"Wir brauchen immer stärkere Computer"

Am 4. Juli ist es soweit: Der Vienna Scientific Cluster VSC-3 wird eröffnet. Im Interview erzählt Physiker Christoph Dellago von der Universität Wien und Mitglied des VSC-Steering Committee über Computer im Öl, effiziente Energieversorgung und den sportlichen Wettkampf unter WissenschafterInnen.

uni:view: Im September 2009 nahm der VSC-1 den Betrieb auf, am 4. Juli 2014, also nur fünf Jahre später wird bereits die dritte Ausbaustufe, der VSC-3, eröffnet. Die Entwicklung geht rasant in Richtung größer, schneller, stärker…
Christoph Dellago: Ja, die Beschleunigung der Rechnerkapazitäten ist natürlich rasant. Derzeit ist es so, dass sich die Rechengeschwindigkeit der Computer alle 14 Monate verdoppelt, d.h. in den letzten 20 Jahren hat sich die Leistung eines Computers, den man als Supercomputer bezeichnet, um den Faktor 200.000 beschleunigt.

Schaut man sich die Liste der 500 schnellsten Supercomputer an, ist der Rechner, der jetzt gerade auf Platz 500 steht, so schnell wie die Nummer 1 vor sechs Jahren. In weiteren sechs Jahren wird der Rechner Nummer 500 so schnell sein wie die Nummer 1 jetzt.

uni:view: Wo wird sich VSC-3 einordnen?
Dellago: Das wissen wir noch nicht genau, aber ich denke schon unter den besten 100. Der VSC-2 war ja auch bei der Einführung 2011 Nummer 56. Wenn man mit den globalen Supercomputern mithalten möchte, muss man ständig daran arbeiten und die Computer laufend erneuern. Heute ist es so, dass man nach nur 14 Monaten doppelt so schnelle Rechner bekommt.

uni:view: Warum braucht die Wissenschaft derart schnelle Supercomputer?
Dellago: Die Rechnungen, die wir für unsere Projekte durchführen, haben einen Umfang von mehreren 100.000 bis zu ein paar Millionen Core-Stunden an Rechenzeit. Eine Core-Stunde ist das, was ein Rechenkern – ein Prozessor besteht aus mehreren Rechenkernen – in einer Stunde schafft.

uni:view: 100.000 Core Stunden entsprechen 4.166 Tagen, also rund elf Jahren. Das ist eine lange, lange Wartezeit ...
Dellago: Wir können nur deswegen Millionen Stunden rechnen, weil diese Rechenkerne parallel arbeiten. Es wird pro Rechenaufgabe nicht nur ein Rechenkern eingesetzt, sondern mehrere gleichzeitig – also 100, 200 oder 1.000. Der VSC-2 verfügt über rund 20.000 Rechenkerne, VSC-3 hat schon zirka 30.000 Rechenkerne.

uni:view: Wie kann eine Rechnung derart aufwändig sein, dass der Supercomputer bis zu Monaten rechnet?
Dellago: Ich kann Ihnen erklären, warum das bei uns in der Gruppe der Computergestützten Physik so aufwändig ist: Wir beschäftigen uns mit der Physik von Materialien, und zwar auf einer atomistischen Ebene, und wollen verstehen, wie sich Atome und Moleküle in einem Festkörper oder in einer Flüssigkeit bewegen. Die Simulation dieser Bewegungen ist wegen der großen Anzahl der Atome, die wir simulieren müssen, und der Kräfte, die sie aufeinander ausüben, so aufwändig. Wenn Sie zum Beispiel einen Liter Wasser nehmen, dann sind in dem Wasser rund 10 hoch 25 Moleküle – das ist so die Größenordnung. Das können wir am Computer nicht simulieren. Aber was wir simulieren, sind mehrere tausend Atome.

uni:view: Vor uns steht eine Tasse Kaffee, in der Größe einer Melange. Können Sie, bzw. der VSC-3, die Atome in dieser Flüssigkeit simulieren?
Dellago: Nein, vollkommen unmöglich. Vielleicht dann mit dem VSC-330 (lacht). In dieser Kaffeetasse sind ja nicht nur Wassermoleküle, sondern viele andere auch. Aber alleine die Zahl der Wassermoleküle in dieser Tasse ist eine Zahl mit sehr, sehr vielen Nullen.


Berechnet vom Supercomputer VSC-2 der Universität Wien und der TU Wien, dem Vorgänger des in Kürze in Betrieb gehenden VSC-3: Die Grafik zeigt die Bildung eine Eiskeims in flüssigem Wassers.



uni:view:
Wie wichtig ist es für die Wissenschaft, den VSC immer weiter aufzustocken?

Dellago: Rein wissenschaftlich betrachtet kann ich mit einem schnellen Rechner natürlich ganz andere Sachen machen als mit einem langsamen. Man kann ja immer nur die Fragen behandeln, auf die man schnell genug eine Antwort bekommt. Ein Doktorand ist vielleicht drei Jahre da, und wenn er in diesen drei Jahren keine Antwort auf seine Forschungsfrage hat, dann ist es zu lang. Rein inhaltlich ist es tatsächlich so, dass wir, um interessantere Fragen zu beantworten, immer stärkere Computer brauchen.

Die andere Frage ist natürlich die der Konkurrenz. Wir wollen ja in unserem Bereich mithalten und auch in gewissen Gebieten die Themenführerschaft übernehmen. Wenn wir jetzt neue Methoden entwickeln und sie nicht anwenden können, weil wir die nötigen Rechenkapazitäten nicht haben, aber andere Gruppen schon, ist das etwas frustrierend. Es gibt auch in der Wissenschaft einen gewissen sportlichen Wettkampf.

Und das gilt für viele Wissenschaftsbereiche. Die Liste mit Forschungsprojekten am VSC ist sehr lang und reicht von Astrophysik, Physik, Materialwissenschaften, Chemie über Biologie bis hin zur Meteorologie – es geht wirklich von der Nanoebene, also der Simulation von Atomen und Molekülen, bis hin zur Galaxienbildung im Weltall.

uni:view: Der derzeit größte Supercomputer, der in China steht, verbraucht im Jahr so viel Energie wie eine Kleinstadt mit 30.000 EinwohnerInnen. Welche Herausforderungen stellt die Energieversorgung dieser Supercomputer?
Dellago: Ja, mit der Energieversorgung könnte man in Zukunft wirklich ein Problem bekommen. Gleichzeitig mit der Rechenleistung steigt natürlich auch der Energieverbrauch der Rechner. Wir haben mit dem VSC-3 einen wichtigen Schritt getan: Er wird mit Öl gekühlt. Damit können wir sowohl den Energiebedarf als auch die Kosten senken, da man mit Öl die im Computer produzierte Wärme effizienter abtransportieren kann. Zudem ersparen wir uns die Kompressoren; die Wärme wird einfach am Dach über Wärmetauscher an die Außenluft abgeben – im Winter kann diese Energie dann sogar als Heizung benutzt werden.

uni:view: Ein Blick in die Zukunft: Können die Rechner irgendwann einfach zu schnell für die Fragen werden?
Dellago: Das ist nicht abzusehen. Wenn ich z.B. an meine Textverarbeitung denke, dann ist der Rechner schnell genug. Wenn er zehn Mal so schnell wäre, hätte ich keinen Vorteil mehr. Aber in der aktuellen Forschung ist das nicht so.
Letztlich wird es eine Grenze im Betrieb und Ausbau geben, wenn in absehbarer Zeit keine fundamental neue Technologie auf den Markt kommt, da die Energiekosten zu hoch werden.

uni:view: Wie wichtig ist es, unter den besten 500 Supercomputern zu sein?
Dellago: Für unsere Wissenschaft ist mir der Listenplatz egal, denn wir brauchen einfach die Rechenleistung. Diese Liste ist aber eine Orientierung, die mir zeigt, wo wir und wo die anderen stehen. Es ist sicher nicht wichtig, dass man auf dieser Liste den Top-Platz besetzt – das ist dann eher eine Prestigesache –, aber es ist für uns WissenschafterInnen sehr wichtig, dass wir konkurrenzfähige Rechner haben. Österreich ist hier wirklich gut dabei und der VSC ein gutes Beispiel, wie Universitäten erfolgreich kooperieren können. (td)

Univ.-Prof. Mag. Dr. Christoph Dellago ist Gruppensprecher der Computergestützten Physik und wissenschaftliches Mitglied im Steering Committee des VSC. Das Steering Committee (Mitglieder: Universität Wien, TU Wien, BOKU, Universität Innsbruck und TU Graz) ist das Gremium, das die Strategie des VSC vorgibt und Entscheidungen über die zukünftige Entwicklung des Clusters trifft. Es besteht aus Vertretern der Rektorate, sowie der ZID-Leiter und jeweils ein/e WissenschafterIn. Der Vorsitz wechselt zwischen Universität Wien und TU Wien.