Risiken und Nebenwirkungen in der Behandlung Frühgeborener

Das Bild zeigt Neuronen des Gehirns.

Wenn Babys zu früh zur Welt kommen, sind ihre Lungen vielfach noch nicht weit genug entwickelt. Glukokortikoide können ihr Leben retten – aber auch mit Risiken verbunden sein, wie Winfried Neuhaus in seiner neuen Forschungsarbeit beschreibt.

In seiner aktuellen Publikation analysiert Winfried Neuhaus, Department für Pharmazeutische Chemie der Universität Wien, negative Effekte von Glukokortikoiden auf die Hirnentwicklung von Neugeborenen. Diese Steroidhormone übernehmen im menschlichen Körper vielfältige Funktionen, so unter anderem im Glukose-Stoffwechsel, wo ihr Name herrührt.

Behandlung von Frühgeborenen

Glukokortikoide steuern auch die Lungenreifung des Fötus im Mutterleib. Wenn sich eine Frühgeburt ankündigt, werden sie den werdenden Müttern verabreicht, um der Lungenentwicklung des Fötus unter die Arme zu greifen.

Ohne eine vorbeugende Behandlung würden viele frühgeborene Kinder nach der Geburt ersticken. Gleichzeitig birgt ein künstliches Eingreifen in die Lungenreifung Gefahren. Denn "die Lunge übernimmt nun ihre körperliche Funktion und wird daher nicht mehr so schnell wachsen können wie zuvor", erklärt Winfried Neuhaus.

Endothelzellen sind maßgeblich an der Herstellung einer Schutzschicht zwischen Hirnzellen und Blutkreislauf beteiligt. Hier präpariert Winfried Neuhaus die Zellen, um später ihre Barrierefunktionalität zu untersuchen. (Foto: Universität Wien)

Auswirkungen auf die Hirnentwicklung

Außerdem wirken die Stoffe nicht auf die Lunge allein, sondern auch auf andere Gewebe. In seiner Publikation interessierten Winfried Neuhaus unbeabsichtigte Auswirkungen von Glukokortikoiden auf die Hirnentwicklung. Denn aus klinischen Studien ist bekannt, dass eine zu hohe Dosis vor allem des Glukokortikoids Dexamethason die weiße Hirnsubstanz schädigen kann. Beeinträchtigungen der Motorik und der Entwicklung der Kinder sind die Folge.

Was auf der molekularen Ebene dabei aber genau passiert, bedarf noch tiefergehenden Forschungen, zu denen Neuhaus' Studie einen Beitrag leistet. Diese hatte der Wissenschafter am Universitätsklinikum Würzburg begonnen, als er am EU-Projekt "Neurobid" in der Gruppe von Carola Förster mitwirkte. Seit 2013 führt er sie an der Universität Wien fort.

Eingriff in die Blut-Hirn-Schranke?

Winfried Neuhaus widmet sich in seiner Forschung den Effekten des Wirkstoffs Dexamethason auf die sogenannte Blut-Hirn-Schranke – eine Art "Filtersystem des Gehirns", das bestimmt, welche Stoffe ins Zentralnervensystem (ZNS) eindringen können und welche Substanzen vom ZNS zurück in den Blutkreislauf kommen und dann abgebaut werden.

Und so funktioniert diese Schranke: Im Gehirn werden Blutgefäße auf der Innenseite durch so genannte Endothelzellen ausgekleidet. Diese sind durch Proteinketten (Tight Junctions) miteinander verknüpft, die den Spalt zwischen den Zellen abdichten. Auf der Außenseite umschließen Astrocyten die Kapillaren. "Sie sorgen dafür, dass sich eine dichte Barriere aufbaut und die Neuronen geschützt sind", erklärt der Forscher.

Schematische Darstellung des Endothels mit Astrozyten in der Blut-Hirn-Schranke. (Graphik: Armin Kübelbeck, Wikimedia Commons, CC BY 3.0)

Wächter des Hirns

Gemeinsam mit weiteren spezialisierten Zellen verhindert dieser "Grenzposten" ein unkontrolliertes Passieren von Substanzen. Während in anderen Geweben Moleküle zuweilen zwischen den Blutgefäßendothelzellen hindurchschlüpfen können, müssen sie hier die Zelle durchwandern, um auf die andere Seite zu gelangen.

Dazu benötigen sie Transporterproteine der Zelle, die etwa Nährstoffe hindurch oder Abfallprodukte hinaus transportieren, andere Stoffe aber abweisen. Die unterschiedlichen Zelltypen, die die Schranke herstellen, sind darüber hinaus über eigene Kommunikationsstrukturen miteinander und mit den Neuronen verbunden – "was hier passiert, passiert nicht zufällig", erläutert der Wissenschafter. Potenzielle Gefahren können so von den Gehirnzellen abgewehrt werden.

Veränderte Kapillarenstruktur

Während geringe Dosen an Dexamethason die Barriere stabilisieren, können überhöhte Dosen hingegen den gegenteiligen Effekt zeigen. Mit seinem Team forschte Neuhaus an neugeborenen Mäusen und stellte dabei Veränderungen an der Blut-Hirn-Schranke fest. Dies betraf zum einen etwa Proteine der Tight Junctions oder Transportermoleküle, die den Energiehaushalt der Hirnzellen regeln.

Zum anderen hatte sich die Struktur der Blutgefäße im Gehirn gewandelt. Denn bei den betreffenden Mäusen waren vergleichsweise mehr Kapillaren vorhanden, diese waren aber auch kürzer als jene von den Mäusen der Kontrollgruppe. "Dies beeinflusst möglicherweise die Kommunikation mit anderen Zelltypen der Blut-Hirn-Schranke", so Neuhaus, der hier einen von vielen Anknüpfungspunkten für weitere Forschungen sieht.

Zu viel ist zu viel

"Zu viel schadet", stellt der Forscher fest. "Das gilt besonders für das Dexamethason. Wir haben einen grundsätzlichen Mechanismus zeigen können, der zum Nachdenken anregen sollte", fasst er zusammen.

Dies könnte auch die Behandlung von Frühgeborenen mit Dexamethason betreffen.
Das mit ihm verwandte Glukokortikoid Betamethason könnte Abhilfe verschaffen: Es hat weniger Nebenwirkungen und wird in der klinischen Praxis bereits immer häufiger verwendet. Zudem sei eine Kombinationstherapie mit Koffein denkbar, das wie Glukokortikoide die Lungenausreifung unterstützt. (jr)

Das Paper "Multiple Antenatal Dexamethasone Treatment Alters Brain Vessel Differentiation in Newborn Mouse Pups" (AutorInnen: Winfried Neuhaus, Marian Schlundt, Markus Fehrholz, Alexander Ehrke, Steffen Kunzmann, Stefan Liebner, Christian P. Speer und Carola Y. Förster) wurde am 14. August 2015 im Journal "PLOS ONE" publiziert.