Tektonische Deformation unter den Alpen

Der größte Teil des Erdinneren ist unerreichbar für direkte Beobachtung, jedoch können die Eigenschaften tief in der Erde mit Hilfe seismischer Wellen bestimmt werden. Geophysiker Götz Bokelmann von der Universität Wien publizierte dazu neue Erkenntnisse über die Alpen.

Vieles ist bekannt über die Entstehung der Alpen: Schon in der Schule lernt man, dass sie aufgefaltet wurden als vor Millionen von Jahren der afrikanische auf den europäischen Kontinent stieß. Doch wie es dabei im Erdinneren aussieht, ist bereits weniger erforscht und daher Thema von GeophysikerInnen, darunter Götz Bokelmann von der Universität Wien.

Seismische Wellen von Erdbeben kommen dem Forscher dabei zu Hilfe: Sie zeigen Auswirkungen von Anisotropie, die es erlauben, das Muster der Deformation des Materials tief in der Erde zu erkennen. Damit kann er die Entstehung der Alpen besser verstehen.

Schnelle und langsame Wellen

"Geodynamische Prozesse in der Erde erzeugen Deformationen des Gesteins, die Mineralkristalle ausrichten können. Das führt dazu, dass die physikalischen Eigenschaften von der Richtung abhängen, zum Beispiel der Ausbreitungsrichtung von elastischen Wellen. Dieser Effekt wird als 'Anisotropie' bezeichnet", erklärt Götz Bokelmann, Leiter des Instituts für Meteorologie und Geophysik an der Universität Wien: "Er bewirkt, dass Scherwellen in zwei orthogonale Wellen aufgespalten werden, die sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ausbreiten, eine 'schnelle' und eine 'langsame Welle'. Dieses Phänomen ist vergleichbar mit der optischen Doppelbrechung von polarisiertem Licht."

Die Geometrie der Deformation

Das gleiche geschieht mit einer seismischen Welle, die sich durch die Erde ausbreitet, da letztere ebenfalls aus anisotropem Material besteht. Die seismische Welle wird in zwei Wellen aufgespalten, die an einer seismologischen Station – an der Oberfläche – zu verschiedenen Zeitpunkten ankommen. Die Orientierung der schnelleren Welle, genannt "schnelle Orientierung" zeigt die Geometrie der Manteldeformation.


a) Die Einregelungsrichtung von Mineralkristallen in einer Gesteinsprobe (rote Linie). Diese Ausrichtung würde eine einfallende elastische Scherwelle in zwei Wellen aufspalten, wobei die schnellere Welle parallel zur Einregelungsrichtung polarisiert ist.
b) Auch im großen Maßstab (400 km statt 5 cm) kann eine solche Aufspaltung beobachtet werden. Dies weist auf eine Mineraleinregelung innerhalb des Erdmantels hin.



"In unserem Projekt haben wir anisotrope Parameter für die Ostalpen bestimmt – anhand von Daten seismologischer Stationen in Österreich, Slowenien und Norditalien. Zusammen mit früheren Ergebnissen für die Westalpen zeigen unsere Ergebnisse ein spektakuläres Muster der Deformation, das in etwa mit dem Trend der Alpenkette zusammenfällt", so Bokelmann: "Dies ist einer der deutlichsten Belege von Bergketten-paralleler Anisotropie weltweit. Diese neue Erkenntnis stößt auf großes Interesse von GeologInnen und GeophysikerInnen, die das Bild der Alpen an der Oberfläche in Bezug setzen wollen mit Informationen in der Tiefe, wo die Antriebsmechanismen der geodynamischen Prozesse vermutlich wirken. Die neuen Informationen werden helfen, grundlegende Fragen über die Geodynamik der Alpen zu beantworten." (red)


Die Publikation "Slab detachment under the Eastern Alps seen by seismic anisotropy" (AutorInnen: E. Qorbani, I. Bianchi und G. Bokelmann) erschien 2015 in den "Earth and Planetary Science Letters".

Die Publikation "Seismic anisotropy and large-scale deformation of the Eastern Alps" (AutorInnen: G. Bokelmann, E. Qorbani, I. Bianchi) erschien 2013 in den "Earth and Planetary Science Letters".