"Meine Forschung": Verminderung der Sehfähigkeit im Alter

Die altersbedingte Makuladegeneration ist eine häufige Ursache für Sehreduktion im Alter. Doch wie erleben es ältere Menschen immer schlechter sehen zu können? In ihrer Dissertation am Institut für Pflegewissenschaft erforscht Isabella Stelzer, wie Betroffene mit verringerter Sehschärfe umgehen.

Wer an AMD – altersbedingter Makuladegeneration – leidet, verliert nach und nach die Sehfähigkeit im Zentrum des Gesichtsfelds. Rund 125.000 ÖsterreicherInnen sind von dieser chronischen Augenerkrankung betroffen. Jedes Jahr werden 3.000 bis 4.000 Neuerkrankungen diagnostiziert – Tendenz steigend, wie ExpertInnen prognostizieren. Die wachsenden Zahlen lassen sich, wie bei anderen Erkrankungen im Alter auch, auf die steigende Lebenserwartung zurückführen. Zurzeit kann AMD nicht geheilt werden, Therapien können den Krankheitsverlauf allerdings verzögern.

"Wie ein verlorenes Hendl"

Beim täglichen Einkauf im Supermarkt fühle sie sich wie "ein verlorenes Hendl", erzählt die an AMD erkrankte 80-jährige Frau K. Ähnlich geht es vielen anderen Betroffenen, die von wesentlichen Einschränkungen im Alltag berichten, etwa beim Baden, dem Verlassen der Wohnung oder beim Spazierengehen. "Oft genannt werden Schwierigkeiten bei der Hausarbeit, dem Zubereiten von Mahlzeiten, beim Umgang mit Geld oder dem Gebrauch des Telefons", erzählt die Nachwuchswissenschafterin Isabella Stelzer, die am Institut für Pflegewissenschaft ihre Dissertation über chronische Krankheiten im Alter schreibt. Der Sehverlust zwingt die älteren Menschen dazu, neue Strategien zu entwickeln, um im Alltag zurecht zu kommen.

Im uni:view-Dossier "Meine Forschung" stellen DoktorandInnen der Universität Wien ihre Forschungsprojekte vor. Das Dossier läuft in Kooperation mit dem DoktorandInnenzentrum.

Altern oder Krankheit?

Gerade im späteren Lebensabschnitt kommen chronische Erkrankungen wie AMD häufig vor, dennoch ist Altern an sich keine Krankheit. "Es ist schwierig, zwischen altersbezogenen Veränderungen – wie eben einer Verschlechterung der Sinne – und pathologischen Prozessen zu unterscheiden", erklärt Stelzer. Doch genau diese Differenzierung zwischen Altern und Krankheit sei wesentlich für die pflegewissenschaftliche Praxis und Theorie: "Um Gesundheitsveränderungen erklären und Interventionen angemessen planen zu können, ist es wichtig zu verstehen, ob ein schlechter gesundheitlicher Zustand die Folge von Krankheitsprozessen ist oder sich die Gesundheit durch den Prozess des Alterns verschlechtert".

Aus der Wirklichkeit der Betroffenen

Isabella Stelzer interessiert sich dafür, wie die Betroffenen ihren Sehverlust bewerten – als Alterserscheinung oder als Krankheit? Wie gehen sie damit um und wie gestalten sie ihren Alltag? Dazu besuchte die Jungwissenschafterin AMD-PatientInnen im Alter von 79 bis 94 Jahren, um – oft bei Kaffee und Keksen, wie sie erzählt – mehr über ihre Lebensgeschichten und vor allem das Erleben von Sehverlust durch AMD zu erfahren.

Krankheiten wie AMD (altersbedingte Makuladegeneration) führen zu wesentlichen Einschränkungen im Alltag. Das Bild simuliert die Nahsicht von Erkrankten.



Aus einem anderen Blickwinkel betrachten


Die Ergebnisse basierend auf der Grounded-Theory-Methodologie zeigen, dass die befragten alten Menschen mit AMD als Folge des Alterns umgehen. Ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Alternsprozess, die ebenso ihre Vorstellungen vom Lebensabschnitt Alter prägen, spielen eine wesentliche Rolle in Bezug auf diese Betrachtungsweise. "Mit dem Alter kommt etwas und das muss man akzeptieren", erklärt Frau K. hinsichtlich ihres Sehverlusts durch AMD.

Die Analyse des Datenmaterials ergab weiter, dass eine Veränderung der Lebenseinstellung, die die Betroffenen auf das Alter zurückführen würden, nun zur Folge hätte, Krankheiten und Verluste aus dem Blickwinkel eines alten Menschen betrachten: Körperliche Beschwerden wie kognitiv relevante Einschränkungen würden als natürlich und zu erwarten beschrieben, sie müssten sich also damit abfinden. Vergleiche stützen diese Auffassung: So würde eine Vielzahl der Befragten annehmen, eine Sehbehinderung in jüngeren Jahren zu erleiden, wäre belastender für sie gewesen als diese im gegenwärtigen Lebensabschnitt zu erfahren.

Selbstständigkeit erhalten

Das Hauptaugenmerk im Umgang mit der Sehverminderung durch AMD würden die alten Menschen darauf legen, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden zu leben und die eigene Selbstständigkeit zu erhalten. Um den Alltag besser bewältigen zu können, würden die Betroffenen sowohl familiäre als auch professionelle Unterstützung organisieren. "Hilfe anzunehmen ist wesentlich, um weiterhin eigenständig leben zu können", betont die Pflegewissenschafterin. Das Ziel sei, aus Perspektive der AMD-PatientInnen, so gut zu leben wie möglich und das Beste aus der Situation zu machen. Prioritäten haben die Empfindung sich zu Hause zu fühlen, in den eigenen vier Wänden genauso wie im Seniorenwohnheim, ein aktives Leben zu führen und sich wohl zu fühlen.

Isabella Stelzer, geb. 1987 in Wien, ist Dissertantin am Institut für Pflegewissenschaft der Universität Wien. Sie forscht zum Thema "chronische Krankheiten im Alter" mit dem Schwerpunkt Sehverlust. Ihre Dissertation "Qualitative Studie zur Beleuchtung des Umgangs mit chronischer altersassoziierter Erkrankung im späteren Lebensabschnitt am Beispiel der altersbedingten Makuladegeneration" wird von Univ. Prof. Mag. Dr. Hanna Mayer betreut.

Literaturtipps zum Thema:
Ding-Greiner, C., & Lang, E. (2004). Alternsprozesse und Krankheitsprozesse - Grundlagen. In A. Kruse (Hrsg.), Enzyklopädie der Gerontologie. Alternsprozesse in multidisziplinärer Sicht. Bern: Hans Huber.
Meleis, A. I. (2011). Theoretical Nursing: Development and Progress. Philadelphia: Wolters Kluwer Health/Lippincott Williams & Wilkins.
Strauss, A., & Corbin, J. (1996). Grounded Theory: Grundlagen Qualitativer Sozialforschung. Weinheim: Psychologie Verlags Union.