Warum InformatikerInnen eine Legofabrik bauen

Von der Pflege bis hin zur Logistik – effektive Arbeit basiert auf geregelten Abläufen. InformatikerInnen der Universität Wien entwickeln eine neue Software, um solche Abläufe zu vereinfachen, sie möglichst flexibel und gleichzeitig kontrollierbar zu machen.

Tausende Legobausteine, ein 3D-Drucker, eine Webcam sowie zwei umgebaute Pflegebetten. Wie das zusammenpasst? Mit all diesen Dingen lassen sich prozessorientierte Abläufe, für die sich die Informatikerin Stefanie Rinderle-Ma interessiert, im Experiment erforschen und greifbar machen.

Wie genau, erklärt Projektmitarbeiter – und "Legobaumeister" – Manuel Gall, der wie Projektleiterin Rinderle-Ma der Forschungsgruppe Workflow Systems and Technology der Universität Wien angehört: "Unser Legobauwerk stellt eine Fabrik dar, in der eine sogenannte 'individuelle Produktion' möglich ist". Also eine industrielle Produktion, die mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik verknüpft ist – oft als "Industrie 4.0" oder "Internet der Dinge" bezeichnet.

Über einen kleinen Computer kann man in der Legofabrik verschiedene Produkte bestellen, die der 3D-Drucker anschließend produziert und auf ein Fließband ausgibt. Dort wird die Bestellung von Sensoren gezählt und überprüft. Über diesen gesamten Workflow wacht die Webcam – und das alles im Lego-Kleinformat.

Industrie 4.0 im Experiment: Die InformatikerInnen der Universität Wien haben einen flexiblen Arbeitsablauf realitätsgetreu nachgebaut:

Ein 3D-Drucker produziert auf Bestellung ...



… und ein Sensor (unten li.) kontrolliert, was über das Fließband läuft.

"Uns interessiert grundsätzlich, wie Arbeitsabläufe möglichst flexibel gestaltet werden können – anhand der Legofabrik untersuchen wir, wie Produktionsprozesse bei großer Produktpalette trotzdem kontrollierbar bleiben", erklärt die Projektleiterin Rinderle-Ma.

Software für Pflegepersonal und ÄrztInnen

Aber wofür brauchen die Mitglieder der Forschungsgruppe Workflow Systems and Technology zwei – halbierte und mit Dummy-PatientInnen besetzte – Pflegebetten? "Behandlungsabläufe in Krankenhäusern oder Pflegeheimen sind zwar in gewisser Weise vorgegeben, aber trotzdem immer individuell, da jeder Patient bzw. jede Patientin anders ist", erklärt die Informatikerin einen zweiten großen Anwendungsbereich des aktuellen Projekts: Arbeitsprozesse im Pflege- und Gesundheitsbereich.

Leidet beispielsweise eine Patientin an Erschöpfung, wäre ein Spaziergang eine typische Indikation. Hatte sie aber am Morgen hohes Fieber, muss dieser Punkt übersprungen oder durch eine andere medizinische Maßnahme ersetzt werden. Daher arbeiten die ForscherInnen an einer Software, die dem Pflegepersonal sowie den ÄrztInnen die nächsten Behandlungsschritte vorschlägt sowie alle zusätzlichen Daten wie Symptome und Vorgeschichte speichert.

"Unser ablaufbezogenes System hat den Vorteil, dass einzelne Schritte nicht vergessen oder doppelt gemacht werden", erklärt Rinderle-Ma. Da jede Maßnahme automatisch gespeichert wird, verbringen ÄrztInnen oder PflegerInnen außerdem weniger Zeit mit der Dokumentation – was ja oft als große Bürde gesehen wird –, und ihnen bleibt mehr Zeit für die PatientInnen. Mit der Realität abgeglichen werden die Forschungsergebnisse in Kooperation mit einem Pflegeheim in St. Pölten.

Das "Pflegebett 4.0" ist mit einem Chip ausgestattet, der relevante Infos und Behandlungsvorschläge auf das Tablet der behandelnden Person schickt, sobald er oder sie ans Bett tritt. "Dabei ist wichtig, dass es sich eben um Vorschläge und nicht um Vorgaben handelt, denn die Behandlungsabläufe müssen natürlich flexibel bleiben", betont Rinderle-Ma. (Im Bild: Experimentelles Pflegebett mit Patienten-Dummy an der Fakultät für Informatik der Universität Wien)

Von Produktion und Pflege bis hin zu Compliance

Beide Abläufe, ob in der Fabrik oder im Krankenhaus, haben sogenannte "überspannende Bedingungen" gemein, daher auch der Titel des Projekts "Life Cycle Support of Instance-spanning Constraints in flexible Process-Aware Information Systems". So sind die einzelnen Abläufe z.B. über Ressourcen voneinander abhängig: Im Pflegeheim muss beachtet werden, dass die Behandlungen vom vorhandenen Personal abgedeckt werden – in der Fabrik müssen alle Maschinen ausgelastet sein.

Auch im Bereich "Compliance", der in vielen Unternehmen immer wichtiger wird, könnte das neue System Anwendung finden. "Hier wurde bisher nur innerhalb der Abläufe sichergestellt, dass sie den internen Guidelines gehorchen, jedoch nicht Ablauf-übergreifend", erklärt Rinderle-Ma.

Flexibel und kontrollierbar

Auf diesen überspannenden Bedingungen sowie der flexiblen Umgebung, in der das Ganze stattfindet, liegt das besondere Augenmerk des Projekts: Auch bereits laufende Prozesse müssen sich ständig ändern können, wobei die Bedingungen natürlich weiterhin gelten. Am Beispiel der Krankenpflege bedeutet das konkret, dass die Behandlungsabläufe flexibel sein müssen. "Die UserInnen unserer Software sind die ExpertInnen und müssen jederzeit selbst entscheiden können, ob sie nicht doch einen anderen als den vorgeschlagenen Weg gehen. Das System muss sich dem anpassen", betont Rinderle-Ma.

Die BenutzerInnen einer Software für flexible Abläufe sollen sich nicht darum kümmern müssen, ob das Endergebnis auch dann noch stimmt, wenn sich der Ablauf ändert. "Das System muss darauf von selbst reagieren, mögliche Probleme anzeigen bzw. alternative Strategien vorschlagen", so Stefanie Rinderle-Ma, die gemeinsam mit ihrem Team die Anforderungen aus der Praxis zusammenzutragen hat.

Am Ende braucht es ein Prüfverfahren, das sicherstellt, dass alles zusammenpasst. "Wir wollen in unserem System also eine Art Balance zwischen Flexibilität und Kontrolle herstellen", betont die Expertin, die sich bereits seit Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere mit diesem Forschungsgebiet auseinandersetzt, und ergänzt: "Denn bisher gibt es noch keine Software für flexible Systeme, die auch eine Kontrollfunktion beinhaltet."

Nicht zuletzt ist für Rinderle-Ma vor allem eines wichtig: "Die Menschen müssen in der Praxis gut mit der Software arbeiten können. Und unser Job ist es, sie entsprechend zu entwerfen." Die Legofabrik und die Pflegebetten helfen dabei. (ps)

Das WWTF-Projekt CRISP "Life Cycle Support of Instance-spanning Constraints in flexible Process-Aware Information Systems" läuft seit Jänner 2016 bis Jänner 2019 unter der Leitung von Univ.-Prof. Dipl.-Math. oec. Dr. Stefanie Rinderle-Ma, Leiterin der Forschungsgruppe Workflow Systems and Technology und designierte Dekanin der Fakultät für Informatik.