Harald Tschan: Der Fitness-Experte für das Weltall

Wie trainiert man richtig im Weltall? Kaum jemand kennt die Antwort so genau wie der Sportwissenschafter Harald Tschan. Der gefragte Experte hat schon für die NASA und Russland gearbeitet und ein "Fitness-Center" für AstronautInnen mitentwickelt. Auch ältere Menschen profitieren von seinem Wissen.

Ein Leben in Schwerelosigkeit wirkt auf viele Menschen faszinierend. Doch die Wenigsten sind sich im Klaren, dass ein längerer Aufenthalt im Weltall gravierende Konsequenzen für den menschlichen Körper mit sich bringt. "Die Schwerelosigkeit beeinträchtigt nicht nur das Herz-Kreislaufsystem, die Knochendichte und den Flüssigkeitshaushalt, sondern führt auch zum Abbau der Muskulatur", erklärt Harald Tschan, Leiter der Abteilung Trainingswissenschaft am Institut für Sportwissenschaft. Die beste Möglichkeit, um diesem Muskelschwund vorzubeugen, ist regelmäßiges Krafttraining.

Dass AstronautInnen heute während ihres Aufenthalts im All zu einem täglichen Training von eineinhalb bis zwei Stunden verdonnert werden, ist zum Teil auch die Schuld des gebürtigen Wieners. "Ich habe schon 1988 am AUSTROMIR-Projekt gemeinsam mit Franz Viehböck, dem ersten österreichischen Astronauten, gearbeitet. Wir wollten herausfinden, wie schnell und in welchem Ausmaß die Muskelkraft im Weltall abnimmt", erklärt Tschan. "Das Projekt war sehr erfolgreich und unsere Erkenntnisse damals noch völlig neu. Wir konnten zeigen, dass dieser Prozess durch gezieltes Krafttraining gänzlich verhindert werden kann", so der Wissenschafter.

Antrittsvorlesung und Emeritierungsvorlesung des Zentrums für Sportwissenschaft und Universitätssport
Am Montag, 9. November 2015, finden ab 18 Uhr im Großen Festsaal der Universität Wien die Emeritierungsvorlesung von Univ.-Prof. Dr. Norbert Bachl zum Thema "... und sie bewegt sich doch (noch) ..." sowie die Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Mag. Dr. Harald Tschan zum Thema "Kraftvoll durchs Leben" statt. Rektor Heinz W. Engl und Altrektor Georg Winckler sprechen einleitende und persönliche Worte. Zur Einladung (PDF)

Gefragter Experte

Seine Mitarbeit im Rahmen von AUSTROMIR ließ Tschan schnell zu einem gefragten Experten in Sachen Weltraum-Fitness werden. So verwundert es nicht, dass er anschließend auch viele russische Kosmonauten im Rahmen ihrer Langzeitflüge zur Raumstation MIR untersuchen durfte. Um deren Muskulatur zu stärken, war der Professor für Trainings- und Bewegungswissenschaft an der Entwicklung eines neuen computergestützten Trainings- und Diagnosegerätes (MOTOMIR) maßgeblich beteiligt. "Dieses Dynamometer war von 1991 bis 1997 auf der Raumstation MIR im Einsatz", erläutert der Forscher.

"Ohne gezieltes tägliches Training würden AstronautInnen im All innerhalb kürzester Zeit bis zu 50 Prozent ihrer Muskelkraft verlieren und wären bei der Rückkehr auf die Erde kaum in der Lage, selbständig zu gehen", erklärt Harald Tschan. Im Bild: Franz Viehböck, der erste österreichische Astronaut beim Training mit dem "Dynamometer". (Foto: BMBWK)

Auch die US-Raumfahrtbehörde NASA zeigte reges Interesse an der Forschungsarbeit des Österreichers und lud ihn 1999 zur Mitarbeit im Rahmen des Space-Shuttle-Programms ein. "Ich war mehrere Monate lang am Johnson Space Center in Houston und habe dort bei der Entwicklung der Trainingsgeräte und -pläne für die Internationale Raumstation mitgearbeitet", erinnert sich Tschan zurück.

Training für SeniorInnen

Seine besondere Expertise in Sachen Muskeltraining weiß der Sportwissenschafter aber auch in anderen Bereichen gewinnbringend einzusetzen: "Die Erkenntnisse, die wir im All gewonnen haben, lassen sich sehr gut für ältere Menschen nutzen. Auch hier geht es um den Erhalt der Muskelmasse." Dass die muskuläre Leistungsfähigkeit, die ab dem 50. Lebensjahr rapide nachlässt, auch in höherem Alter aufrecht erhalten werden kann, hat er in einem gemeinsamen Projekt mit der Forschungsplattform "Active Ageing" im Zuge von praktischen Übungseinheiten mit SeniorInnen gezeigt. "Mit dem richtigen Trainingsprogramm lässt sich die Lebensqualität der betroffenen Personen erheblich verbessern", betont Tschan.

Die Forschungsplattform "Active Ageing" wurde 2011 zwischen der Fakultät für Lebenswissenschaften und dem Zentrum für Sportwissenschaften eingerichtet und beschäftigt sich mit Forschungsfragen zum Großthema Altern. (Foto: Forschungsplattform Active Ageing)

EU-Einsatz am Balkan

Der begeisterte Skitourengeher und ehemalige Leichtathlet hat aber noch einen weiteren Forschungsschwerpunkt, der ihn in den letzten paar Jahren zunehmend beschäftigt hat: die Curriculumentwicklung. "Ich habe in mehreren EU-Projekten mitgearbeitet, vor allem am Balkan. Dabei ging es darum, in Ländern wie Albanien, Mazedonien oder dem Kosovo Lehrpläne für Sportwissenschaft zu entwickeln", schildert Tschan.

Von 2011 bis 2014 war er von der Universität Wien sogar beurlaubt, um für die EU ein Projekt im Kosovo zu leiten. "Daran waren über 100 KollegInnen aus 15 verschiedenen Ländern beteiligt. Gemeinsam haben wir ein Master-Programm für Sportwissenschaft erarbeitet und die SportlehrerInnen- und TrainerInnenausbildung aufgebaut", so der Experte, der erst kürzlich zum Generalsekretär des European Network for Sports Education gewählt worden ist.

"Schön, wieder hier zu sein"

Die Entscheidung, Wien für drei Jahre zu verlassen, ist ihm zunächst allerdings "nicht leicht gefallen". Zum einen liegt das daran, dass ihn generell ein enges Verhältnis mit seiner Geburtsstadt verbindet, zum anderen an der Tatsache, dass auch seine 20-jährige Tochter hier lebt. "Ich versuche so viel Zeit wie möglich, mit ihr zu verbringen", meint der Wissenschafter, der deshalb auch während längeren beruflichen Auslandsaufenthalten stets zwischen Wien und seinem Einsatzort gependelt ist. "Wenn man viel in anderen Ländern unterwegs ist, weiß man die Lebensqualität in Wien besonders zu schätzen", ergänzt Tschan: "Es ist schön, wieder hier zu sein." (ms)