Neurowissenschaften: Gusto auf eine Tschik?

Der Tischnachbar raucht eine Zigarette und man oder frau verspürt Lust, dasselbe zu tun. Wer raucht, oder geraucht hat, kennt das Gefühl. Welche neuronalen Mechanismen dahinter stehen und was die Entwöhnung vom Glimmstängel erleichtert, untersuchen nun die Psychologen Claus Lamm und Jürgen Pripfl.

Es ist längst ein gesellschaftliches Problem: 23 Prozent der ÖsterreicherInnen rauchen täglich und schaden somit nicht nur ihrer Gesundheit, sondern auch ihrer Umwelt. Viele wollen aufhören, doch die meisten Therapiemethoden wirken nur bei ca. 30 Prozent der RaucherInnen – 70 Prozent werden nach einem Jahr wieder rückfällig. "Mit der Entwicklung einer wirksamen Methode zur RaucherInnenentwöhnung wollen wir einen gesellschaftlichen Beitrag leisten", erklärt Co-Projektleiter Jürgen Pripfl vom Institut für Klinische, Biologische und Differentielle Psychologie.

Kombiniertes Denken

Dafür führt der Postdoc zusammen mit Claus Lamm im Rahmen des ÖNB-Projekts "TMS als Therapieform in der RaucherInnenentwöhnung" eine kombinierte Studie durch. "Kombiniert" deshalb, weil sie die bekannte funktionelle Magnetresonanztomographie, kurz fMRT, mit einer weiteren Methode – der transkraniellen Magnetstimulation, kurz TMS – verbindet. Im Gegensatz zur ersteren Methode bildet TMS die Gehirnaktivität nicht ab, sondern beeinflusst bzw. stört sie kurzzeitig. "Diese Störung gibt uns Aufschluss darüber, welchen Beitrag eine bezeichnete Region im Hirn für eine bestimmte psychologische Funktion leistet", so Lamm. "Wenn ich zum Beispiel nach einer Tasse greife, so ist das visuelle und das motorische Areal im Gehirn beteiligt: Mit TMS kann ich beide Bereiche gezielt stören und sehen, welche Auswirkungen das auf meine Greifbewegung bzw. welche Aspekte davon hat", ergänzt der Psychologe.

Gezügeltes Verlangen

Beim Rauchen werden ähnlich komplexe Vorgänge im Hirn aktiviert. Studien haben ergeben, dass die Stimulation mit TMS eines bestimmten Bereichs im vorderen Teil des Gehirns – im Frontalkortex oder Frontallappen – das Substanzverlangen, bzw. "Craving" verringert. Der Frontalkortex ist jener Bereich im Gehirn, der dem Menschen hilft, sich und seine Triebe zu beherrschen und die kognitive Kontrolle zu bewahren. "Bei einem ehemaligen Raucher wird das Verlangen nach einer Zigarette – das z.B. durch einen Auslösereiz hervorgerufen wurde – auf diese Weise wieder reduziert", so Pripfl. Die Wissenschafter wollen nun herausfinden, welcher Mechanismus hinter diesem Phänomen steckt und welche "Schaltknöpfe" im Gehirn gedrückt werden können, damit die Lust auf eine Zigarette nicht so bald wiederkehrt oder zumindest besser kontrollierbar wird.

Logistische Herausforderung

Die Neurowissenschafter nennen zwei Hypothesen, denen sie nachgehen wollen: Eine geht davon aus, dass das "Craving" reduziert wird, weil durch die Magnetstimulation die im Frontalkortex angesiedelte bewusste Kontrolle des eigenen Verlangens verbessert wird. Die zweite Theorie beschreibt einen etwas komplexeren Mechanismus: Der Frontalkortex ist demnach mit einem anderen Bereich im Gehirn über das sogenannte Belohnungszentrum verbunden. Es entsteht eine Rückkoppelungsschleife, aus der das "Craving" hervorgeht und die durch die Magnetstimulation eventuell beeinflussbar ist.

Dieser zweite Ansatz findet weltweit noch wenig Beachtung, weil die – zu dessen Verifizierung notwenige – Methodenkombination noch nicht ausreichend etabliert ist. Deshalb liegt es nun an dem jungen Forschungsteam, neues Know How zu entwickeln. "Die Herausforderung wird sein, die ProbandInnen nach der nur 15 Minuten anhaltenden Stimulation möglichst schnell in den Magnetresonanz-Scanner zu führen, um dann deren Gehirnaktivität beobachten zu können", erklärt Lamm. Dabei werden den ProbandInnen Auslöser (wie z.B. eine brennende Zigarette) und Kontrollreize vorgespielt.


Bevor der Proband in den Magnetresonanz-Scanner geschoben wird, führen die Wissenschafter die transkranielle Magnetstimulation durch, bei der die Gehirnaktivität kurzzeitig beeinflusst wird.



Die Kombination der beiden Methoden ermöglicht herauszufinden, ob die Stimulation mittels TMS zu Aktivitätsänderungen in Gehirnregionen führt, die mit einer verbesserten bewussten Kontrolle oder aber mit einer veränderten weitgehend unbewussten Belohnungsverarbeitung zu tun haben.

Transuniversitäre Forschung

Die Kooperation mit der Medizinischen Universität – die im Forschungscluster "Multimodal Neuroimaging in clinical Neurosciences: Assessment of neurobiological markers for psychiatric disorders" institutionalisiert wurde – erleichtert die Bewältigung dieser logistischen Herausforderung. Dieser Rahmen war auch ausschlaggebend für die Entstehung des Projekts: "Gemeinsam mit den KollegInnen von der Medizinischen Universität haben wir überlegt, welche Wissenslücken wir mit unserer kombinierten Methode schließen könnten. Dabei sind wir auf das Thema Sucht gestoßen – ein Bereich, wo es noch viele Wissensdefizite gibt", erklärt Lamm die Hintergründe der Studie.

Dominante Sucht

Neben dem Rauchen könnte die neue Therapiemethode nämlich auch auf andere Suchterkrankungen, wie z.B. Alkoholismus, angewandt werden. "Wir haben die Nikotinsucht für diese Studie als Beispiel gewählt, weil sie eine hohe Prävalenz hat und wir dadurch Zugang zu einem großen Teil der Bevölkerung haben", erklärt Pripfl. "Außerdem sind RaucherInnen eher bereit, an einer solchen Studie teilzunehmen, als Personen mit einer Suchterkrankung, die gesellschaftlich stigmatisiert wird", so der Nichtraucher. (ps)


Die Projektleiter suchen noch ProbandInnen: RaucherInnen, die sich für neurowissenschaftliche Methoden interessieren und einen Beitrag für die Wissenschaft leisten möchten, haben die Möglichkeit sich via E-Mail (nikotinstudie.psychologie(at)univie.ac.at) für die Studie anzumelden, bzw. nähere Informationen zum Ablauf der Studie einzuholen.



Das Forschungsprojekt "TMS als Therapieform in der RaucherInnenentwöhnung: eine kombinierte TMS/fMRI-Studie" wird von der Österreichischen Nationalbank finanziert und läuft von 1. Juni 2011 bis 30. November 2012 unter der Leitung von Claus Lamm vom Institut für Klinische, Biologische und Differentielle Psychologie. Co-Projektleiter ist Jürgen Pripfl. Das Projekt ist Teil des Forschungsclusters "Multimodal Neuroimaging in clinical Neurosciences: Assessment of neurobiological markers for psychiatric disorders" in dessen Rahmen Rupert Lanzenberger von der Medizinischen Universität Wien und Christian Windischberger vom Exzellenzzentrum Hochfeld-Magnetresonanz an dem Projekt beteiligt sind.