Song Contest: Zwischen Pop und Politik

Kalter Krieg, Menschenrechte und sexuelle Freiheit on stage – viele Beiträge des Eurovision Song Contests sind nicht nur musikalischer, sondern auch politischer Natur. An der Universität Wien untersucht Marie Curie-Fellow Dean Vuletic den Wettbewerb aus einer historischen Perspektive.

uni:view: Herr Vuletic, Sie sind in Australien geboren und aufgewachsen. Warum interessiert sich ein Australier für den Eurovision Song Contest?
Dean Vuletic
: Die australische Regierung hat für die vielen Communities mit Migrationshintergrund den Special Broadcasting Service (SPS) eingerichtet. Ausländische Produktionen werden mit Untertiteln ausgestrahlt – so auch der Eurovision Song Contest (ESC). Meine Eltern stammen aus Kroatien, und schon als Kind habe ich vor dem Fernseher für den kroatischen Beitrag die Daumen gedrückt.

Später interessierte ich mich dann für Sprachen, die Geschichte und Politik Europas, und eine von meinen ersten Seminararbeiten an der Universität war dem Song Contest gewidmet. Nicht zu vergessen sind auch die ESC-Partys, die ich in dieser Zeit mit anderen Studierenden organisiert habe. So kam der Stein ins Rollen – und nun erforsche ich den Eurovision Song Contest als Marie Curie-Stipendiat am Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien.

uni:view: Und warum interessiert sich ein Osteuropa-Historiker für den Song Contest?
Dean Vuletic:
Das Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien hat eine Tradition in der historischen Musikforschung. Institutsvorstand Philip Ther beispielsweise hat sich in einem eigenen Projekt mit Oper und Nationalisierung beschäftigt. Dort knüpfe ich an – bei mir geht es allerdings um einen anderen historischen Kontext und um andere musikalische Genres.

uni:view: Der Eurovision Song Contest ist für Sie also ein Vehikel, um die Zeitgeschichte Europas zu reflektieren. Was genau schauen Sie sich aktuell an?
Dean Vuletic:
Ich untersuche, inwiefern die jeweiligen Länder mit ihren Liedern politische Botschaften senden und setzte diese in einen historischen Kontext. Denn in den musikalischen Beiträgen hallen Themen wie der Kalte Krieg, Nationalismus, Menschenrechte, aber auch die Probleme ethnischer oder sexueller Minderheiten nach.

uni:view: Wie ist der Song Contest eigentlich entstanden?
Dean Vuletic:
Der erste Song Contest im Jahre 1956 war eigentlich ein technisches Experiment. Die Europäische Rundfunkunion umfasste zu dieser Zeit Kontinentaleuropa, den Mittleren Osten und Nordafrika – eine sehr technische Definition Europas. Es war damals die große Herausforderung, ein transnationales Live-Programm simultan auszustrahlen. Aus diesem Ansporn heraus ist "Eurovision" entstanden, eine Sendung, die in mehrere Mitgliedsstaaten übertragen wurde.

uni:view: Osteuropa war zu Beginn des Song Contests also noch gar nicht dabei?
Dean Vueltic:
Nein. Aufgrund des Kalten Krieges konnten die zwei Blöcke nicht in einer gemeinsamen Rundfunkunion koexistieren. Aber Osteuropa hatte seine eigene Rundfunkunion – und seinen eigenen Song Contest, den "Intervision". Nach und nach haben sich die Blöcke auch auf musikalischer Ebene angenähert. Der ORF hat dabei übrigens eine große Rolle gespielt: Es war sehr symbolisch, als Österreich 1968, also zum Prager Frühling, den tschechischen Sänger Karel Gott ins Rennen schickte. Österreich als neutrales Land zeigte damit seine Verbindung zum Osten, distanzierte sich aber auch klar vom Kommunismus. Als erste Länder des ehemaligen Ostblocks nahmen Estland, Litauen, Polen, Rumänien, Russland, die Slowakei und Ungarn an "Eurovision" teil, als letztes wurden Armenien, Georgien und Aserbaidschan 2006, 2007 bzw. 2008 aufgenommen.


Veranstaltungstipp:
Am 18. Mai 2015 findet das Symposium "Eurovision Relations – The Eurovision Song Contest and International Relations" der Universität Wien im Haus der Europäischen Union in Wien statt. Keynote-Speakers sind Åse Kleveland, Ismeta Dervoz und Claudette Buttigieg – drei ehemalige Song Contest-TeilnehmerInnen, die später eine politische Karriere eingeschlagen haben. (Foto: Thomas Hanses)



uni:view: Welcher Song Contest war historisch besonders relevant?

Dean Vuletic:
Da gibt es viele! 1969 wurde der Song Contest in Francos Spanien ausgetragen. Wieder war es der ORF, der ein politisches Statement setzte: Österreich boykottierte den Contest, um sich der spanischen Diktatur entgegenzusetzen. Es war historisch, da der ESC erstmals nicht in einem demokratischen Land stattfand. Wichtig war auch 1989, als das kommunistische Jugoslawien den Wettbewerb gewann, kurz bevor der Eiserne Vorhang fiel. Im Folgejahr gastierte der Song Contest in Zagreb, nur einen Tag bevor die ersten freien Wahlen nach dem Kommunismus stattfanden. Der Contest 2012 lenkte den politischen Fokus auf den Gastgeberstaat Aserbaidschan und zog eine Diskussion über das autoritäre Regime des Landes nach sich.

Und auch 2015 in Wien ist eine Besonderheit, denn heuer jähren sich viele besondere Ereignisse: 650 Jahre Universität Wien, 200 Jahre Wiener Kongress, 100 Jahre seit dem Ersten Weltkrieg, 70 Jahre seit dem Zweiten Weltkrieg, 60 Jahre nach dem Staatsvertrag und 20 Jahre Österreich in der EU. Der Song Contest findet also in einem aus historischer Sicht symbolischen Kontext statt.

uni:view: Was bedeutet die Austragung des Song Contests für Österreich?
Dean Vuletic:
Für Österreich ist Eurovision eine Möglichkeit, seine Toleranz und Diversität zur Schau zu stellen und sein modernes Gesicht zu zeigen. Das ist für das Land sehr wichtig, da es in den letzten Jahren viele Negativschlagzeilen gemacht hat, die das internationale Image geprägt haben. Ich denke da beispielsweise an die Waldheim-Affäre oder die Schwarz-Blaue Koalition. Das hatte diplomatische Konsequenzen – nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt. Zudem eilt Österreich ein etwas verstaubter, sehr kitschiger Ruf voraus, und nun soll die moderne Seite des Landes mehr betont werden. Das zeigt sich auch an dem diesjährigen Austragungsort des ESC, der Stadthalle, die sich in einem sehr multikulturellen Stadtteil befindet – 1967 fand der Contest noch in der Hofburg statt.

uni:view: War Conchita Wursts Sieg 2014 ein Sieg der sexuellen Freiheit?

Dean Vuletic:
In einer Zeit, in der Länder wie zum Beispiel Russland die Rechte Homosexueller mit Anti-Gay-Gesetzen unterdrücken, ist Conchitas Sieg wie ein symbolischer Sieg der Toleranz und damit auch der Akzeptanz gegenüber sexueller Minderheiten. Doch sie war nicht die erste, die homosexuelle Botschaften in den Song Contest gebracht hat: Bereits 1961 hat der Franzose Jean Claude Pascal, der Luxemburg im Song Contest vertreten hat, in seinem "Nous les amoureux" gleichgeschlechtliche Liebe thematisiert – wenn auch sehr implizit. Im Laufe der Zeit ist die europäische Gesellschaft offener geworden und mit ihr die Beiträge beim ESC. 1998 hat dann die transsexuelle Dana International für Israel gewonnen und damit den Weg für sexuelle Minderheiten im Song Contest geebnet.

uni:view: Und wie verhält es sich mit ethnischer Vielfalt in Eurovision?
Dean Vuletic:
Ethnische Minderheiten waren bereits zu Beginn im Song Contest vertreten. Österreich zum Beispiel schickte 1961 den griechischen Sänger Jimmy Makulis zum Wettbewerb. Er verkörperte den Typus des südeuropäischen Gastarbeiters, die für das Wirtschaftswunder gebraucht wurden. Österreich wollte sich hier als internationales Land etablieren, nicht zuletzt, um von der nationalsozialistischen Vergangenheit abzulenken. Roma und Sinti sind wohl die ethnischen Gruppen, die am wenigsten präsent sind – es gab nur einige wenige Beiträge beispielsweise aus Mazedonien, Serbien und der Tschechischen Republik.

uni:view: Sie sind Australier, haben längere Zeit in Italien gelebt und sind nun in Wien daheim – für welchen Beitrag schlägt ihr Herz?
Dean Vuletic:
Ich werde viele Fahnen schwenken: Mir gefällt das Lied von Slowenien und Aserbaidschan, Österreich mag ich natürlich auch. Australien nimmt heuer erstmalig teil – ganz im Sinne des Eurovision-Mottos "Building Bridges" – und klarerweise werde ich auch zu meinem Heimatland halten. Glücklicherweise ist Kroatien, die Heimat meiner Eltern, nicht dabei – sonst müsste ich noch mehr Flaggen in die Stadthalle mitnehmen (lacht). (hm)

Das Projekt "Eurovision. A history of Europe through popular music" unter der Leitung von Dr. Dean Vuletic unter der Betreuung von Univ.-Prof. Dr. Philipp Ther, MA läuft von September 2013 - August 2015 und wird von der Marie Skłodowska-Curie Actions der Europäischen Kommission gefördert.

Symposium "Eurovision Relations – The Eurovision Song Contest and International Relations"
Montag, 18. Mai 2015, 9.30 - 15.30 Uhr
Haus der Europäischen Union
Wipplingerstraße 35, 1010 Wien
Programm (PDF)