"Meine Forschung": Wie Senioren ländliche Räume beleben

Während in ländlichen Regionen im Normalfall die Abwanderung junger Menschen thematisiert wird, nimmt Geographin Elisabeth Gruber ältere ZuwanderInnen und ihre Bedeutung für die lokale Entwicklung in den Blick.

Räumliche Migrationsmuster zeigen eine deutliche Ausprägung. Der Großteil von Menschen wandert heutzutage in Städte zu, die meisten davon, wenn sie jung sind: Wenn sie einen Beruf erlernen oder aufnehmen, ein Studium beginnen oder absolvieren oder eine Familie gründen. Aber auch der Übertritt in den Ruhestand ist ein Lebensereignis, das die Migrationsbereitschaft wieder ansteigen lässt, wenn auch die meisten Personen im Alter nicht mehr ihren Wohnstandort verlagern.

Interessant ist Migration im Ruhestand vor allem deshalb, weil sie eine unterschiedliche räumliche Ausprägung zeigt als andere Formen der Wanderungen. Personen im Seniorenalter bevorzugen kleinere Siedlungen in räumlich attraktiven Lagen: in der Nähe zu Gewässern, zu Wäldern oder zu Bergen. International lässt sich das Phänomen der "Retirement Migration" daher auch grenzüberschreitend beobachten, etwa bei NordeuropäerInnen, die nach der Pensionierung an die Mittelmeerküste ziehen.

Im uni:view-Dossier "Meine Forschung" stellen DoktorandInnen der Universität Wien ihre Forschungsprojekte vor. Das Dossier läuft in Kooperation mit dem DoktorandInnenzentrum (Foto: Universität Wien)

Rund 60 Prozent der Personen zwischen 55 und 69 Jahren wandern von Städten aufs Land
Nur insgesamt rund 5 Prozent der 55 bis 69-jährigen in Österreich verlagern im Alter ihren Wohnstandort. In den letzten Jahren ist dieser Anteil leicht angestiegen. Der Großteil davon wanderte von urbanen in ländliche Räume (60 Prozent) oder Stadtumlandbereiche (26 Prozent). Zahlenmäßig sind Personen, die innerhalb Österreichs im Alter ihren Wohnstandort verlegen, nur gering (rund 18.000 Wohnstandortverlagerungen im Jahr 2014). Durch die räumliche Konzentration in ländlichen Bereichen ist diese Gruppe aber mancherorts von großer Bedeutung.

Ländliche Räume sind attraktiv für SeniorInnen

RuhestandsmigrantInnen sind sowohl neuzugezogene Personen, die mit einer Region bisher noch wenig Kontakte hatten, ebenso wie zurückkehrende Personen. Im Südburgenland kann ein Zuzug aus Westösterreich beobachtet werden: Im Vergleich zu Tirol oder Vorarlberg finden sich dort günstige Immobilien- und Grundstückspreise. Das Waldviertel ist vor allem bei Personen aus der Großstadt als Ausgleichsraum und bei Personen mit Wurzeln im Waldviertel ein beliebter Ort für den Lebensabend.

Vor allem Häuser in pittoresken Berglagen sind als Freizeit- oder Ruhestandswohnsitz zunehmend attraktiv. Im Bild: Siedlung Czarterberg im Südburgenland: ehemalige Weinkeller, die mittlerweile von FreizeitwohnsitzerInnen genutzt werden. (Foto: Eliabeth Gruber)

Abgesehen von "harten Standortfaktoren" sind es weiche Faktoren, die von zuziehenden Personen positiv bewertet werden: In kleinen Orten, die weder durch Massentourismus noch Urbanisierung geprägt sind, finden sie "Beschaulichkeit", ein Begriff der sich auf traditionelle Strukturen und sozialen Zusammenhalt bezieht. Der ländliche Raum bietet für sie eine Gegenthese zur Urbanität mit zunehmendem Bevölkerungswachstum und Diversität und abnehmender Übersichtlichkeit. Sich verändernde Strukturen in der ursprünglichen Heimat und die Schwierigkeit sich darauf einzustellen, zunehmendes Wachstum und zunehmende räumliche Dichte aber auch Xenophobie und das Gefühl verschwindender traditioneller Strukturen und fehlende Zugehörigkeit sind daher zentrale Motive für die Wohnstandortveränderung im Alter.

Literaturtipp: Die Dissertation "Im Ruhestand aufs Land. Ruhestandsmigration und deren Bedeutung für ländliche Räume in Österreich" ist im Dezember 2017 als Buch im Lit-Verlag in der Reihe "Ländliche Räume: Beiträge zur lokalen und regionalen Entwicklung" erschienen. Anhand von zwei Fallstudien (Südburgenland und Waldviertel und statistischem Datenmaterial für ganz Österreich) wird das Phänomen Ruhestandsmigration innerhalb Österreichs beschrieben.

RuhestandsmigrantInnen zeigen positive Effekte in den Regionen

Für ländliche Regionen haben RuhestandsmigrantInnen positive Effekte. In erster Linie sind es Investitionen in Immobilienobjekte, die ansonsten vielleicht leer stehen und verfallen würden. Renovierungen wirken sich damit nicht nur positiv auf den Baubestand aus, sondern auf das gesamte Ortsbild. ZuwanderInnen bedeuten für jede Gemeinde ferner Steuerzuweisungen und bringen auch Kapital mit, von dem auch die lokale Wirtschaft (Geschäfte, lokale Daseinsvorsorge und Betriebe) profitiert. Aber nicht alle Einrichtungen werden von ZuwanderInnen im Seniorenalter genutzt. Durch eine einseitige Zuwanderung können wichtige Infrastrukturen der Daseinsvorsorge – etwa Schulen oder Kindergärten – nicht profitieren.

Durch günstige Grundstückspreise gibt es zugezogene Personen, die auch in fortgeschrittenem Alter am Land ein neues Haus bauen (lassen). (Foto: Elisabeth Gruber)

Kann die Zuwanderung älterer Bewohner von Gemeinden gesteuert werden?

Zuwanderung beruht auf individuellen Entscheidungen und Bewertungen und ist dadurch nur bedingt steuerbar. Durch Maßnahmen des regionalen Marketings und der Ortskernbelebung lässt sich dennoch geringfügig Einfluss nehmen: Imagekampagnen oder die Planung von Wohnbauprojekten sind hier als konkrete Beispiele zu nennen.

Das beste Aushängeschild sind aber die zufriedenen Zugezogenen selbst. In vielen Gemeinden kann beobachtet werden, dass nach dem Zuzug eines Paares auch Familienmitglieder oder Freunde nachkommen. Selbst wenn die Ruhestandsmigration keine zahlenmäßig ausgeprägte Zuwanderung ist, so können damit in einigen Gemeinden zumindest zeitweise die Folgen der Abwanderung anderer Bevölkerungsgruppen ausgeglichen werden.

Elisabeth Gruber, geboren 16. April 1985 in Wien, hat an der Universität Wien studiert und absolvierte ihre Dissertation mit dem Titel "Im Ruhestand aufs Land" am Institut für Geographie und Regionalforschung. Derzeit forscht sie im Rahmen des EU-Interreg Projekts YOUMIG zu Jugendmigration im Donauraum. (Foto: Universität Wien/D. Dutkowski)