Wie die Natur Muster bildet

"Ich interessiere mich für die Entwicklungsmechanismen von 'einfachen' Tieren – und das Department von Ulrich Technau ist einer der Hotspots für solche Forschung in Europa", so der Evolutionsbiologe Grigory Genikhovich, der zurzeit an der Universität Wien an Seeanemonen forscht.

Das, was Grigory Genikhovich da im Labor am Department für Molekulare Evolution und Entwicklung tut, schaut ein bisschen aus, als würde man In-vitro-Fertilisation betreiben. Der Wissenschafter injiziert mit Hilfe winziger Nadeln und unterm Mikroskop irgendetwas in die Eier von Nesseltieren. Nach einer Woche Üben sei das problemlos zu bewältigen, sagt Genikhovich. Und das bei einer Größe von einem Viertel Millimeter. "Wenn alles korrekt funktioniert, wird die Produktion eines gewissen Proteins unterbunden. So kann man Teile des BMP-Signalweges ausschalten. Dann wird RNA aus den so behandelten Embryos isoliert, in DNA umgewandelt und sequenziert." Danach kann der Evolutionsbiologe ans Vergleichen gehen – mit jenen Tieren in denen der BMP-Signalweg ein normaler ist.

Wie genetische Regulation die Evolution antreibt

Wozu das Ganze? Grigory Genikhovich ist an der bilateralen Symmetrie in Nematostella vectensis interessiert. Sein neu bewilligtes FWF-Projekt nennt sich "Musterbildung der direktiven Achse einer Seeanemone".


Frühe Planula Larve von Nematostella vectensis. Solche Larven besitzen bereits bilaterale Symmetrie. (Foto: G. Genikhovich)



Das bedarf jetzt einiger Erklärung: Evodevo ist einer jener Begriffe, um den sich alles im Department dreht. "Es ist jenes Feld, das versucht zu erklären, wie genetische Regulation die Evolution der Körperbaupläne von Tieren antreibt. Die meisten Tiere – die Bilateria – sind, wie der Name gleich zeigt, bilateral symmetrisch aufgebaut. Das heißt, es gibt zwei Körperachsen – vom Kopf- zum Hinterende sowie von der Rücken- zur Bauchseite – entlang derer alles, was dazwischen liegt, weitgehend symmetrisch angeordnet ist", sagt Genikhovich.

Ein Rätsel in der Evolution


Viele Millionen Jahre vor unserer Zeit war das anders. Da entwickelte sich die Gruppe der Nesseltiere. "Vier Klassen sind radiärsymmetrisch." Bedeutet: Diese Tiere – darunter der Süßwasserpolyp Hydra, marine Hydroiden oder verschiedene Quallen – weisen eine einfachere, radiärsymmetrische Organisation auf. Sie haben nur eine Körperachse: zwischen Mund und dem gegenüberliegenden "aboralen" Ende.

"Eine Klasse der Cnidaria, die Korallen, aber ist bilateralsymmetrisch aufgebaut" – wie wir? Oder doch nicht? "Die Untersuchung von Genen, die für die Entwicklung von Körperachsen verantwortlich sind, zeigte, dass bilateralsymmetrische Nesseltiere und die Bilateria gleiche Gene zum Steuern der Körperachsen benutzen. Ob das heißt, dass Bilateralität bei den Tieren viel früher evolvierte als man bisher dachte und dann bei radiärsymmetrischen Hydren und Quallen verloren ging, oder dass Bilateralität in der Evolution mehrmals entstanden ist, bleibt ein Rätsel, das ich gerne lösen will."

Wie das dritte Keimblatt entstand

Tatsächlich ist der Übergang zwischen den beiden Organisationsprinzipien einer der wichtigsten Schritte in der Evolution vielzelliger Tiere, ging er doch mit allerhand Neuerungen einher, die auch in unserer eigenen Entwicklung eine tragende Rolle spielten. Nicht zuletzt ermöglichte erst die Ausprägung eines Vorderendes die Entwicklung eines Kopfes und in der Folge eine Zentralisierung des Nervensystems in Form eines Gehirns. Mit der Zweiseitigkeit entstand auch das dritte Keimblatt oder Mesoderm, aus dem während der Entwicklung des Embryos unter anderem Muskeln und Knochen hervorgehen.


Kopf eines erwachsenen Nematostella vectensis Polypen. Mund und ein Ring von Tentakeln sind zu sehen. (Foto: G. Genikhovich)



"Als man begann, genauer darauf zu schauen, wie das alles in Nematostella – jenen Tieren, mit denen wir auch arbeiten – genetisch geregelt ist, stellte man fest, dass alles von der derselben molekularen Maschine getrieben wird, wie bei Menschen, Fröschen oder Fliegen. Eine Achse wird durch die sogenannte Wnt-Signalgebung geregelt, die andere durch die eingangs erwähnte BMP-Signalgebung. Beide sind so etwas wie symmetriestörende Maschinen, die dafür sorgen, dass die eine Körperachse nicht ident mit der anderen ist."

Wie sah der gemeinsame Vorfahre aus?


Genikhovich treibt nun die Frage an, wie diese Signalwege im Laufe der Evolution entstanden sind. War der gemeinsame Vorfahre symmetrisch wie wir, oder haben Korallen die bilaterale Symmetrie unabhängig entwickelt? Er will auch verstehen, was nach der Bildung der zweiten Körperachse durch BMP-Signalgebung bei Nematostella passiert: Welche Gene auf BMP-Signale reagieren und wie deren Aktivität die Entwicklung von morphologischen Strukturen bei Nematostella beeinflusst. "In diesem Fall bin ich nicht so sehr an jenen Genen interessiert, die nicht auf einer Seite exprimiert sind."

"Daher habe ich einen Projektantrag geschrieben, der möglichst tief in die Materie eindringen soll." Eben das aktuelle FWF-Projekt.

Forschungs-Hotspot in Europa

Und nach Abschluss des Projektes? "Ich werde wohl nicht mehr über Menschen wissen, sehr wohl aber über den gemeinsamen Vorfahren von Nematostella und Mensch", sagt der gebürtige St. Petersburger Grigory Genikhovich, der seit 2008 in Wien forscht. "Ich interessiere mich für die Entwicklungsmechanismen von 'einfachen' Tieren – und das Department von Ulrich Technau ist einer der Hotspots für solche Forschung in Europa. Und weiter: "Wir möchten wissen, wie Evolution funktioniert. Meine Frage dabei ist: Wie schaut es mit dem Körperbauplan aus, mit der Unterteilung der Körperachsen in molekulare Segmente. Sodass sich die Arme nicht dort entwickeln, wo die Beine hingehören."

Das FWF-Projekt "Musterbildung der direktiven Achse einer Seeanemone" läuft von 1. April 2014 bis 31. März 2017 unter der Leitung von  Mag. Dr. Grigory Genikhovich Department für Molekulare Evolution und Entwicklung der Fakultät für Lebenswissenschaften.