Sie lieben sich, sie lieben sich nicht?

Wie nah stehen sich JournalistInnen und PR-ExpertInnen? Wie sehen sie ihr eigenes Berufsbild bzw. das des anderen? Die Kommunikationsforscher Jürgen Grimm und Roland Burkart von der Universität Wien haben VertreterInnen der beiden Berufsgruppen europaweit befragt und ihre Studienergebnisse präsentiert.

Es ist ein bekannter Trend: JournalistInnen übernehmen vermehrt Presseaussendungen ohne kritische Distanz. Zum einen fehlt die Zeit zur fundierten Nachrecherche, zum anderen werden die Presseaussendungen immer stärker den journalistischen Ansprüchen angepasst. "Das 'Futter', das die wachsende Zahl an PR-ExpertInnen liefert, wird immer besser", so Roland Burkart und Jürgen Grimm vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Das Internet und die wachsende Zahl an gut ausgebildeten PR-ExpertInnen sind eine Herausforderung für die "gesunde" kritische Partnerschaft zwischen den beiden Berufsgruppen sowie die nationale Kommunikationskultur insgesamt.


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Wie diese "Partnerschaft" ausschaut und was die beiden Partner voneinander – und von sich selbst – halten, haben Burkart und Grimm erstmals untersucht. Sie haben 4.200 professionelle Kommunikatoren in sechs europäischen Ländern online zu ihren Wertehaltungen befragt. "Durch den internationalen Vergleich kommen die nationalen Besonderheiten zum Vorschein", betont Grimm.

Bindeglied zwischen Individuum und Gesellschaft

Eine Besonderheit Deutschlands und der Türkei sticht dabei ins Auge. In den übrigen Ländern – das sind in dem Fall Österreich, Bulgarien, Finnland und die Schweiz – haben PR-ExpertInnen eine ähnliche Vorstellung, was ihr eigenes Berufsbild betrifft: "Sie sehen sich vor allem als VermittlerInnen zwischen ihrer Organisation und der Gesellschaft", so Burkart. In Deutschland hingegen fühlen sich die PR-ExperInnen in erster Linie dem Auftraggeber verpflichtet und erst dann ihren MitbürgerInnen. "Ähnlich schaut es in der Türkei aus, wo das Verständnis von PR und Werbung eng beieinander liegt." Burkart erklärt sich das mit der speziellen Ausbildungssituation in der Türkei, wo der Zugang zu den beiden Berufsfeldern anders geregelt ist.


Inwiefern beeinflussen professionelle Kommunikatoren den Wertewandel in der Gesellschaft? Grimm (li) und Burkart (re) haben deren Wertehaltungen untersucht und markante Unterschiede festgestellt: PR-ExpertInnen sind stark individualistisch geprägt und setzen Werte wie "Stärke, Macht und Attraktivität" an erste Stelle, während JournalistInnen sozialorientiert sind und die Werte "Solidarität und Hilfsbereitschaft" unterstreichen.



Nichts als die Wahrheit?


Ein überraschendes Ergebnis der Studie ist die Selbst- und Fremdwahrnehmung von PR-ExpertInnen: JournalistInnen sehen die Absichten ihrer KollegInnen in einem positiveren Licht als die PR-ExpertInnen selbst. "Andererseits nehmen JournalistInnen deren Auftragsorientiertheit stärker wahr", ergänzt Grimm. Was die Transparenz im Umgang mit Informationen betrifft, verhält es sich umgekehrt: PR-Leute sehen sich selbst "wahrhaftiger" als die JournalistInnen das tun – letztere hegen eher Zweifel, was den Wahrheitsgehalt von PR-Informationen betrifft.

Serviceorientierter Journalismus im Trend

Auch im Hinblick auf das Berufsziel von JournalistInnen gibt es Unterschiede: Während die neutrale Informationsvermittlung bei allen an erster Stelle steht, gibt es in Bulgarien und der Türkei noch einen ausgeprägten Meinungsjournalismus und JournalistInnen mit erzieherischen Absichten. "In Österreich hingegen steht die Serviceorientierung – bzw. die Bedürfnisse der LeserInnen – im Vordergrund", führt Grimm ein weiteres Ergebnis an und beschreibt dieses Phänomen als europaweiten Trend: "Der Druck auf den Journalismus wächst: Zeitungen können sich nicht mehr finanzieren und werden serviceorientierter."

Wie viel Nähe ist gesund?

In der Türkei, Bulgarien und Finnland sind sich PR und Journalismus näher als in den anderen Ländern. Welche Distanz, bzw. Nähe ist für unsere Kommunikationskultur wünschenswert? "Aus Sicht des PR-Experten ist Nähe gut, aus Sicht des Journalisten hingegen kritische Distanz angebracht", bringt es Burkart auf den Punkt. Immer öfter sind JournalistInnen auch in der PR tätig – sie finden sich in der fraglichen Doppelrolle des "PR-Journalisten". "Es braucht auf jeden Fall eine gewisse kritische Distanz, damit die beiden Gruppen ihre Aufgaben gut erfüllen können – eine gewisse Verantwortung dafür liegt auch bei denen, die für diese Berufe vorbilden – also bei uns", so Burkart und Grimm, die diese Verantwortung als Lehrende am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft natürlich auch wahrnehmen.

Europäische Öffentlichkeit

Professionelle Kommunikatoren prägen unser Europa-Bild: Die Umfrage hat ergeben, dass die Kommunikatoren der EU mehr Vertrauen entgegenbringen als – laut Eurobarometer – ihre LeserInnen. "Umgekehrt wäre es bedenklich", sind sich die beiden Forscher einig. Sie sehen die Studie als Pilotprojekt: "Wir möchten – vergleichbar zum Eurobarometer – die Einstellungen der Kommunikatoren in Europa und deren Einfluss auf die Meinung in der Bevölkerung längerfristig untersuchen." Die Ergebnisse könnten den EntscheidungsträgerInnen dabei helfen, den europäischen Integrationsprozess besser zu gestalten und kommunikativ in diesen hineinzuwirken. (ps)

Die Studie "ProfCom – Professionelle Kommunikatoren in Europa" wurde unter der Leitung von Ao. Univ.-Prof. Dr. Roland Burkart und Univ.-Prof. Dr. Jürgen Grimm in Zusammenarbeit mit den nationalen Kooperationspartnern in Österreich, Bulgarien, Finnland, Deutschland, Schweiz und Türkei durchgeführt. Die Ergebnisse wurden im September 2012 erstmals beim EUPRERA (European Public Relations Education and Research Association)-Kongress in Istanbul präsentiert. Eine Ausweitung der Studie auf andere Länder – unter anderem Russland – ist geplant.