RNA am Steuer

Elf Forschungsgruppen arbeiten im neuen Spezialforschungsbereich "RNA regulation of the transcriptome" einem gemeinsamen Ziel entgegen: die RNA-gesteuerten Ereignisse in der Zelle in ihrer Komplexität zu verstehen. Den genetischen Informationsfluss lassen sie dabei in neuem Licht erscheinen.

Lange stand die Ribonukleinsäure (RNA) im Schatten der DNA – jenem Biomolekül, das genetische Daten, also die Erbinformation, in sich trägt und in jeder Zelle zu finden ist. Die RNA hingegen galt als "Zwischenprodukt": zuständig dafür, Information zwischen der DNA und den Proteinen zu vermitteln. "Heute wissen wir mehr: Es gibt viele RNAs, die nicht in Proteine übersetzt werden – also nicht 'nur' als Botschafterin wirken, sondern einen konkreten Job in der Zelle haben und wie Proteine fertige Genprodukte sind", so Renée Schroeder vom Department für Biochemie und Zellbiologie/Max F. Perutz Laboratories (MFPL).


Dieser Artikel erschien im Forschungsnewsletter März 2012.
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Durch Kooperation zur Spitzenforschung

Die Wittgensteinpreisträgerin und renommierte RNA-Expertin ist Sprecherin des neuen Spezialforschungsbereichs (SFB), in dem die Rolle der regulatorischen RNAs – ein Teil jener funktionellen RNAs, die als eigene Genprodukte gelten – erforscht werden. "Damit sich Synergien ergeben, müssen RNA-ForscherInnen insbesondere methodisch nahe zusammenarbeiten. Das ermöglicht der SFB", erklärt die Biochemikerin: "Dass sich die fast 100 teilnehmenden WissenschafterInnen hier sehr für die Arbeiten der KollegInnen begeistern, ohne einander auf die Füße zu treten, macht es natürlich besonders spannend."



Die Max F. Perutz Laboratories (MFPL) sind ein 2005 gegründetes Joint-Venture der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien. Im Rahmen des Spezialforschungsbereichs "Modulators of RNA. Fate and Function" wurde dort schon in den vergangenen Jahren zur RNA geforscht. Unter der Leitung von Renée Schroeder und ihrem Stellvertreter Franz-Michael Jantsch ist seit einem Jahr nun der SFB "RNA regulation of the transcriptome" aktiv.



Mit den Spezialforschungsbereichen fördert der FWF exzellente Forschungsverbünde, die für acht Jahre konzipiert sind und in der Halbzeit zwischenbegutachtet werden. An "RNA regulation of the transcriptome" nehmen elf Gruppen aus den MFPL, der Universität Wien, der Medizinischen Universität Wien sowie weiteren biotechnologischen Forschungsinstituten (IMP, IMBA, GMI und CEMM) teil, die nicht nur untereinander, sondern auch durch das Doktoratskolleg "RNA Biology" verbunden sind. Eine gemeinsame Website veranschaulicht, welche weiten Kreise das RNA-Netzwerk bereits zieht.

Die Aufgaben der Ribonukleinsäure

RNAs können ganze Chromosomenregionen stilllegen und regulieren damit den genetischen Informationsfluss: "Sie steuern, ob genetische Informationen offen zugänglich und aktiv sind oder aber 'eng verpackt' und damit unlesbar. Dabei kommt es nicht nur auf die Sequenz des Gens an, die abgelesen wird oder nicht, sondern auch auf dessen Zustand." War nämlich ein Gen in der Mutterzelle hochaktiv, dann geht diese Information auch an die Tochterzelle über: "So haben beispielsweise Menschen, die in radioaktiven Gebieten leben, eine höhere Aktivität in der DNA-Reparatur. Bei der Zellteilung geht diese Info mit." Wie Schroeder schon in früheren Forschungen zeigen konnte, beeinflussen regulatorische RNAs daher stark, welche und wie viele Proteine abhängig von den Umweltbedingungen hergestellt werden. Um die vielfältigen Aufgaben der Ribonukleinsäure noch besser zu verstehen, stellen die WissenschafterInnen weitreichende Fragen: Wie funktioniert ihr Transport in der Zelle? Wie stabil ist die RNA in der Zelle?


Die vielfach preisgekrönte Forscherin Renée Schroeder ist Sprecherin des Spezialforschungsbereichs "RNA regulation of the transcriptome". Die Molekularbiologin erhielt im vergangenen Jahr den Eduard Buchner-Preis. 2006 bekam sie das große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen. Schroeder war weiters Wittgenstein-Preisträgerin des Jahres 2003 sowie Wissenschafterin des Jahres 2002.



Neue Blickwinkel eröffnet den RNA-ForscherInnen dabei der technische Fortschritt auf dem Gebiet der Genexpressionsanalyse: "Man glaubte, die Identität einer Zelle sei die DNA. Doch trotz gleicher DNA unterscheiden sich Körperzellen sehr stark voneinander. Eher macht daher die Summe der RNAs samt der Proteinkomplexe die Identität einer Zelle aus", erklärt Schroeder. So wird beispielsweise bei der Diagnose von Krankheiten in der angewandten Forschung schon jetzt auf sogenannte microRNAs geschaut, die bei bestimmten Krebsarten in der Zelle aus dem Gefüge geraten.

Ergebnisse verknüpfen

Den beteiligten WissenschafterInnen ist es wichtig, von einem hierarchischen Bild, an dessen Spitze die DNA in Form von 'master control genes' steht, wegzukommen und stattdessen ein neues Licht auf das Forschungsgebiet zu werfen: "Wir werden die Ergebnisse aus den einzelnen Teilbereichen unserer Forschung netzwerkartig verknüpfen. So können wir den komplexen Prozessen auf den Grund gehen, die sich in einer Zelle abspielen. Das langfristige Ziel ist es, den Phänotyp – also die Merkmale eines Organismus – und seine Krankheitsbilder zu begreifen", zeigt sich die Biochemikerin begeistert über die Möglichkeiten im neuen Spezialforschungsbereich. (dh)

Der Spezialforschungsbereich "RNA regulation of the transcriptome" wurde im Dezember 2010 vom FWF genehmigt. Univ.-Prof. Mag. Dr. Renée Schroeder, Leiterin des Departments für Biochemie und Zellbiologie, ist Sprecherin des SFB. Stellvertreter ist ao. Univ.-Prof. Dr. Franz-Michael Jantsch, der Leiter des Departments für Chromosomenbiologie. Spezialforschungsbereiche sind eng vernetzte Forschungsverbünde, Zentren der Spitzenforschung in internationalem Maßstab. Neubewilligungen ab November 2009 sind für acht Jahre konzipiert und werden nach vier Jahren zwischenbegutachtet. Das durchschnittliche Fördervolumen beträgt 900.000 Euro pro Jahr.



Lesetipp: 2012 wurde das populärwissenschaftliche Buch "Die Henne und das Ei" zum Wissenschaftsbuch des Jahres gewählt.