Mit Soja fürs Leben lernen

"Bio und Mathe, das brauch ich später eh nie wieder", lautet ein gängiges Vorurteil von SchülerInnen. Biologiedidaktikerin Suzanne Kapelari beweist im EU-Projekt "mascil" das Gegenteil. Sie vermittelt LehrerInnen neue Unterrichtskonzepte, die Schule und Arbeitswelt verbinden.

Sowohl der naturwissenschaftliche Unterricht als auch die Berufswelt sind für viele SchülerInnen wenig greifbar. "Oft wäre es leichter, wenn die Alltagsrelevanz der Lerninhalte häufiger erkennbar und Schulwissen in einem lebensweltlichen Kontext anwendbar erscheinen würde", sagt Didaktikerin Suzanne Kapelari von der Universität Wien.

Nähe zum Abstrakten schaffen

Das ist der Ausgangspunkt des Projekts "Mathematics and Science for Life" (mascil), das im 7. Rahmenprogramm der EU gefördert wird. Hier ist  "Lernen fürs Leben" nicht nur ein Schlagwort, sondern ein Arbeitsauftrag.

"Für SchülerInnen sind oftmals sowohl die Naturwissenschaften als auch das spätere Berufsleben abstrakte Themen. Wir möchten das ändern und beides erfahrbarer machen", erklärt Suzanne Kapelari. Sie ist die Leiterin des österreichischen Teilprojekts am Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität Wien. Das internationale mascil-Konsortium besteht aus 18 Partnern, die in insgesamt 13 Ländern tätig sind.

Suzanne Kapelari ist auch Leiterin des Österreichischen Kompetenzzentrums für Didaktik der Biologie, das optimale Rahmenbedingungen für die Entwicklung und Weitergabe von Lehr- und Lernkonzepten bietet. Die Österreichischen Kompetenzzentren (Austrian Educational Competence Centres, AECCs) forschen, entwickeln und beraten zum Lehren und Lernen in naturwissenschaftlichen Fächern. Sie engagieren sich in der Aus- und Fortbildung von LehrerInnen und sind bestrebt, Fachdidaktiken österreichweit miteinander zu vernetzen und fachdidaktische Forschung in Österreich voran zu treiben. Seit 2005 beherbergt die Universität Wien die AECC für Biologie, Chemie und Physik.

Neue Impulse für den Unterricht

Ziel des "mascil-Österreich" Projekts war es zunächst, neue Konzepte für den Biologie- und Mathematikunterricht in Volks- und weiterführenden Schulen zu erstellen. Gemeinsam mit der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik und der Universität Innsbruck wurden zum umfangreichen Themenkomplex "Wunder(lehr)mittel- Soja" Unterrichtsmaterialien entwickelt, die den Aufbau von Wissen zu diesem Thema von der Unterstufe bis in die Oberstufe ermöglichen.

Gemeinsam mit den Pädagogischen Hochschulen in Vorarlberg, Tirol, Oberösterreich und Wien haben Suzanne Kapelari und ihr Team in den letzten beiden Jahren Fortbildungen zum Einsatz dieser Lernangebote für LehrerInnen veranstaltet.

Heilige Kuh Soja?

Aktuell werden medienwirksam gesellschaftlich hoch brisante Fragen diskutiert, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser Hülsenfrucht stehen.
Soll Europa das Transatlantische Handelsabkommen (TTIP) unterzeichnen? Macht es Sinn den Anbau von gentechnisch verändertem Saatgut zu forcieren und das Herbizid Glyphosat großflächig einzusetzen? Ist es ökonomisch und ökologisch sinnvoll, in Österreich und in anderen "Donau-Staaten" vermehrt gentechnikfreies Soja anzubauen? Die Auseinandersetzung mit Soja als "Heilige Kuh" der globalen Nahrungs- und Futtermittelindustrie macht hochkomplexe Wirksysteme sichtbar und damit deutlich, wie  naturwissenschaftliches und mathematisches Wissen im Kontext von gesellschaftspolitischen Entscheidungsprozesse wirksam eingesetzt werden kann.

Soja aus allen Perspektiven

Ob SchülerInnen nun gemeinsam Sojapflanzen anbauen, auf ihre physiologischen und agrarökonomischen Eigenschaften hin untersuchen oder sich in Planspielen in die Rolle unterschiedlicher InteressensvertreterInnen wie z.B. LandwirtInnen, NaturschützerInnen, AgrarberaterInnen, ErnährungsexperInnen oder JournalistInnen hineinversetzen: Sie werden praktisch tätig und beleuchten das Thema im Verlauf der Sekundarstufe aus unterschiedlichsten Perspektiven.

So bauen die SchülerInnen "systematisch Wissen und Können auf, mit dem sie als mündige Mitglieder der Gesellschaft zu diesem hochkomplexen Thema überlegt  Stellung beziehen können", freut sich Suzanne Kapelari.

Mascil für die Praxis

Die Mascil-ForscherInnen stellen ihren Lernzugänge und Unterrichtsmaterialien zu unterschiedlichen Themenkomplexen für LehrerInnen auf der Website bereit.
Für LehrerInnenbildnerInnen steht ein "Toolkit" bereit, den diese online abrufen und unmittelbar oder in adaptierter Form für ihre eigenen Aus- und Fortbildungsangebote nützen können.

Forschendes Lernen

Im Rahmen des EU-Projekts werden grundlegende Ziele des Forschenden Lernens in die Praxis umgesetzt, um den traditionellen Unterricht zu ergänzen. "Die SchülerInnen lernen, selbst Hypothesen aufzustellen, Experimente zu planen, durchzuführen, auszuwerten und ihr eigenes Tun zu reflektieren", erläutert Suzanne Kapelari. "Die Planspiele gestatten darüber hinaus einen Blick über den Tellerrand: Der naturwissenschaftliche Zugang steht nicht für sich allein, sondern bezieht gesellschaftliche Problemstellungen und unterschiedliche Sichtweisen auf das Thema  mit ein."

Übersetzung zwischen Traditionen und Lernkulturen

"Unsere internationale Zusammenarbeit hat gezeigt: Ein gemeinsames Patentrezept des Forschenden Lernens für ganz Europa gibt es nicht. Beispielsweise bestehen Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern darin, welche Verlässlichkeit Naturwissenschaftlichem Wissen beigemessen wird oder welche  Erkenntniswege als prototypisch wahrgenommen werden", so die Biologiedidaktikerin.

"Es war aber ungemein produktiv, sich darüber zu verständigen und so die jeweiligen Unterrichtskulturen neu verstehen zu lernen." Somit generiert das Projekt mascil auch ein länderübergreifendes Erfahrungswissen, dass sowohl in lokale als auch neue EU-übergreifende Programme einfließen kann. (jr)