Bernhard Kittel: Vom wirtschaftlichen Handeln im Labor

Der neue Professor für Wirtschaftssoziologie, Bernhard Kittel, hat eine Leidenschaft für die Theorien und Verfahren der Sozialforschung – und deren Grenzen. Einer seiner Schwerpunkte ist die "Experimentelle Wirtschaftssoziologie". Was er im Labor erforscht, erzählt er im Interview mit uni:view.

Die Universität Wien ist dem Wirtschaftssoziologen Bernhard Kittel vertraut: Mit dem Studium der Politikwissenschaft startete hier 1986 seine wissenschaftliche Laufbahn. Nach mehreren Jahren in Deutschland und den Niederlanden lebt und arbeitet er nun wieder in Wien: Seit März 2012 hat er die Professur für Wirtschaftssoziologie an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften inne.

Dabei wäre es nach Abschluss des Studiums der Politikwissenschaft 1991 beinahe in eine ganz andere Richtung gegangen. "Ich habe mit dem Gedanken gespielt, im Installationsbetrieb meines Schwiegervaters mitzuarbeiten und mich schon an der TU nach einem passenden Studium umgesehen. Dann kam aber doch die Zusage des Instituts für Höhere Studien für ein Stipendium", schmunzelt Kittel. Dort war er dann auch bis 1993 tätig, bevor er als Assistent am Institut für Soziologie sowie am Institut für Staatswissenschaften der Universität Wien arbeitete.

"Immer wieder neue Wege suchen"

Als jemand, "der sehr gerne die Grenzen dessen sucht, mit dem er sich gerade beschäftigt", interessiert sich der Vorstand des Instituts für Wirtschaftssoziologie damals wie heute für vielfältige Bereiche: Gegenwärtig reicht das Spektrum seiner Forschungsfelder von der experimentellen Gremien- und Wahlforschung bis hin zur Sozioökonomie der Sprache.

Für die Entwicklung hin zum "Grenzgänger" war die Zeit am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln von 2001 bis 2002 prägend: "In der Kritik des eigenen Tuns hat mich Fritz Scharpf stark beeinflusst. Er war damals gemeinsam mit Wolfgang Streeck Direktor des MPIfG. " Anschließend hatte Kittel bis 2003 eine Juniorprofessur für Sozialpolitik an der Universität Bremen sowie 2003 bis 2006 die Professur für Soziologie an der Universität von Amsterdam inne. Danach wandte er sich den Methoden der empirischen Sozialforschung zu: Bis zum Wechsel nach Wien war er in diesem Feld an der Universität Oldenburg als Professor – 2008 bis 2010 als Dekan – tätig.

Experimentelle Analysen

In seiner neuen Tätigkeit an der Universität Wien sieht er es als eine Aufgabe, den Studierenden die Kontextabhängigkeit von Marktzusammenhängen zu vermitteln: Wirtschaftliches Handeln findet in einem gesellschaftlichen Rahmen statt. Kulturelle, soziale und institutionelle Aspekte spielen eine große Rolle. Dieser Zugang spiegelt sich auch in der Forschung wider: Im Experiment untersucht der Wirtschaftssoziologe u.a. Wahl- und Entscheidungsprozesse in Gremien.


Experimentelle Wirtschaftssoziologie: Bernhard Kittel beschäftigt sich u.a. mit der Frage, wie Interessen und Normen eine Gruppenentscheidung beeinflussen, beispielsweise hinsichtlich der Verteilung von Ressourcen. Welchen Einfluss haben die Sozialstruktur,  Institutionen wie Entscheidungsregeln oder soziale Normen –beispielsweise Gerechtigkeitsprinzipien – auf individuelles und kollektives Handeln? Wie wirken sich diese Faktoren auf den Verlauf der kollektiven Entscheidungsfindung aus?



Das Vienna Center for Experimental Economics der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften bietet für solche Laborexperimente die perfekten Rahmenbedingungen. Wie diese Herangehensweise die Wirtschaftssoziologie bereichern kann, diskutiert Kittel in seiner Antrittsvorlesung.

Forschungsvielfalt: Von der politischen Ökonomie der Arbeitsbeziehungen …

Eine weitere Forschungsfrage des umtriebigen Wissenschafters ist, wie sich Beschäftigungsverhältnisse im Öffentlichen Dienst international unterscheiden. Dabei interessiert ihn vorrangig das Rollenverständnis der Beschäftigen: "Gibt es dieses Selbstbild des Staatsdieners, der sich mit all seiner Arbeitskraft für die Allgemeinheit einsetzt, auch dann noch, wenn die Arbeit anhand bestimmter Leistungskriterien evaluiert wird?"

… zur Sozioökonomie der Sprache

Darüber hinaus ist Kittel von der "Trasjanka" fasziniert: In Zusammenarbeit mit einem Kollegen aus dem Fachgebiet der Slawistik an der Universität Oldenburg widmet er sich den sozioökonomischen Hintergründen der Nutzung dieser Mischsprache in Weißrussland: Heute sind es die oberen Gesellschaftsschichten in Kleinstädten, die Trasjanka sprechen, denn in Minsk dominiert Russisch.

Von den vielfältigen Interessen des engagierten Lehrenden profitieren auch die StudentInnen: An den zwei Fakultäten Wirtschaftswissenschaften und Sozialwissenschaften versucht Bernhard Kittel, Erst- und Höhersemestrige gleichermaßen zu begeistern. Neben dem Universitätsalltag hält ihn seine Tochter auf Trab. Wenn dann noch Zeit für Klavier üben und Segeln bleibt, ist der neue Professor zufrieden. (dh)

Die Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Mag. Dr. Bernhard Kittel, Vorstand des Instituts für Wirtschaftssoziologie der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, zum Thema "Experimentelle Wirtschaftssoziologie: Konturen eines widersprüchlichen Forschungsfeldes" findet am Mittwoch, 28. November 2012, um 17 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien statt