Gerhard Langer: Jüdische Kulturgeschichte

Die Beschäftigung mit jüdischer Traditionsliteratur fasziniert Gerhard Langer seit Beginn seines Studiums: Neben der Bibel sind es in erster Linie rabbinische Quellen wie Talmud und Midrasch, zu denen der Professor für Geschichte, Religion und Kultur des Judentums in rabbinischer Zeit (70-1000 n. Chr.) forscht und lehrt. Professor an der Universität Wien – jenem Ort, an dem vor rund 30 Jahren sein Interesse für die Judaistik geweckt wurde – ist er seit September 2010. Am Montag, 27. Juni 2011, spricht Langer in seiner Antrittsvorlesung zum Thema "MenschenBildung. Rabbinisches zu Lernen und Lehren jenseits von PISA".

"Es ist nicht nur ein religiöses und weltanschauliches, sondern ebenso ein literarisches als auch 'lebenspraktisches' Interesse, das mich zur Bibel und den traditionellen rabbinischen Texten der Zeit zwischen 70 und 1000 nach Christus hinzieht", beschreibt Gerhard Langer vom Institut für Judaistik sein Forschungsinteresse. An letztgenannten – den Auslegungen religiöser Texte durch jüdische Gelehrte – interessierte ihn zunächst der vernunftorientierte Zugang der Rabbiner, die in ihren Kommentaren und Analysen der hebräischen Bibel immer auch das Ziel verfolgten, den Lebensalltag der Menschen positiv zu beeinflussen.

Sowohl in der Midrasch – einer Gattung von Texten, die sich mit der Rezeption, Interpretation und Aktualisierung biblischer Texte auseinandersetzt – als auch im Talmud – einem der bedeutendsten Schriftwerke des Judentums – wurden immer auch Situationen des Lebensalltags der jeweiligen Zeit mitbearbeitet. "Im Roman 'Tycho Brahes Weg zu Gott' des modernen jüdischen Schriftstellers Max Brod spricht Tycho Brahe davon, dass er, ein Nicht-Jude, sich in den jüdischen Erzählungen immer wieder selbst entdeckt hat. Mir geht es ganz ähnlich. Ich würde mich selbst als 'Hausfreund' der jüdischen Familie bezeichnen: als eine Persönlichkeit, die an der Auseinandersetzung mit der jüdischen Kulturgeschichte gereift ist", so Langer.

Von der katholischen Theologie zur Judaistik

Ausgangspunkt des wissenschaftlichen Werdegangs von Gerhard Langer, 1960 in eine sozialdemokratische Eisenbahner-Familie in Schwarzach im Pongau hineingeboren, war das Studium der Katholischen Theologie in Salzburg. Nach zwei Jahren wechselte er nach Wien und entschied sich für die Judaistik als Zweitfach: "Anfangs war das eher als 'Hintergrundinformation' gedacht, es hat sich aber bald herausgestellt, dass mich die Themen wie auch das Umfeld beziehungsweise die Atmosphäre am kleinen, fast schon familiären, Institut für Judaistik sehr faszinieren. Ich hab' dann schnell meinen ursprünglichen Berufswunsch –Bischof – aufgegeben", schmunzelt der Wissenschafter.

1983 schloss Langer das Studium der Katholischen Theologie, Altsemitischen Philologie und Judaistik ab und versuchte sich zunächst als Religionslehrer. Bereits nach einem Jahr im Schuldienst zog es ihn wieder zurück an die Universität. Am Institut für Alttestamentliche Bibelwissenschaft der Paris Lodron Universität Salzburg übernahm er eine Stelle als Universitätsassistent. Auch dort, an der Katholischen Theologie, war sein Schwerpunkt die Judaistik: Seine Habilitation verfasst Langer zum Thema "'Durch dein Blut lebe!' Ez 16 in der rabbinischen Rezeption". Ende der 1990er, nach vielen Jahren an der Universität Salzburg, entstand der Wunsch, noch stärker in die Judaistik einzutauchen.

Dialog zwischen den Religionen und Disziplinen

2000 bot sich ihm die Möglichkeit, das Institut für Jüdisch-Christliche Forschung der Universität Luzern zu leiten: "Das Thema des kulturellen Austauschs zwischen den Religionen hat mich schon früh gefesselt. Ich war lange Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Österreich, der sich den Dialog zwischen den Religionen zum Ziel gesetzt hat. Diese Arbeit an der Basis, unter anderem durch Vorträge, ist mir ein großes Anliegen."

An der Universität Salzburg gelang es Langer, das interdisziplinäre und interfakultäre "Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte" mitzubegründen. Der Initiative liegt die Idee zugrunde, dass es einen Rahmen braucht, innerhalb dessen sich verschiedene Disziplinen methodologisch wie inhaltlich austauschen und gegenseitig befruchten können. Der Wissenschafter betont: "Es war uns dabei auch sehr wichtig, in der Region auf bestimmte Dinge aufmerksam zu machen. Wir haben beispielsweise eine Veranstaltung initiiert, die die einzige Bücherverbrennung während des Nationalsozialismus in Österreich – 1938 in Salzburg – thematisierte."

Lehre: Begeisterung für jüdische Texte


Seit September 2010 ist Gerhard Langer nun Professor an der Universität Wien. In der Lehre setzt sich der Judaist zum Ziel, bei den Studierenden Begeisterung für jüdische Texte zu wecken. Das gelinge beispielsweise dadurch, dass man von einem Lesen der Originaltexte zunächst weggehe: "Man muss bereit sein, die Inhalte 'herunterzubrechen' und eine komplexe Diskussion zu vereinfachen. Natürlich braucht es daneben die Auseinandersetzung mit dem Original. Die Argumentation in rabbinischen Texten ist auf den ersten Blick nicht immer direkt zugänglich. Irgendwann entwirrt sich das Knäuel", ist Langer überzeugt, der derzeit an einem Lehrbuch zur Midrasch arbeitet. Die Kunst sei es auch, in den alten Texten moderne Fragestellungen aufzuspüren. In seiner Freizeit beschäftigt sich der Wissenschafter, der am 27. Juni seine Antrittsvorlesung hält, u.a. mit dem Schreiben von Kriminalromanen (2010: "Am Ende schuf der Mensch …"). (dh)

Univ.-Prof. Mag. Dr. Gerhard Langer vom Institut für Judaistik hält seine Antrittsvorlesung zum Thema "MenschenBildung. Rabbinisches zu Lernen und Lehren jenseits von PISA" am Montag, 27. Juni 2011, um 18 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien.