Waldgeräusche in der Leitzentrale

In Leitzentralen von Fabriken werden Abläufe vor allem visuell an Bildschirmen und Kontrollpulten überwacht. Ein neues System, mitentwickelt von Stefanie Rinderle-Ma, Workflow-Expertin an der Universität Wien, setzt auf Sonifikation. Es lässt das Personal hören, wenn etwas schiefgeht.

Prozesse müssen in den unterschiedlichsten Branchen überwacht werden: Ob in der Fabrik, im Operationssaal, im Paketzentrum oder in der Raumfahrt. Bis heute ist die Überwachung von Prozessen ein visuell gestütztes Arbeitsfeld. D.h. es zeigen vor allem Bildschirme oder Kontrollpulte mit Displays an, ob alles in Ordnung ist. Bei der Menge an Informationen kann einem leicht etwas entgehen. Das Personal muss sich sehr konzentrieren, um alle Abläufe im Blick zu behalten.

Eine passive Prozessüberwachung

Das neu entwickelte System setzt zusätzlich auf akustische Signale, die eine passive Prozessüberwachung ermöglichen. "Im Rahmen unserer Forschungen zu Prozessmonitoring und -analyse arbeiten wir vor allem daran, die Schnittstelle zum Menschen, die verschieden ausgestaltet werden kann, zu optimieren. Ein Beispiel ist Sonifikation – und genau hier ergibt sich der interdisziplinäre Forschungsansatz mit der Universität Bielefeld", so Stefanie Rinderle-Ma, Professorin für Informatik an der Universität Wien. "In Zukunft werden 4.0-Prozesse Einzug in die Industrie halten. Die Entwicklung solcher neuer Systeme wurde insbesondere durch das EU-FP7-Projekt Adventure unterstützt."

Sonifikation von Prozessdaten


Workflow-Expertin Stefanie Rinderle-Ma und Tobias Hildebrandt, Doktorand an der Fakultät für Informatik der Universität Wien, forschen gemeinsam mit Thomas Hermann, Leiter der Forschungsgruppe "Ambient Intelligence" am CITEC der Universität Bielefeld, an der Sonifikation und Visualisierung von komplexen Prozessdaten. "Damit wollen wir die Schnittstellen von technischen Systemen hin zu den BenutzerInnen möglichst optimal gestalten. Sonifikation kann zur Überwachung von Prozessen, aber auch während ihrer Ausführung sowie zur Analyse von bereits abgeschlossenen Abläufen eingesetzt werden", erklärt Stefanie Rinderle-Ma.


Stefanie Rinderle-Ma hat ein Verfahren für Hör-Überwachung mitentwickelt. Der Kniff: Sonifikation – die Abläufe werden vertont. Vielversprechende Anwendungsbereiche sind z.B. Krankenhäuser sowie Leitzentralen für Schienen- und Busverkehr. (Foto: privat)



Vogelgezwitscher und plätscherndes Wasser

Eine Simulation zeigt am Beispiel einer Fertigungsanlage, wie das Verfahren funktioniert. Jede Station ist mit einem Geräusch versehen: So meldet sich die Anlieferung mit Vogelzwitschern, einer Station ist eine Biene zugeordnet und einer anderen das Knacken von Zweigen, durch die der Wind rauscht. Die Auslieferung ist mit tropfendem Wasser vertont. Wenn alles normal läuft, ertönen alle vier Geräusche dezent im Hintergrund.

Vor der Störung reagieren

"Die Waldgeräusche wurden bewusst gewählt, weil sie einen Klangraum bilden, der meist als angenehm empfunden wird und wenig stört. Bahnt sich nun an einer Station eine kritische Situation an – in der Auslieferung beginnen sich etwa die fertigen Produkte zu stauen – wird das dazugehörige Geräusch zunehmend lauter. Der Mitarbeiter kann reagieren, bevor die Störung eintritt. In diesem Fall würde er frühzeitig veranlassen, dass die Produkte verladen werden und verhindert so einen Nothalt der Produktionsanlage", so Thomas Hermann von der Universität Bielefeld.

"Es könnte in fast allen Branchen eingeführt werden, in denen Abläufe zentral gesteuert oder überwacht werden, um sie zu kontrollieren: Im Krankenhaus ebenso wie in Leitzentralen für Schienen- und Busverkehr", ergänzt Tobias Hildebrandt, Wirtschaftsinformatiker an der Universität Wien.

Wahrnehmung kleinster Veränderungen

Die ForscherInnen sind sich einig, dass eine Prozessüberwachung durch Hören mehrere Vorteile hat: Die Ablenkung ist geringer als bei visueller Kontrolle. Hinzu kommt, dass Menschen mit den Ohren alles um sich herum wahrnehmen. Mit den Augen muss erst gezielt auf das geschaut werden, was für die aktuelle Aufgabe wichtig ist. Generell ist der Vorteil am Hören, dass es permanent geschieht, die Augenlider können sich schließen. Darüber hinaus werden Geräusche den WissenschafterInnen zufolge schneller als visuelle Reize verarbeitet.

"Das Besondere am Hören ist auch, dass Menschen schon kleinste Veränderungen bei Klängen und Geräuschen erkennen, zum Beispiel im Auto, wenn sich das Fahrgeräusch aufgrund einer anderen Straßenbeschaffenheit subtil ändert", sagt Sonifikations-Experte Hermann. (af)

Das Paper "A Sonification System for Process Monitoring as Secondary Task." (AutorInnen: Tobias Hildebrandt, Thomas Hermann, Stefanie Rinderle-Ma) entstand im November 2014 auf der IEEE International Conference on Cognitive Infocommunications (CogInfoCom) in Vietri sul Mare, Italien.