Hanna Hacker: "Was ist Entwicklung?"

Sexuelle Subjektivität, Körperkonstruktionen, postkoloniale Theorien: Hanna Hacker lehrt seit Jänner 2011 Sozial- und Kulturwissenschaftliche Entwicklungsforschung. Ihre Professur sieht sie als Schnittstelle zwischen universitärer Wissenschaft und entwicklungspolitischer Praxis.

"Der Antritt der neuen Professur hat meine Perspektive auf das universitäre System verändert", erzählt Hanna Hacker vom Institut für Internationale Entwicklung. Während der 25 Jahre als freie Kultur- und Sozialwissenschafterin und externe Lehrende war Hanna Hacker institutionell nicht an eine Universität angebunden – gelegentliche Gastprofessuren ausgenommen – und blickt somit auf keine "klassische Universitätskarriere" zurück. "Umso mehr weiß ich den freundschaftlichen Umgang und die flachen Hierarchien am Institut für Internationale Entwicklung zu schätzen", so die neue Professorin über das junge Institut mit seiner bewegten Geschichte.
 
Es begann in Afrika

"Ungewöhnlich war auch meine Laufbahn als einzige habilitierte Entwicklungshelferin", schmunzelt Hacker, die von 1999 bis 2001 in Burkina Faso und Kamerun "Gender and Development" als Planungsansatz umgesetzt und sich mit Fraueninitiativen in der Region vernetzt hat. "Dieser Bruch in meinem beruflichen Werdegang hat zur Verschiebung meiner Forschungsinteressen geführt", berichtet die Forscherin, die sich seitdem verstärkt mit Rassismus und Entwicklungsfragen auseinandersetzt.

Hommage an Audre Lorde

Diese Themen will Hacker auch in ihrer Antrittsvorlesung ansprechen: "The master's tools will never dismantle the master's house" lautet der erste Teil des Titels – ein Zitat von der karibisch-amerikanischen Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde. Sie kritisiert damit die bestehenden Herrschaftsverhältnisse in den USA, die durch die Fortschreibung von Rassismen und Diskriminierungen gestützt werden. "Die Verwendung des Zitats ist eine Hommage an alle minoritären Stimmen, die Ungleichheiten anprangern", betont die Genderexpertin, die einen ihrer Forschungs- und Lehrschwerpunkte in Kooperation mit dem Verein Frauensolidarität umsetzt: Ihre neu gegründete Forschungsgruppe "Bodies_gender_sex" befasst sich unter anderem mit Sexualitäten, Körpern und Geschlechtern als Handlungsfeld der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) und als Thema von Entwicklungskritik.

Warum studieren wir IE?

Der zweite Teil des Titels ihrer Antrittsvorlesung "Warum und zu welchem Ende studieren wir Internationale Entwicklung?" greift hingegen ein vielverwendetes Zitat von Friedrich Schiller auf. 1789 hielt er seine Antrittsvorlesung zum Thema "Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?" Heute wird diese Frage an die Geschichtswissenschaft nicht mehr gestellt, doch in Hinblick auf die – im deutschen Sprachraum – noch recht junge Disziplin der Internationalen Entwicklung ist sie legitim. "Ich werde in meiner Antrittsvorlesung darlegen, was das Spannende an der Entwicklungsforschung ist, was sie kann und welche Ansätze ich dabei verfolge", erklärt Hacker.

Theorie vs. Praxis

Was ist Entwicklung und warum ist die Vorstellung von Entwicklung vs. Unterentwicklung in unserer Gesellschaft bestimmend? Diese Fragen ziehen sich quer durch Forschung und Lehre der Wissenschafterin, bei deren Professur es sich um eine Stiftungsprofessur der Austrian Development Agency (ADA) handelt. Ihren Forschungs- und Lehrauftrag, wissenschaftliche Theorien mit entwicklungspolitischer Policy zu verbinden, sieht sie als spannende Herausforderung. "Ich vertrete zwei gegensätzliche Positionen: Zum einen habe ich durch eigene praktische Erfahrungen in der EZA gelernt, dass Praxis und Theorie oft weit auseinanderklaffen. Andererseits bin ich Wissenschafterin und hinterfrage den Begriff 'Entwicklung' aus der Perspektive postkolonialer Theorien", erklärt Hacker ihren Standpunkt.

Vergangenheitsbewältigung

Denn das Konzept der "Entwicklung" stammt aus dem Kalten Krieg: Die USA und einige westeuropäische Staaten sahen sich laut Hacker als Missionare – mit "göttlichem Auftrag": Heute will niemand mehr wahrhaben, dass die christlichen Bezüge anfangs zentraler Bestandteil der EZA, und für die Klassifizierung der Länder in "arm" und "reich" ausschlaggebend waren. "Obwohl es viele Versuche gibt, sich von dieser Geschichte zu distanzieren, bleiben die kolonialen Anknüpfungspunkte und 'rassialisierenden Momente' als Tatsachen bestehen. Oft bleibt nur die Möglichkeit der Schadensbegrenzung", betont sie.

Radikal sein

In ihrem aktuellen Forschungsprojekt untersucht die Sozialwissenschafterin die Geschichte der personellen Entwicklungszusammenarbeit: "Dabei analysiere ich autobiographische Texte von EntwicklungshelferInnen aus dem Feld, was auch bei den Studierenden auf großes Interesse stößt." Lesen, Schreiben und Denken beschreibt Hacker als ihre "radikale" Leidenschaft. "Denn erst dadurch kann man oder frau verstehen, wie die Dinge weltweit zusammenhängen." (ps)

Univ.-Prof. Mag. Dr. Hanna Hacker, hält am Freitag, 2. Dezember 2011, um 17 Uhr im Großen Festsaal ihre Antrittsvorlesung zum Thema "The master's tools will never dismantle the master's house: Warum und zu welchem Ende studieren wir Internationale Entwicklung?"