"Meine Forschung": Deutsche Erzählliteratur in den USA

Der deutsche Buchmarkt ist voll mit Lesestoff aus den USA. Doch wie schaut es in den Vereinigten Staaten mit der Wahrnehmung aktueller Werke deutscher AutorInnen aus? Das untersucht die Komparatistin Friederike Schwabel in ihrer Dissertation.

Rund zwei Drittel der am deutschen Buchmarkt vertretenen Übersetzungen stammen aus dem Englischen. In den USA hingegen erscheinen kaum Übersetzungen: Nur 0.7 Prozent sind es jährlich. Das berichtet "Three Percent", eine wissenschaftliche Initiative der Universität Rochester. Aus Deutschland kommend konnte man etwa für das Jahr 2010 nur rund 20 literarische Übersetzungen in den USA eruieren.

"Einerseits dokumentieren diese Zahlen zwar, dass sich die USA fremdsprachiger Literatur eher verschließt. Andererseits macht es mir dieses überschaubare Feld möglich, die Übersetzungslage und Rezeption deutscher Literatur für einen längeren Zeitraum im Rahmen einer Doktorarbeit zu erfassen", meint Friederike Schwabel, die ihre Arbeit im Bereich Vergleichende Literaturwissenschaft schreibt.

Dabei konzentriert sich die Nachwuchsforscherin auf Fragen wie: Welche Themen interessieren die amerikanischen LeserInnen? Welche Übersetzungen besprechen die "großen" amerikanischen Zeitungen wie die New York Times? Und: Wie werden diese dort literaturkritisch bewertet?

Im uni:view-Dossier "Meine Forschung" stellen DoktorandInnen der Universität Wien ihre Forschungsprojekte vor. Das Dossier läuft in Kooperation mit dem DoktorandInnenzentrum.


250 Übersetzungen in 20 Jahren


Um einen Überblick zu bekommen, legte Schwabel zuerst eine Bibliographie der vorhandenen Übersetzungen an. Dabei fokussierte sie sich auf zeitgenössische Prosatexte, die von 1990 bis 2010 erschienen bzw. übersetzt worden sind. Kinder- und Jugendliteratur sowie Mischformen – wie Tagebücher oder Autobiographien – schloss sie aus. "Immerhin konnte ich im behandelten Zeitraum rund 250 Übersetzungen deutscher Erzählliteratur in Buchform auf dem amerikanischen Buchmarkt recherchieren", freut sich die Komparatistin.

Die Idee für ihr Forschungsprojekt ergab sich in Folge an ihre Diplomarbeit. "Darin habe ich die Präsenz österreichischer Gegenwartsliteratur in den USA untersucht", so die Dissertantin. Aus Deutschland kommende Literatur ebenfalls zu erfassen, hätte den Rahmen einer Diplomarbeit allerdings gesprengt. Deswegen liegt der Fokus des Dissertationsprojekt nun auf dem Transfer von deutscher Gegenwartsliteratur in die USA.

Publikumsmedium statt Fachzeitschrift

Im nächsten Schritt sammelte die Dissertantin Rezensionen zu den Übersetzungen in amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften – von der "New York Times", der "Los Angeles Times" oder dem "San Francisco Chronicle" bis hin zu "The Nation" oder "The New York Observer". Dabei war es ihr wichtig, in Publikumsmedien und nicht in akademischen Fachzeitschriften zu suchen: "Ich wollte herausfinden, welche Werke eine breite Leserschaft erreichen", sagt sie.

Bei der anschließenden inhaltlichen Analyse konzentrierte sie sich auf die "besonders gut rezipierten Werke" und verglich sie inhaltlich mit Rezensionen aus der deutschen Qualitätspresse – etwa dem "Spiegel", der "Zeit" oder der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Mit dem Ziel, spezifische Unterschiede der Selbst- und Fremdwahrnehmung herauszuarbeiten, aber auch, um stereotype Vorstellungen sowie "images" und "mirages" – also Bilder vom jeweilig "Anderen" sowie die spezifischen literaturkrititschen Werturteile, die die KritikerInnen in ihrem jeweiligen kulturellen Umfeld fällten – zu analysieren.

"Ganz 'anders' als in Deutschland wurde etwa Charlotte Roches Buch 'Feuchtgebiete' von der amerikanischen Presse wahrgenommen", nennt die Forscherin ein Beispiel. Ein Text, der sich explizit und in schonungsloser Sprache mit weiblicher Sexualität und dem Körper auseinandersetzt und in Deutschland zum "Aufreger"-Buch avancierte. "Der Skandal blieb in den USA bei Erscheinen der Übersetzung gänzlich aus", berichtet die Forscherin. "Neben den Tageszeitungen behandelte auch die Frauenzeitschrift 'Marie Claire' das Buch auffallend sachlich."


Beliebteste Themen: Nationalsozialismus und DDR


Eine besonders gute "Übersetzungslage" haben in den USA Bücher, die sich mit deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts befassten, also insbesondere mit dem Nationalsozialismus und seinen Folgen oder der DDR. "Dabei rangiert der deutsche 'Nationalschriftsteller' Günter Grass in den vordersten Reihen. "Von seinem Schelmenroman 'Die Blechtrommel', über das biografische Buch 'Beim Häuten der Zwiebel' bis zum 'Wende'-Roman 'Ein weites Feld': "Grass wird regelmäßig in den Literaturseiten der großen amerikanischen Tageszeitungen besprochen, und er wird als politische Stimme aus dem Ausland wahrgenommen", erzählt die Forscherin.

Auch Bernhard Schlink kann als Beispiel für einen in den USA sehr präsenten deutschen Autor genannt werden. Sein Roman "Der Vorleser" wurde von Oprah Winfrey in ihrem "Book Club" vorgestellt. Für die Verfilmung erhielt Kate Winslet in der Rolle der Protagonistin einen Oscar.

Auch Christa Wolf, Marcel Beyer oder Uwe Timm werden regelmäßig übersetzt und weisen eine gute journalistische Rezeptionslage auf.

Einige deutsche AutorInnen haben in den USA sogar mehr Resonanz als im Heimatland – wie etwa der Schriftsteller W. G. Sebald: "Er hat in den USA einen besonders guten Ruf unter den deutschen AutorInnen", erzählt Schwabel, "und jedes seiner Werke wurde ausführlich in den großen Zeitungen besprochen." In Deutschland und Österreich sei er lange Zeit nicht besonders bekannt gewesen.


Verschiedene Bewertungssysteme


Darüber hinaus zeigt die Analyse der Nachwuchsforscherin, dass die deutschen und amerikanischen KritikerInnen Literatur sehr unterschiedlich bewerten. "Die Postmoderne und ihre Ausprägungen in der Literatur zum Beispiel werden in den USA manchmal positiver wahrgenommen als in deutschen Kritiken", veranschaulicht sie. Das habe nicht allein kulturelle Hintergründe, so Friederike Schwabel; "Die LiteraturkritikerInnen schreiben auch aus unterschiedlichen literaturwissenschaftlichen Traditionen heraus."

Friederike Schwabel hat Vergleichende Literaturwissenschaft und Deutsche Philologie (Stzwg) an der Universität Wien studiert. Ihre Dissertation zum Thema "Die Rezeption zeitgenössischer deutscher Erzählliteratur in der amerikanischen Presse von 1990 bis 2010" schreibt die Marietta Blau-Stipendiatin (2012) des BMWFW am Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft (EVSL), Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft, Universität Wien. Ihre Arbeit wird von Univ.-Prof. Dr. Norbert Bachleitner betreut.


Literaturtipps zum Thema:

Mews, Siegfried: Günter Grass and His Critics. From The Tin Drum to Crabwalk. Rochester, NY: Camden House, 2008.
Josef und Wirrer, Jan (Hg.): Die deutsche Präsenz in den USA. The German Presence in the U.S.A. Berlin: Lit.-Verl., 2008.