Molekulare Brücken bauen

Etwa alle zwei Jahre verdoppelt sich die Leistung neuer Computerchips. Doch auch die digitale Revolution hat einmal ein Ende: Dem Chemiker Robert Stadler zufolge rückt der Tag immer näher, an dem der kleinstmögliche Silizium-Schaltkreis hergestellt sein wird. Die Zukunft der Chip-Technologie verortet er in der "molekularen Elektronik". Die Idee: Ein organisches Molekül, zwischen Elektroden "gespannt", ersetzt den Silizium-Halbleiter. Welche Moleküle sich dafür eignen, untersuchte der Forscher in einem kürzlich abgeschlossenen FWF-Projekt – das Folgeprojekt hat bereits begonnen – und veröffentlichte dazu in den "Nano-Letters".

Computerchips im Nano-Maßstab: Neu ist diese Vision nicht. Bereits um 2000 verkündeten Firmen wie IBM die Geburtsstunde einer revolutionären Halbleiter-Technologie auf der Basis organischer Moleküle. "Man sprach euphorisch von etwa fünf Jahren bis zur Marktreife der ersten Anwendungen", erzählt Robert Stadler vom Institut für Physikalische Chemie, der seit mehreren Jahren zu den Grundlagen molekularer Elektronik forscht: "Hewlett Packard hat sogar einen kompletten molekularen Schaltkreis präsentiert; später stellte sich heraus, dass noch nicht einmal klar war, was die Moleküle darin eigentlich tun."

Ein PR-Fehler, der alle traf, die schon damals auf diesem Gebiet tätig waren. 2003 erschien schließlich eine kritische Science-Publikation mit dem Titel "Next generation technology hits an early midlife crisis", danach wurde es laut Stadler "wieder ruhig um das Thema, zumindest was das öffentliche Interesse betrifft". Indessen ging die Forschung weiter, und seit ein paar Jahren publizieren die VertreterInnen der jungen Disziplin wieder. "Man wird häufig zitiert, und wissenschaftlicher Nachwuchs rückt nach", freut sich der Wissenschafter, der vom Potenzial molekularer Elektronik nach wie vor überzeugt ist: "Silizium hat den entscheidenden Nachteil, im Nanobereich instabil zu werden, während organische Moleküle relativ strukturstabil sind und gezielt chemisch hergestellt werden können."

"Elegante Methode"

In seinem kürzlich abgeschlossenen FWF-Projekt "Interferenzeffekte in molekularer Elektronik" ist Robert Stadler dem Verständnis der Leitfähigkeit von organischen Molekülen wieder einen Schritt näher gekommen. In einer Publikation in den renommierten "Nano Letters" stellte er gemeinsam mit dänischen Kollegen eine neue – und ihm zufolge besonders "elegante" – graphische Methode vor, die es erlaubt, ein Molekül rasch auf seine "Schaltelement-Tauglichkeit" zu prüfen.

Denn abhängig von der jeweiligen Struktur läuft der Spannungstransport in jedem mehratomigen Molekül anders ab, und manchmal treten dabei Welleneffekte, sogenannte Quanteninterferenzeffekte, auf. Letztere definieren die Funktion eines molekularen Schaltkreises, indem sie die Leitfähigkeit beeinflussen. "Dies ist grundsätzlich anders als in konventioneller Elektronik, bei der sogenannte Logikgatter – Gates – aus voneinander unabhängigen Bauelementen wie Transistoren, Widerständen und Drähten zusammengesetzt werden", erklärt Stadler.

Elektrochemischer Ladungstransport

Die neue Methode erlaubt es, anhand graphischer Darstellungen der Moleküle auf einen Blick festzustellen – also ohne eine Rechnung oder Computersimulation durchführen zu müssen –, ob Interferenzeffekte auftreten werden oder nicht, sprich wie leitfähig die Moleküle sind. Nun gilt es, die solcherart ermittelten, potenziellen "Halbleiter-Moleküle" in der Computersimulation zwischen zwei oder mehrere Elektroden zu "spannen" und elektrische Ladung "durchzuschicken". Welchen Weg nimmt ein Elektron durch das Molekül, und wie kann dieser sogenannte "Ladungstransport" durch das Anbringen bestimmter chemischer Gruppen (sogenannte substitutionelle Gruppen) gezielt gesteuert werden?

Um das zu simulieren, entwickeln Robert Stadler und sein Projektmitarbeiter Georg Kastlunger im Rahmen des kürzlich gestarteten FWF-Projekts "Elektrochemischer Ladungstransport" neue theoretische Methoden. "Dabei arbeiten wir auf der Grundlage der Dichtefunktionaltheorie", betont der Projektleiter.

Hüpfende Elektronen

Ziel ist es weiters, die "lästigen" Interferenzeffekte – also jene, die die Leitfähigkeit negativ beeinflussen – nutzbar zu machen, anstatt sie ausschließen oder umgehen zu wollen. Im laufenden Projekt arbeitet Stadler eng mit ExperimentalphysikerInnen in London zusammen, die durch die Kombination einer elektrochemischen Zelle und eines Rastertunnelmikroskops den Ladungstransfer messen und beeinflussen können. "Damit soll unter anderem die Art des Transports geprüft werden, denn Elektronen haben die Möglichkeit, sich entweder in einem oder –  quasi 'hüpfend' – in mehreren Teilschritten durch ein organisches Molekül zu bewegen."

Pionierarbeit

Der tatsächliche Einsatz von organischen Molekülen in elektronischen Schaltkreisen ist nach wie vor Zukunftsmusik: Hier wird "echte Pionierarbeit geleistet", wie Stadler es formuliert. "Es ist einfach verfrüht, von Technologie zu sprechen, wenn das, was es jetzt braucht, systematische und genaue Grundlagenforschung ist", so der Physikalische Chemiker, den der Begriff "Nanotechnologie" immer schon etwas irritiert hat: "Es muss eigentlich Nanowissenschaft heißen." (br)

Das Paper "The Relation between Structure and Quantum Interference in Single Molecule Junction"  (Autoren: Troels Markussen, Robert Stadler, Kristian S. Thygesen) erschien im Fachjournal "Nano Letters" (2010, 10).