekdoten über Berühmtheiten – z.B. über Alexander den Großen – literarisch eingesetzt werden und was damit ästhetisch bewirkt werden soll."

Ob Fakt oder Fiktion ist für den Philologen also nebensächlich. Denn wahr ist, dass diese Vorstellungswelten ("factions": fact und fiction) über Jahrhunderte weitertransportiert wurden und die abendländische Kultur geprägt haben. In seiner Antrittsvorlesung am 20. November wird der Philologe über die Transformation von Curtius Rufus' "Alexandergeschichte" in der frühen Neuzeit sprechen. Dann wird sich klären, was hinter dem Titel der Antrittsvorlesung "Tödliche Lektüre, Urban Gardening, Virtuelle Bauten und Edle Wilde" wohl alles stecken mag.

Eines vorweg: Mit tödlicher Lektüre bezieht sich Wulfram auf Karl den Kühnen, dem letzten Herzog aus dem Haus Valois-Burgund. Karl der Kühne war ein fanatischer Curtius-Leser. Die Alexandergeschichte des römischen Historikers, der im 1. Jahrhundert nach Christus lebte, faszinierte ihn. Karl identifizierte sich mit dem militärisch erfolgreichen Alexander dem Großen und ließ sein Leben schließlich auf dem Schlachtfeld.

Eskapistische Gegenwelten


Neben den biografischen Konstruktionen interessiert den Latinisten Wulfram auch das Thema "Räume und Topografien". In vielen Texten von der Antike bis zur Neuzeit liest man von Architektur und Landschaften, die so nie existiert haben. Berühmtestes Beispiel ist Arkadien: ein idyllischer Ort, an dem Menschen als zufriedene Hirten leben. Noch im 18. Jahrhundert erträumten sich AristokratInnen diesen Fluchtort, der Freiheiten suggerierte, die es im "wirklichen" Leben nicht gab.

Über die Lehre an Uni und Schule

Von den vielfältigen Forschungsinteressen des neuen Professors profitieren auch die Studierenden, denn für Wulfram ist die Einheit von Forschung und Lehre besonders wichtig. In seinen Lehrveranstaltungen nimmt die Auseinandersetzung mit Originaltexten einen hohen Stellenwert ein: "In der Übersetzung sind die Studierenden ganz stark gefordert. Übersetzungsprogramme, wie man sie im Netz findet, werden für Latein und Griechisch nie akzeptable Ergebnisse liefern können. Das macht es noch reizvoller", lacht der Latinist.

Dass Latein in Schulen nach wie vor eine wichtige Rolle spielt, dafür ist der Vater zweier Töchter dankbar. Er erzählt, dass sich die Art des Unterrichtens sehr verändert hat: "Kulturwissenschaftliche Aspekte rücken immer mehr in den Mittelpunkt, so kann man wirklich breites Interesse wecken. Die Sprachkompetenz ist das Schwierige, spielt aber natürlich auch eine wichtige Rolle."

An der Universität Wien angekommen

An der Universität Wien schätzt Wulfram die Breite der geisteswissenschaftlichen Fächer und die Forschungskapazität seines Instituts. Auch begeistern ihn die Räumlichkeiten der Universität Wien und die vielen historischen Buchschätze, die die Stadt zu bieten hat. Nach einem Semester Pendeln zwischen Deutschland und Österreich freut er sich, dass er mit seiner Familie nun wirklich angekommen ist. (dy)

Univ.-Prof. Dr. Hartmut Wulfram vom Institut für Klassische Philologie, Mittel- und Neulatein hält am Mittwoch, 20. November 2013, um 17 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien seine Antrittsvorlesung zum Thema "Tödliche Lektüre, Urban Gardening, Virtuelle Bauten und Edle Wilde. Transformation von Curtius Rufus' Alexandergeschichte in der frühen Neuzeit."