Wenn Chemiker mit Molekülen spielen

Von der pharmazeutischen Industrie bis hin zur Materialwissenschaft – Stickstoffverbindungen spielen dabei eine wichtige Rolle. Einem interdisziplinären Team um die ChemikerInnen Nuno Maulide und Leticia González ist es nun gelungen, solche Heterozyklen billiger und umweltschonender herzustellen.

Eine große Verbindungsklasse mit außergewöhnlich diversen Anwendungsgebieten: Fast jedes zweite Medikament, das für die klinische Anwendung zugelassen wird, enthält das grundlegende Strukturmotiv der Heterozyklen. Dabei handelt es sich um zyklische organische Stickstoffverbindungen. "Sogar die Basen in unserer DNS, dem genetischen Code aller Lebewesen, gehören zu den stickstoffhaltigen Heterozyklen. Sie spielen also eine sehr wichtige Rolle in der organischen Chemie", erklärt der Chemiker Nuno Maulide, Leiter der Studie.

Seine Arbeitsgruppe am Institut für Organische Chemie hat in Zusammenarbeit mit der theoretischen Chemikerin Leticia González und ihrem Team eine allgemeine und besonders einfache und ökonomische Methode entwickelt, um eine große Anzahl verschiedener Heterozyklen zu synthetisieren.

Von Menschen und Molekülen

"Wir haben nach einem Weg gesucht, wie wir zwei oder drei Reaktanden modular zusammenfügen können. Man kann sich das so vorstellen, als ob sich einzelne Menschen händehaltend in geometrischen Formen aufstellen – in unserem Fall als Hexagon", sagt Nuno Maulide. Reaktionen, die so ablaufen, nennt man Cycloadditionen: Sie sind in der Lage, in einfachen Schritten eine dramatische Steigerung der molekularen Komplexität herbeizuführen, was die entstehenden Produkte so wertvoll macht. "Beim Design solcher Reaktionen treten aber auch viele Probleme auf", gibt Nuno Maulide zu bedenken.

Zur Veranschaulichung nennt der Chemiker das Beispiel einer ringförmigen Menschenkette: Auch hier kann es zu verschiedenen Ergebnissen kommen, je nachdem ob die Menschen (A, B, C) alle in eine Richtung, nach innen oder nach außen blicken. Überträgt man diese Analogie auf Moleküle, gibt es natürlich Millionen Moleküle A, Millionen Moleküle B und Millionen Moleküle C, die alle miteinander reagieren können. "Es bedarf einiges an Entwicklung und Design, um unliebsame Kombinationen wie A-A-B, A-A-C oder B-C-C zu eliminieren. Wenn die Chemie doch bloß einfach wäre", lacht der gebürtige Portugiese.



Die Antwort liegt in der Theorie

Mithilfe theoretischer Simulationen entwickeln die ForscherInnen ein besseres Verständnis dafür, welche Faktoren die verschiedenen Möglichkeiten des Reaktionsablaufs beeinflussen. Das Feld der theoretischen Chemie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten wesentlich gewandelt: Sie liefert wertvolle Informationen über spezielle chemische Reaktionen und hilft somit bei deren Entwicklung. "Wir haben festgestellt, dass der Forschungsbereich rund um die Heterozyklen sehr komplex ist – v.a. in der Praxis", sagt Leticia González, seit 2011 theoretische Chemikerin an der Universität Wien.

Das Geheimnis des Prozesses liegt in der abschnittsweisen Aktivierung einzelner Reaktanden, die jeweils eine hochenergetische Zwischenstufe erzeugt. Diese wiederum beeinflusst in weiterer Folge den restlichen Prozess. "Es ist fast so, als würden die Reaktionspartner einzeln in der richtigen Reihenfolge aufrufen", erklärt die aus Madrid stammende Chemikerin.

Der Bonus der Selektivität

Mit den Informationen aus der Theoretischen Chemie war es den PraktikerInnen aus dem Team um Nuno Maulide möglich, den Katalysezyklus bei der Synthese einer bestimmten Klasse von Heterozyklen, den Isochinolinen, zu perfektionieren.

"Überraschenderweise haben wir es geschafft, durch kleine, gezielte Veränderungen der Reaktionsbedingungen von ein und demselben Reaktanden unterschiedliche Produkte zu schaffen. Mit den Bausteinen A, B und C konnten wir statt der Sequenz A-B-C auch beliebig die Sequenz A-B-B herstellen. Das ermöglichte uns, auch so genannte Pyrimidine herzustellen – einfach durch die Wahl anderer Rahmenbedingungen", sagt Maulide. Dieses Konzept der "Chemoselektivität" ist das Markenzeichen hocheffizienter und praktikabler chemischer Reaktionen.

Die Reaktion, die Maulide und González entdeckt haben, benötigt keine Schwermetallkatalysatoren, erzeugt keine unerwünschten Nebenprodukte – Stichwort "Atomökonomie", das Konzept nach dem alle Atome der Ausgangsmaterialien auch im Produkt enthalten sind – und ist ein weiterer Schritt zu einer umweltfreundlichen Synthesechemie. "Und zu dieser wichtigen Entdeckung haben wir es durch die Kombination der experimentellen mit der theoretischen Chemie geschafft", freuen sich González und Maulide.

Die Publikation "Metal-free intermolecular formal cycloadditions enable an orthogonal access to nitrogen heterocycles" (AutorInnen: Lan-Gui Xie, Supaporn Niyomchon, Antonio J. Mota, Leticia Gonzalez and Nuno Maulide) erschien im März 2016 in Nature Communications.